43. Barkhausen zum dritten Mal geprellt
Die beiden Herren hatten in dem verwüsteten Wohnzimmer Platz genommen; jetzt saß der »Hausverwalter« auf dem Platz der Ratte, und Klebs saß auf dem Stuhl Persickes. Nein, der alte Persicke hatte nicht einmal eine Auskunft geben können, aber die Sicherheit, mit der sich Klebs in der Wohnung bewegte, die Ruhe, in der er mit Persicke sprach und ihm zu trinken gab, hatte den »Hausverwalter« doch zu einiger Vorsicht gemahnt.
Jetzt zog Klebs wieder seine abgegriffene Brieftasche aus einem Kunststoff, der einmal schwarz gewesen war und nun an den Kanten rostrot schimmerte, hervor. Er sagte: »Wenn ich dem Herrn Hausverwalter vielleicht meine Papiere zeigen darf? Es ist alles in Ordnung, ich bin von der Partei beauftragt …«
Aber sein Gegenüber wies die Papiere zurück, er lehnte auch den Schnaps ab, nur eine Zigarette nahm er. Nein, jetzt trank er keinen Schnaps, er erinnerte sich zu gut, wie damals bei der Rosenthal oben der Enno ihm ein glänzendes Geschäft mit Kognaktrinken vermasselt hatte. Das sollte ihm nicht noch einmal passieren. Barkhausen, denn niemand anders als Barkhausen ist es, der dort als »Hausverwalter« sitzt, denkt nach, wie er seinem Gegenüber beikommen kann. Er hat diesen Bruder sofort durchschaut: ob der nun tatsächlich ein Bekannter vom alten Persicke ist oder nicht, ob er im Auftrag der Partei hier sitzt oder nicht – ganz egal: der Kerl hat klauen wollen! Was er in den Koffern hatte, war geklaute Ware – sonst wäre er nicht so erschrocken gewesen bei Barkhausens Anblick, sonst wäre er jetzt nicht so ängstlich und betulich. Niemand, der was Rechtes vorhat, kriecht so vor einem anderen, das weiß Barkhausen aus eigenster Erfahrung.
»Vielleicht jetzt ein Schnäpschen gefällig, Herr Hausverwalter?«
»Nein!« Barkhausen brüllt das fast. »Halten Sie den Mund, ich muss noch was überlegen …«
Die Ratte ist zusammengezuckt und schweigt.
Barkhausen hat ein sehr schlechtes Jahr hinter sich. Nein, die damals von Frau Häberle gesandten zweitausend Mark hat er auch nicht bekommen. Die Post hat ihm auf seinen Nachsendungsantrag hin mitgeteilt, dass die Gestapo das Geld für sich, als aus einem Verbrechen stammend, angefordert habe, er möge sich mit der Gestapo in Verbindung setzen. Nein, Barkhausen hatte das nicht getan. Er wollte nie wieder etwas mit diesem wortbrüchigen Escherich zu tun haben, und Escherich schickte auch nie wieder nach Barkhausen.
Das war also ein Reinfall gewesen; viel schlimmer aber war es noch, dass der Kuno-Dieter nicht wieder nach Haus gekommen war. Zuerst hatte Barkhausen noch gedacht: Na, warte du! Wenn du erst wieder zu Hause bist! Hatte sich mit der Ausmalung von Prügelszenen ergötzt und die angstvollen Fragen Ottis nach dem Ausbleiben ihres Lieblings mit Grobheit abgewimmelt.
Aber als dann Woche um Woche verging, war die Lage ohne Kuno-Dieter doch ziemlich unerträglich geworden. Die Otti wurde zu einer wahren Giftschlange und machte ihm das Leben zur Hölle. Ihm war es schließlich egal, mochte der Bengel ganz wegbleiben, umso besser: ein unnützer Fresser weniger im Haus! Aber Otti stellte sich da reineweg toll an wegen ihres Lieblings, es war, als könnte sie keinen Tag mehr ohne Kuno-Dieter leben, und früher hatte sie doch auch bei ihm nie mit Schelte und Prügel gespart.
