In irgendeinem Moment unseres Kampfes, wohl gerade in dem Augenblick, da sich der Sieg mir zuneigte, stand sie plötzlich bei uns mit einer Flasche von meinem Schwarzwälder Zwetschgenwasser; sie sagte sanft lächelnd und strahlte mich dabei mit ihren hellen Augen freundlich an: »Seien Sie doch friedlich, altes Papachen! Der Wachtmeister erlaubt Ihnen auch, sich eine Flasche Schnaps mitzunehmen. Es ist ja nur für eine Nacht, altes Papachen, bis Sie Ihren Rausch ausgeschlafen haben …«
Damit war mein Kampfmut gelähmt, und sie wurden leicht Herr über mich. Wieder verführten mich der Alkohol und Elinor (das war wohl das gleiche Gift: Alkohol und Elinor); so oft schon hatten sie mich getäuscht und in die beschämendsten Niederlagen hineingeführt, aber ich war noch immer nicht klug geworden. Für eine Flasche Schnaps verkaufte ich meine Aussicht auf Freiheit. Und da stand sie nun, dort hinten, bei dem stinkenden Kübel: leer. Und hier stand ich, zwischen gekalkten Wänden, hier ein Eisengitter, dort oben, nahe der Decke, ein kleines Fensterloch. Ohne Freiheit. Ohne Elinor. Ohne Schnaps.
Und plötzlich fällt mir noch eine Schlussszene, eine allerletzte Szene von diesem Abend her ein, eine so beschämende Szene, dass ich die Fäuste balle und die Zähne zusammenbeiße … Wir sind handelseins geworden, der Gendarm und ich. Er hat viel von seinen Dienstvorschriften geredet, aber ich habe ihm wohl Scherereien genug gemacht, und er hat wohl auch Befürchtungen, dass ich ihm bei dem Weg durch die Nacht noch Schwierigkeiten mache … Er hat eingewilligt, dass ich die Flasche Schnaps noch mitnehmen darf; ich trage sie mit losem Korken griffbereit in der Hosentasche. Dafür habe ich ihm mein Ehrenwort gegeben, ihm nicht wieder zu widerstehen und keinen Fluchtversuch zu machen. Trotzdem hat er mir ein kleines stählernes Kettchen um das rechte Handgelenk gelegt, er misstraut vielleicht dem Ehrenwort eines Betrunkenen doch ein bisschen.
Und nun stehen wir unter der Tür, ich habe mich umgewendet und habe zu Elinor gesagt: »Gute Nacht, Elinor, ich danke dir auch für alles, Elinor.«
Und sie antwortet mit gleichmütiger Stimme: »Gute Nacht, altes Papachen, schlaf auch schön« – gerade als wäre ich irgendein beliebiger Stammgast, der nach seinem Abendschoppen zum friedlichen Ehebett heimgeht.
Also, hiernach wollen wir nun wirklich gehen, ich und der Wachtmeister, da ruft die Wirtin plötzlich mit schriller Stimme: »Und mein Wein? Und mein Schnaps?! Und die zerbrochenen Gläser?!! Der Lump hat ja noch nicht bezahlt, der besoffene, Herr Wachtmeister! Das geht doch nicht! Lassen Sie ihn erst zahlen.«
Der Wachtmeister sieht mich erst bedenklich an, seufzt und fragt dann leise: »Haben Sie Geld?«
Ich nicke.
»Also dann bezahlen Sie, dass ich endlich nach Haus komme!« Und laut: »Wie viel macht’s denn?«
Die Wirtin rechnet, dann sagt sie: »Siebenundsechzig Mark einschließlich Bedienung. Und richtig, dann noch das Telefongespräch, durch das ich Sie gerufen habe, Herr Wachtmeister. Macht, alles zusammen, siebenundsechzig Mark zwanzig.«
Ich greife in meine Tasche. Ich bringe ein bisschen Geld hervor. Ich greife in die Brusttasche meines Jacketts: Sie ist leer. Plötzlich erinnere ich mich … Ich sehe auf Elinor hin, erst mit einer stummen Frage, dann bittend, auffordernd, drängend … Ich kann doch hier nicht auch noch als Zechpreller dastehen! Elinor sieht nicht auf mich, mit einem unergründlichen schwachen Lächeln blickt sie auf das Geldhäufchen, das ich auf einen Tisch gelegt habe. Dann gleitet ihr Blick von dort fort und zur Wirtin hin … Elinors Lippen öffnen sich ein wenig, das Lächeln um ihren Mund verstärkt sich … Die Wirtin ist auf das Geld losgeschossen und hat es im Nu durchgezählt.
