»Ich habe um hundert Mark herum dafür bezahlt«, sage ich. »Und draußen stehen auch noch zwei Flaschen Schwarzwälder und eine Flasche Korn – die sollen Sie auch noch haben. Sind Sie nun zufrieden?«
Sie zetert noch ein wenig, aber dann gibt sie sich zufrieden.
»Aber die Flasche Parfüm möchte ich Ihrem Mädchen als Trinkgeld schenken«, sage ich und nehme sie.
»Meinethalben«, sagt die Wirtin. »Mit solchem Nuttenzeug mag ich mich nicht einstinken.« Und sie probiert, ob die Hose des bunten Pyjamas auch lang genug für sie ist.
»Elinor!«, rufe ich durch das Lokal, denn ich kann wegen der Kette nicht fort von dem Wachtmeister. »Hier habe ich noch eine Flasche echt französisches Parfüm für dich … Komm, Mädchen!«
»Ach, lassen Sie mich zufrieden!«, ruft sie mürrisch zurück. »Ich habe jetzt wirklich genug von Ihnen. Bringen Sie den Kerl doch weg, Wachtmeister, ich möchte ins Bett!«
Die brutale Rücksichtslosigkeit, mit der sie mich im Stich ließ, sobald sie ihren Zweck erreicht hatte, raubte mir fast den Atem. Dann rief ich: »Verlässt du dich nicht ein bisschen sehr auf meine Anständigkeit, Elinor?« scharf durchs ganze Lokal.
»Bringen Sie den besoffenen Trottel weg, Wachtmeister!«, schrie sie jetzt. »Ich will nicht mehr von ihm angequatscht werden. Er war mir immer eklig, hoffentlich behaltet ihr ihn ewig im Kittchen!«
Ich begriff, in einem Augenblick begriff ich. Jetzt war ihr mein Geld sicher, ich hatte selbst seinen Besitz geleugnet. Und sie trug es bestimmt nicht mehr bei sich, sie hatte es schon irgendwo hinter der Theke versteckt. Nun ließ sie die Maske fallen – ich war ein ekelhafter Trottel. Wahrhaftig, ich war es wirklich. Wie gut, dass ich noch eine Flasche Schnaps zum Trost in der Tasche hatte! Aber wie, wenn mich nun auch der Schnaps verließ?
»Also kommen Sie endlich!«, sagte der Wachtmeister und zog am Kettchen.
Ich folgte ihm wortlos. Der Gendarm setzte sich auf sein Rad und radelte, für einen Radler langsam, für einen Fußgänger reichlich schnell, los. Ich trabte nebenher. Im Gefängnis des großen Nachbardorfes, in demselben Ort, an dem ich mit der Bahn am Abend vorher eingetroffen war, lieferte er mich ein.
Ich habe mein Bett unter das kleine Fenster gerückt und mich dann an den eisernen Gitterstäben hochgezogen. Ich sehe in ein friedlich besonntes Land mit Wiesen, Äckern, weidendem Vieh und Waldstreifen am Horizont. Direkt unter mir liegt ein mit Latten eingefriedeter Gemüsegarten, ein alter Mann geht einen Weg entlang und pflückt Grünes für Ziegen und Karnickel in einen Sack. Er kann gehen, wohin er will – und ich, ich bin jetzt gefangen! Gestern gehörte mir das noch alles, ich konnte aus meinem Leben machen, was ich wollte, heute halten andere mein Leben in ihrer Hand, und ich muss warten, wie sie über mich beschließen.
Ich lasse mich auf mein Bett fallen. Mir ist sehr schlecht, mein Kopf schmerzt – die Wirkung der paar Schlucke eben ist schon wieder vergangen. Ich habe Durst – aber wann werde ich diesen Durst wieder stillen können? ›Heute schon‹, sage ich mir beruhigend, ›bestimmt heute schon! Heute noch lassen sie dich wieder frei. Sie haben dir bloß einen Schreck einjagen wollen, sowas macht man, man steckt Betrunkene für eine Nacht in eine Zelle, damit sie ihren Rausch ausschlafen und sich ernüchtern, dann lässt man sie wieder frei. So machen sie’s nun auch mit dir.‹
Ich will nicht mit ihnen grollen, schließlich handeln sie ganz richtig. Ich habe mich wirklich zu sehr gehenlassen in dem Landgasthof, dieser Denkzettel, dieser Schreckschuss ist mir ganz gut. Aber gleich wird der Schlüssel im Schloss klirren, der nette Wachtmeister aus der Nacht kommt herein und fragt lachend: »Na, gut geschlafen, Herr Sommer? Dann machen Sie, dass Sie hier wegkommen – und sündigen Sie hinfort nicht mehr!«
Und ich gehe in die Freiheit, in jenen frischen, grünen, sonnigen Morgen hinaus, an dem ein alter Mann an allen Straßenrändern, wo er nur mag, Grünfutter in einen Sack sammelt. Ich bin wieder frei. Wäre es wirklich ein ernster Fall gewesen, hätte mir dann der Wachtmeister den Schnaps mit in die Zelle gegeben?
