1 Engelbert Dollfuß war ein österreichischer Politiker. Er fungierte von 1931 bis 1933 als Landwirtschaftsminister und von 1932 bis 1934 als Bundeskanzler, ab 5. März 1933 diktatorisch regierend. <<<
Am späten Abend, eigentlich ist es schon Nacht, eigentlich ist es schon viel zu spät für das Verabredete, hat der Herr Emil Barkhausen seinen Enno doch noch getroffen, im Restaurant »Ferner liefen«. Das hat die Briefträgerin Eva Kluge mit ihrem heiligen Zorn doch noch zuwege gebracht. Die Herren haben sich bei einem Glase Bier an einem Ecktisch zusammengesetzt, und dort haben sie geflüstert, sie haben so lange geflüstert – bei einem Glase Bier –, bis der Wirt sie darauf aufmerksam gemacht hat, dass er schon dreimal Polizeistunde geboten hat, und sie möchten doch sehen, dass sie endlich bei ihre Weiber kämen.
Auf der Straße haben die beiden ihre Unterhaltung fortgesetzt; sie sind erst ein Stück nach der Prenzlauer Allee zu gegangen, und dann hat der Enno wieder zurückverlangt, weil es ihm eingefallen ist, es wäre vielleicht doch besser, es bei einer zu versuchen, die er einmal gehabt hat und die Tutti genannt wird. Tutti, der Pavian. Besser als solche faulen Geschichten …
Der Emil Barkhausen ist fast aus der Haut geplatzt vor so viel Unverstand. Er hat dem Enno zum zehnten, er hat ihm zum hundertsten Male versichert, dass hier von faulen Geschichten nicht die Rede sein könne. Es handele sich vielmehr um eine – beinahe gesetzmäßige – Beschlagnahme, die unter dem Schutze der SS erfolge, und außerdem sei’s doch bloß eine olle Jüdsche, nach der kein Hahn krähe. Sie würden sich beide für eine Zeit lang gesundmachen, und die Polizei und das Gericht hätten damit gar nichts zu tun.
Worauf der Enno wieder gesagt hat: Nein, nein, in solchen Sachen habe er noch nie seine Finger gehabt, er verstünde gar nichts davon. Weiber ja und Rennwetten dreimal ja, aber mit faulen Fischen habe er noch nicht gehandelt. Die Tutti sei immer ganz gutmütig gewesen, obwohl sie »der Pavian« genannt werde, die denke sicher nicht mehr daran, dass sie ihm damals mit ein bisschen Geld und Lebensmittelkarten ausgeholfen habe, ohne es zu wissen.
Dabei sind sie schon in der Prenzlauer Allee gewesen.
Der Barkhausen, dieser eigentlich immer zwischen Kriecherei und Drohen hin und her pendelnde Mann, hat ärgerlich gesagt, wobei er an seinem lockeren, fliegenden Schnurrbart riss: »Wer zum Kuckuck hat denn von dir verlangt, dass du was von der Sache verstehst? Ich werde das Kind schon alleine schaukeln, von meinswegen kannste mit den Händen in der Tasche dabeistehen. Ich pack dir sogar noch deine Koffer, wenn du das auch noch verlangst! Versteh doch endlich, dass ich dich nur darum mitnehme, Enno, um mich vor einem Streich von der SS zu schützen, als Zeuge gewissermaßen, dass es bei der Teilung auch richtig zugeht. Denk doch bloß mal dran, was alles bei einer so reichen jüdischen Geschäftsfrau zu holen ist, selbst wenn die Gestapo damals, als sie den Mann holte, schon einiges hat mitgehen lassen!«
Plötzlich hat der Enno Kluge Ja gesagt, ohne weiteres Wehren und Bedenklichkeit, ohne Übergang. Nun hat er gar nicht schnell genug in die Jablonskistraße kommen können. Was ihn aber zu der Überwindung seiner Angst und zu einem so rückhaltlosen Ja bestimmt hat, das ist weder das Gerede von dem Barkhausen gewesen noch die Aussicht auf eine reiche Beute, sondern schlichtweg sein Hunger. Plötzlich hat er an die Speisekammer der Rosenthal denken müssen, und dass die Juden immer gerne gut gegessen haben, und dass ihm eigentlich nichts im Leben so schön geschmeckt hat wie gefüllter Gänsehals, zu dem er ein einziges Mal von einem reichen Kleiderjuden eingeladen worden ist.