»Dreiundzwanzig Mark«, schreit sie kreischend. »Sie Lump, Sie verdammter Zechpreller, Sie! Erst stehlen Sie mir meine Nachtruhe und bedrohen mich mit einem Revolver und dann …«
Sie schilt immer weiter, der Wachtmeister hört gelangweilt und gähnend zu. Schließlich, als die Wirtin mir gar wieder mit ihren Krallen ins Gesicht fahren will, wehrt er sie ab und sagt: »Jetzt ist’s genug, Frau Schulze.« Und zu mir: »Haben Sie wirklich nicht mehr Geld?«
»Nein!«, sage ich und sehe Elinor fest dabei an. Diesmal sieht sie mich wieder an, ebenso fest, ohne eine Spur von Lächeln. Und nun tut dieses Mädchen blitzschnell wieder etwas Erstaunliches: Sie greift in den Ausschnitt ihrer Bluse und zieht für einen Augenblick den mir abgenommenen Packen Geldscheine hervor. Ich sehe den blauen Schimmer der Hundertmärker. Im Mundwinkel erscheint Elinors Zungenspitze, spöttisch lächelt das Mädchen jetzt. Der Packen Geld verschwindet wieder im Busen. Sie legt die Hand auf die Brust, hebt sie ein wenig an, dass ich den schönen, vollen Ansatz sehe, und dann wendet sie sich endgültig von mir ab, geht hinter die Theke.
Oh, wie klug und raffiniert sie ist: Gerade im richtigen Moment erinnerte sie mich an mein Wort, aber meinem Wort nicht ganz trauend, erinnerte sie mich auch an die Verbundenheit unseres Fleisches. Bittersüß, von einem kalten Feuer, eine Geliebte, die sich mir nie ganz hingeben, die ich nie ganz besitzen würde – die wahre Königin des Alkohols!
»Nein«, sage ich mit trockener Stimme, »mehr Geld habe ich nicht bei mir. Aber senden Sie die Rechnung an mein Kontor, meine Frau wird sie sofort bezahlen.«
Die Wirtin keift: »Ihre Frau wird Besseres zu tun haben, als die Rechnungen eines Säufers zu bezahlen! Wachtmeister, kehren Sie seine Taschen um, vielleicht hat er doch noch was bei sich …«
»Nichts«, sage ich. »Aber ich habe eine Tasche draußen stehen, Herr Wachtmeister, wenn ich die holen darf …?«
Wir holen die Aktentasche, meinen Einkauf in jenem kleinen Luftkurort, herein. Ich breite meine Einkäufe aus: meine beiden papageienbunten Pyjamas, das raffinierte Toilettenzeug, das französische Parfüm … Wie lange ist es her, dass ich dies alles, weltmännisch scherzend, von jungen Mädchen einkaufte? Ich werde es nie benutzen! Wie lange ist es her, dass ich auf der Seeterrasse dort grünen Aal zu Burgunderwein aß und Betrachtungen darüber anstellte, ein wie behagliches Leben ich als zur Ruhe gesetzter Kaufmann führen würde? Wie lange? Erst gute zwölf Stunden! Und nie werde ich dieses behagliche Leben führen! Jetzt trage ich eine Kette um das Handgelenk und werde als Verbrecher von der Polizei eskortiert! O ade, gutes Leben!
»Was soll ich mit dem feinen Krimskrams?!«, zetert die Wirtin. »Sieben Haut- und Nagelscheren allein! Das kann ich nicht brauchen. Ich will mein Geld haben! Und diese gemeinen Schlafanzüge!« Aber ihrer Stimme ist anzuhören, dass dies nur ein Rückzugsgefecht ist, ihre Gier ist erwacht.
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