Baldur findet, dass der Alte mächtig heruntergekommen aussieht, er ist zusammengefallen wie ein Gummitier, in das man mit einer Nadel gepiekt hat.
Ja, die guten Tage des verkrachten Budikers sind vorüber, er ist nur noch ein Gespenst, aber ein Gespenst, das nicht frei von Gelüsten ist. Der Vater bettelt den Sohn um etwas Rauchbares an, und nachdem der Sohn sich ein paarmal geweigert hat (»Das hast du alter Verbrecher gar nicht verdient«), schenkt er dem Alten schließlich doch eine Zigarette. Als aber der alte Persicke darum bettelt, der Sohn möge dem Vater doch nur ein einziges Mal eine Flasche Schnaps einschmuggeln, da lacht Baldur bloß. Er schlägt dem Vater auf die dürr gewordenen, zittrigen Knie und sagt: »Das mach dir man ab, Vater! Schnaps kriegst du nie mehr in deinem Leben zu saufen, damit hast du mir viel zu viel Dummheiten gemacht!«
Und während der Vater böse starrt, berichtet der Sohn selbstgefällig von all der Mühe, die ihm die Beilegung dieser Dummheiten gemacht hat.
Der alte Persicke ist nie ein großer Diplomat gewesen, er hat immer seine Meinung geradeheraus gepoltert und nie daran gedacht, was der andere fühlt. So sagt er denn auch jetzt: »Du bist immer ein Prahlhans gewesen, Baldur! Das habe ich doch gewusst, dass mir von der Partei aus nie was passieren würde, wo ich doch schon fünfzehn Jahre in dem Hitler seinen Laden bin! Nein, wenn’s dich Mühe gekostet hat, ist nur deine eigene Blödheit daran schuld. Ich hätt’s mit ein paar Sätzen erledigt, wenn ich erst draußen bin!«
Der Vater ist dumm. Hätte er dem Sohne ein bisschen geschmeichelt, ihm gedankt und ihn gelobt, so wäre Baldur Persicke wohl gnädiger gestimmt gewesen. Aber jetzt ist er tief in seiner Eitelkeit verletzt, und er sagt nur kurz: »Ja, wenn du erst draußen bist, Vater! Aber du kommst nicht wieder raus aus dieser Klapsmühle, nie in deinem Leben!«
Der Vater bekommt bei diesen erbarmungslosen Worten erst einen solchen Schreck, dass er am ganzen Leibe zittert. Aber er fasst sich wieder und sagt: »Den möcht ich sehen, der mich hier halten könnte! Vorläufig bin ich noch ein freier Mensch, und Oberarzt Dr. Martens hat mir selber gesagt, wenn ich noch sechs Wochen hier weiter die Kur mache, kann ich raus. Dann bin ich geheilt.«
»Du wirst nie geheilt, Vater«, sagt Baldur spöttisch. »Du fängst doch immer wieder mit deinen Saufereien an. Das habe ich nun oft genug erlebt. Ich werde das nachher dem Oberarzt auch sagen und dafür sorgen, dass du entmündigt wirst!«
»Das tut er nicht! Dr. Martens mag mich mächtig gerne; er hat gesagt, so schöne Schweinereien wie ich weiß keiner! Der tut mir das nicht an. Und außerdem hat er mir fest versprochen, dass ich in sechs Wochen entlassen werde!«
»Wenn ich ihm aber erzähle, dass du mich eben erst hast überreden wollen, dir eine Flasche einzuschmuggeln, wird er anders über deine Heilung denken!«
»Das tust du nicht, Baldur! Du bist doch mein Sohn, und ich bin dein Vater …«
»Was ist denn da weiter bei? Von irgendwem muss ich doch der Sohn sein, und ich finde, ich habe gerade einen von den schäbigsten Vätern abbekommen.«
Er sah seinen Vater abschätzig an. Und dann setzte er hinzu: »Nee, nee, Vater, das mach dir man ab, an den Gedanken gewöhn du dich nur: du bleibst hier. Du blamierst draußen ja doch nur die ganze Innung!«
Der Alte ist verzweifelt. Er sagt: »Die Mutter wird das nie zugeben, das mit der Entmündigung, und dass ich ewig hierbleibe!«