Schließlich war die Otti ganz meschugge geworden, sie war zur Polizei gelaufen und hatte den eigenen Mann wegen Mordes am Sohne angezeigt. Mit solchen Leuten wie mit Barkhausen machte man bei der Polizei nicht viel Umstände, er stand dort in gar keinem Ruf, weil er nämlich im allerschlechtesten stand, sie setzten ihn sofort auf dem Kriminalgericht fest.
Elf Wochen hatten sie ihn dort behalten, er hatte tüchtig Tüten kleben und Tauwerk zupfen müssen, sonst zogen sie ihm noch von dem Essen ab, von dem er sowieso nicht satt wurde. Das Schlimmste aber waren die Nächte gewesen, wenn Fliegerangriffe erfolgten. Barkhausen hatte eine gewaltige Angst vor Fliegerangriffen. Er hatte mal eine Frau in der Schönhauser Allee gesehen: eine Phosphorbombe war in sie gefahren und in ihr steckengeblieben – nie in diesem Leben würde Barkhausen den Anblick vergessen.
Er hatte also Angst vor Fliegern, und wenn die immer näher dröhnten, und die ganze Luft war voll von ihrem Geräusch, und dann kamen die ersten Einschläge, und seine Zellenwand war rot beleuchtet vom Flackerschein ferner und naher Brände … Nein, sie schlossen die Gefangenen nicht aus der Zelle, sie ließen sie nicht in dem Keller, in dem sie sicher gesessen hätten, diese Speckjäger, die! In solchen Nächten wurde das ganze riesige Zellengefängnis Moabit hysterisch, an den Fenstern hingen sie und schrien – oh, wie sie schrien! Und Barkhausen hatte mitgeschrien! Er hatte geheult wie ein Tier, er hatte den Kopf auf seiner Schlafpritsche verborgen, und dann war er mit diesem Kopf gegen die Zellentür gerannt, immer mit dem Schädel voran gegen die Zellentür, bis er dann vor Betäubung am Boden liegengeblieben war … Das war seine Art Narkose, durch die er diese Nächte überstand!
Aber er war nach diesen elf Wochen Untersuchungshaft natürlich nicht in sehr freundlicher Stimmung nach Haus zurückgekehrt. Selbstverständlich hatten sie ihm nicht das Geringste nachweisen können, das wäre ja auch gelacht; aber diese elf Wochen hätte er sich ersparen können, wenn Otti nicht so ein Aas gewesen wäre! Und wie ein Aas behandelte er sie nun auch, sie, die mit ihren Freunden kein schlechtes Leben in seiner Wohnung geführt hatte (deren Miete sie regelmäßig bezahlte), während er hatte Taue zupfen und vor Angst halb wahnsinnig werden müssen.
Von da an hagelte es Schläge in der Barkhausen’schen Wohnung. Bei dem geringsten Mucks schlug der Mann zu, ganz gleich, was er in der Hand hatte, er schmiss es ihr in die Fresse, dem Aas, dem verdammten, das ihn so ins Unglück gebracht hatte.
Aber auch Otti setzte sich zur Wehr. Nie war Essen für ihn da, nie Geld, nie was zu rauchen. Sie schrie unter seinen Schlägen, dass die Hausbewohner zusammenliefen, und alle nahmen sie Partei gegen Barkhausen, wo sie doch genau wussten, sie war nichts als eine gemeine Nutte. Und dann eines Tages, als er ihr büschelweise die Haare vom Kopf gerissen hatte, tat sie das Allergemeinste: sie verschwand auf Nimmerwiedersehen aus der Wohnung und ließ ihn sitzen mit den restlichen vier Gören, von denen bei keinem seine Vaterschaft sicher war. Verdammt noch mal, Barkhausen hatte richtig auf Arbeit gehen müssen, sonst wären sie alle verhungert, und die zehnjährige Paula führte nun die Wirtschaft.
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