Plötzlich hat er sich in seinen Hungerfantasien fest eingebildet, er finde solchen gefüllten Gänsehals in der Rosenthal’schen Speisekammer. Er hat die Porzellanschüssel, in der er liegt, ganz deutlich vor sich gesehen, und den Hals, wie er in der zu Fett erstarrten Soße liegt, ganz dick gestopft und an beiden Enden mit einem Faden zugebunden. Er wird die Schüssel nehmen und sich das Ganze auf der Gasflamme warm machen, und alles andere ist ihm ganz egal. Der Barkhausen kann tun, was er will, das ist ohne Interesse für ihn. Er wird Brot in die warme, fettige, stark gewürzte Soße tunken, und den Gänsehals wird er aus der Hand essen, dass die Fettigkeit nach allen Seiten rausquatscht.
»Leg noch ’nen Zahn zu, Emil, ich hab das eilig!«
»Warum so plötzlich?«, hat Barkhausen gefragt, aber eigentlich ist es ihm recht gewesen, und er hat willig noch einen Zahn zugelegt. Auch er würde froh sein, wenn die Sache erst abgemacht war, auch in seine Branche schlug sie eigentlich nicht. Er hat nicht etwa wegen der Polizei oder wegen der ollen Jüdin Angst – was könnte ihm groß passieren, wenn er deren Besitz arisierte? –, sondern wegen der Persickes. Das ist so eine verfluchte, verräterische Aasbande, denen ist sogar die Gemeinheit zuzutrauen, dass sie auch einem Kumpel einen Streich spielen. Nur wegen der Persickes hat er diesen blöden Hannes, den Enno, mitgenommen, das ist ein Zeuge, den sie nicht kennen, der wird sie schon bremsen.
In der Jablonskistraße ist dann alles schön glattgegangen. Es wird ungefähr halb elf gewesen sein, als sie die Haustür aufgeschlossen haben mit einem richtigen, legalen Hausschlüssel. Dann haben sie ins Treppenhaus gelauscht, und als sich dort nichts rührte, das Treppenlicht angeknipst und sich bei seinem Schein die Schuhe ausgezogen, denn: »Wir müssen doch auf die Nachtruhe der anderen Mieter Rücksicht nehmen«, hat Barkhausen gegrinst.
Als das Licht wieder aus war, sind sie leise und rasch die Treppe hochgepinschert, und es ist alles glatt und ruhig gegangen. Sie haben keinen von den Anfängerfehlern gemacht, dass sie mit Krach gegen was angerannt sind oder dass ihnen ein Schuh hingepoltert ist, nein, in aller Stille sind sie die vier Stockwerke hochgepinschert. Also, sie haben ein feines Stück Treppenarbeit geleistet, obwohl sie doch beide keine richtigen Ganoven sind und obwohl sie sich beide in ziemlicher Aufregung befinden, der eine besonders wegen des gefüllten Gänsehalses, der andere wegen der Beute und der Persickes.
Das mit der Tür von der Rosenthal hat sich der Barkhausen hundertmal schwieriger vorgestellt, nur ins Schloss gezogen ist sie, ganz einfach aufzumachen, nicht mal abgeschlossen. Was das für ’ne leichtsinnige Frau ist, wo sie doch als Jüdin besonders vorsichtig sein müsste! So sind die beiden in die Wohnung gekommen, sie wissen eigentlich nicht mal, wie, so schnell ging das.
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