»Na, so ewig wird’s gar nicht werden, wie du jetzt aussiehst!« Baldur lacht und schlägt die Beine mit den schön gebeutelten Reithosen übereinander. Zufrieden betrachtet er den – von der Mutter erzeugten – Glanz seiner Stiefel. »Und Mutter hat solche Angst vor dir, die weigert sich ja sogar, dich zu besuchen. Denkst du, Mutter hat vergessen, wie du sie beim Halse gehabt und gewürgt hast? Das vergisst dir Mutter nie!«
»Dann schreibe ich an den Führer!«, rief der alte Persicke aufgebracht. »Der Führer lässt einen alten Kämpfer nicht im Stich!«
»Was bist du denn dem Führer noch nutze? Der Führer schert sich einen Dreck um dich, der wirft nicht einen Blick auf dein Geklaue! Außerdem kannst du mit deinen alten, zittrigen Säuferhänden gar nicht mehr schreiben, und außerdem lassen die hier gar keinen Brief von dir raus, dafür werde ich sorgen! Schade um das Papier!«
»Baldur, habe doch Erbarmen mit mir! Du bist doch mal ein kleiner Junge gewesen! Ich bin doch sonntags mit dir spazieren gegangen. Weißt du noch, wie wir mal auf dem Kreuzberg waren, und das Wasser lief so schön rosa und blau? Ich hab dir immer Würstchen und Bonbons gekauft, und als du damals mit elf Jahren die Geschichte mit dem kleinen Kind angestellt hattest, da habe ich dafür gesorgt, dass du nicht von der Schule flogst und in Zwangserziehung kamst! Was wärst du ohne deinen ollen Vater, Baldur? Und nun darfste mich auch nicht in dieser Klapsmühle stecken lassen!«
Baldur hatte sich diesen langen Erguss, ohne eine Miene zu verziehen, angehört. Nun sagte er: »Also jetzt willst du auf die Gefühlstube drücken, Vater? Finde ich ganz tüchtig von dir. Bloß so was wirkt bei mir nicht, das müsstest du doch wissen, dass ich mir aus Gefühlen nichts mache! Gefühle – eine richtige Schinkenstulle ist mir lieber als alle Gefühle! Aber ich will nicht so sein, ich will dir noch ’ne Zigarette schenken – allez hopp!«
Aber der Alte war zu aufgeregt, um jetzt an Rauchen zu denken. Die Zigarette fiel – zum neuen Ärger Baldurs – unbeachtet auf den Boden.
»Baldur!«, flehte der Alte wieder. »Du weißt nicht, was dies für ein Haus ist! Hier lassen sie einen verhungern, und immer schlagen einen die Pfleger. Und die anderen Kranken schlagen mich auch. Ich hab so zittrige Hände, ich kann mich nicht wehren, und dann nehmen sie mir das bisschen Essen auch noch weg …«
Während der Alte so flehte, hatte Baldur sich zum Fortgehen fertiggemacht, aber sein Vater klammerte sich an ihn, er hielt den Sohn fest und fuhr immer eiliger fort: »Und es kommen noch viel schrecklichere Dinge vor. Manchmal gibt der Oberpfleger den Kranken, die ein bisschen laut waren, eine Spritze mit so ’nem grünen Zeug, ich weiß nicht, wie es heißt. Und davon müssen die Leute immerzu kotzen, sie kotzen sich die Seele aus dem Leibe, und plötzlich sind sie weg. Mausetot, Baldur, du wirst doch nicht wollen, dass dein Vater so stirbt, indem er sich die Seele aus dem Leibe kotzt, dein eigener Vater! Baldur, sei gut, hilf mir! Nimm mich hier raus, ich habe solche Angst!«
Aber Baldur Persicke hatte sich jetzt lange genug dieses Geflenne angehört. Er machte sich von dem alten Persicke gewaltsam los, drückte ihn in einen Sessel und sagte: »Na, dann mach’s gut, Vater! Ich werde die Mutter von dir grüßen. Und denke daran, dass da am Tisch noch eine Zigarette liegt. Wäre ja schade darum!«
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