So beruhige ich mich, und wenn sich ein Gedanke an jene nächtliche Szene mit Magda bei mir einschleichen will, so weise ich ihn energisch zurück. Magda ist meine Frau, trotz aller Differenzen in letzter Zeit, wir haben so lange zusammengehalten, sie wird mir verzeihen, sie hat mir schon verziehen. Sie versteht, dass ich krank war. Aber dieser Schreckschuss hier hat mich ernüchtert, nie wieder werde ich trinken, keinen Tropfen mehr.
Ich springe auf und gehe in der Zelle hin und her. Nein, ich will jetzt ehrlich sein, ich will mir nicht wieder etwas vorlügen: Ich kann, wenn ich nachher entlassen werde, nicht gleich auf einen Schlag mit Trinken aufhören; schon jetzt quält mich der Durst schändlich. Es ist wie ein reißendes Verlangen in meinem Körper, eine Gier, die einen töten zu wollen scheint, wenn sie nicht befriedigt wird. Meine Glieder zittern, ein Schweißausbruch folgt auf den anderen, der Magen ist in Aufruhr.
Plötzlich fällt mir ein, dass ich bei meinem Aufbruch aus dem Landgasthof wohl eine ganze Flasche Kirsch bezahlt habe, dass sie aber, nur zur Hälfte leer getrunken, auf dem Tisch stehen blieb. Ich hätte den Wachtmeister bitten sollen, sie noch leer trinken zu dürfen. Er hätte es mir erlaubt, dann hätte ich mehr Alkohol im Leibe gehabt, dann hätte ich jetzt nicht diese schrecklichen Beschwerden!
Also, ich will von jetzt an ehrlich sein: Ich kann dem Alkohol nicht sofort ganz abschwören, aber ich werde von nun an sehr mäßig trinken, vielleicht nur eine halbe Flasche pro Tag oder gar nur ein Drittel. Mit einem Drittel würde ich schon auskommen. Jetzt würde mich schon ein einziger kleiner Schnaps glücklich machen, ein winziges Stängchen, kaum ein Mundvoll Schnaps, in diesem Zustand, in dem ich jetzt bin.
Wenn ich jetzt gleich entlassen werde, werde ich mir hier im Ort so ein Stängchen leisten, ein einziges nur, und dann werde ich zu Fuß nach Hause gehen und nichts mehr trinken. Ich habe kein Geld mehr bei mir, aber ich habe meinen bläulichen Frühjahrsmantel an, den werde ich dem Wirt zum Pfand dalassen. Er wird mir darauf eine Flasche Korn geben, vielleicht sogar zwei, dann bin ich wieder für drei, vier Tage ausgerüstet. Für drei Tage jedenfalls bestimmt! Und in drei Tagen habe ich Magda rum, ich werde sehr liebevoll und freundlich mit ihr sein, dann bekomme ich wieder Geld von ihr …
Einen Augenblick schließe ich die Augen: Ich habe eben an die fünftausend Mark gedacht, die ich gestern um diese Zeit von der Bank abhob. Es muss ein schwerer Schlag für das Geschäft gewesen sein, es wird vielleicht doch nicht ganz einfach sein, Magda zu versöhnen … Aber, beruhige ich mich rasch, ich werde eine Hypothek auf unsere Villa eintragen lassen, sie ist bisher schuldenfrei; fünftausend Mark bekomme ich auf die Villa bestimmt. Dann ist Magda versöhnt. Und natürlich werde ich Polakowski nicht ungestraft seinen Raub genießen lassen. Ich werde heute noch zu ihm hingehen, meine Sachen und das Silber und meine Goldsachen muss er mindestens wieder herausrücken, dann will ich ihm zweitausend Mark von dem Geld lassen. Und geht er darauf nicht ein, werde ich ihn anzeigen, dann wandert der gute, sanfte, heuchlerische Polakowski statt meiner ins Gefängnis.
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