Die süßen Lehren der Moral
Sind so selig und rein,
Daß sie mit Gott so viel gemein
Haben als mit dieser Welt.
Wer der Moral Gebote hält
Mag der Welt und Gott gefallen.
Sie ist den edeln Herzen allen
Zu einer Amme gegeben,
Daß sie Nahrung und Leben
Schöpfen aus ihrer Lehre,
Denn sie haben Gut noch Ehre,
Wenn sie Moral nicht unterweist.
Der Lehre fliß sich zumeist
Isot die junge Königin:
Damit schulte sie den Sinn
Und die Gedanken immerdar,
Bis sie gar wohl gesittet war,
Rein ihr Herz und schön ihr Muth
Und ihr Gebahren süß und gut.
So kam die junge süße Maid
Zu solcher Vollkommenheit
In Wißen und Betragen
In des halben Jahres Tagen,
Daß von ihrer Seligkeit
Das Land erfüllt war weit und breit,
Und ihr Vater daran
Sich höchlich zu erfreun begann;
Auch die Mutter freut' es inniglich.
Nun fügt' es unterweilen sich,
Wenn ihr Vater fröhlich war,
Oder fremder Ritter Schar
Zu Hofe vor dem König saß,
Daß Isot in den Pallas
Vor ihrem Vater ward gesandt.
Was da der Schönen war bekannt
Von schöner Kunst und Höfischkeit,
Damit kürzte sie die Zeit
Ihm und dem ganzen Kreiß der Leute:
Denn womit sie ihren Vater freute,
Des freuten sie sich all zugleich.
Hoch und Nieder, Arm und Reich
Hatten an ihr beide
Eine selge Augenweide,
Der Ohren wie der Herzen Lust:
Außer- und innerhalb der Brust
War ihre Lust Isolde.
Die reine, die holde,
Sie schrieb und las, sie sang und spielte:
Der Andern Freude nur erzielte
Sie mit den Melodieen.
Sie fiedelt' ihre Stampenieen,
Ihre Leich' und fremden Nötelein,
Die nicht fremder konnten sein,
In französischer Weise
Sanz und St. Denis zu Preise;
Der Leiche wuste sie gar viel.
Ihr Leier- und ihr Harfenspiel
Schlug sie zu beiden Seiten hin
Mit den Händen blank wie Hermelin,
Daß alle Welt sie priese:
In Lut und in Thamise
Schlugen Frauenhände nie
Die Saiten süßer als sie.
La duze Isot la bele
Sang ihre Pastorele,
Ihr Rotruwansch, Rundate,
Schanzun, Refloit, Folate
Wohl und wohl und allzu wohl,
Denn viel der Herzen wurden voll
Mit sehnlichem Trachten:
Viel Trachten ward und Schmachten
Von ihrem Spiel hervorgebracht,
Und Gedanken wunderviel gedacht,
Wie ihr wohl wißet, daß geschieht,
Wo man ein solches Wunder sieht
Von Schönheit und von Höfischkeit
Wie an Isold der schönen Maid.
Wen soll ich ihr vergleichen,
Der schönen, wonnereichen,
Als der Sirenen eine,
Die mit dem Wundersteine
Die Kiele ziehen zu sich?
So zog Isolde, dünket mich,
Viel Herzen und Gedanken an,
Die sich sicher schon, o Wahn!
Deuchten gegen Liebesschlingen.
Auch sind wohl in Vergleich zu bringen
Kiel' ohne Anker auf der Flut,
Und der Männer loser Muth.
Selten wißen die Beiden
Sich des Wegs zu bescheiden,
Schweben so oft auf fremdem Meer:
Die Woge wirft sie hin und her
Mit Wanken und mit Schwanken.
Der Männer irrende Gedanken,
Sie möchten minnen ohne Ziel,
Wie ein ankerloser Kiel
Reist ohne Ziel der Reise.
Isot, die höfsche, weise,
Die junge süße Königin,
Zog also die Gedanken hin
Aus manches Herzens Schiffe,
Wie der Magnet zum Riffe
Die Barke bei Syrenensang.
Ihr Singen in die Herzen drang
Laut und offen durch das Ohr
Und heimlich durch der Augen Thor.
Jener offene Gesang,
Mit dem sie allerwärts bezwang,
Das war ihr süßes Singen,
Ihr sanftes Saitenklingen,
Das laut zu offnen Thoren
Durchs Königreich der Ohren
Nieder in die Herzen klang;
So war der heimliche Gesang
Ihre wunderbare Schöne,
Die mit bethörendem Getöne
Heimlich und verborgen sich
Durch der Augen Fenster schlich
In manches edeln Herzens Schrein
Und stellt' ihr Zaubernetz hinein,
Das die Gedanken zuhand
Fieng und mit Stricken band
Des Sehnens und sehnlicher Noth.
So ward die schöne Magd Isot
Seit sie in Tristans Lehre war
Gefördert in dem halben Jahr:
Rein und schön war nun ihr Muth
Und ihr Gebahren süß und gut.
Sie konnte fertig schönes Spiel,
Sie konnte Fertigkeiten viel,
Briefe und Schanzonen dichten,
Die Gedichte sauber schlichten,
Sie konnte schreiben und lesen.
Nun war auch Tristan genesen
Seines Übels ganz und gar,
Daß seine Farbe wieder klar
Und lauter ward sein Angesicht.
Da ließ von ihm die Sorge nicht,
Daß Einer aus dem Heere
Erkennte wer er wäre;
Und lag ihm stäts im Sinne,
Wie er es nun beginne,
Daß er Urlaub nähme
Und aus den Sorgen käme.
Er dachte, würden sie es innen,
Ihm möchten beide Königinnen
Schwerlich jemals Urlaub geben,
Und wuste also, daß sein Leben
Stäts in der Ungewissheit Noth
Bangen müße vor dem Tod.
Da gieng er zu der Königin
Und begann der Rede Sinn
So schön zu zieren dorten
Als stäts vorher mit Worten.
Er kniete vor sie hin und sprach:
»Frau, die Hülf und das Gemach,
Die eure Gnade mir erwies,
Die laß euch Gott im Paradies
Zu Statten kommen immerdar.
Ihr habt so seliglich fürwahr
An mir gehandelt und so wohl,
Daß es Gott euch immer lohnen soll
Und ichs euch stäts gedenken will
Bis an meines Lebens Ziel,
Wo und wie ich armer Mann
Nur eure Ehre fördern kann.
Mag es, selge Köngin, rein
Nun mit euern Hulden sein
So kehr ich heim zu meinem Land,
Denn so ists um mich bewandt,
Daß ich nicht länger bleiben kann.«
Da lachte ihn die Herrin an:
»Wie dein Mund auch schmeichelnd spricht«,
Sprach sie, » Urlaub wird dir nicht.
Du kommst von hinnen fürwahr
Nicht ehe sich erfüllt das Jahr.«
»Nein!« sprach er, »edle Königin,
Seht gnädig an in euerm Sinn,
Wie es um Gottes Ehe
Und Herzensliebe stehe!
Daheim hab ich ein ehlich Weib,
Die minn ich wie den eignen Leib,
Und weiß, daß sie gewisslich glaubt
Und kaum zu zweifeln sich erlaubt,
Ich sei gestorben längst und todt;
Das schafft mir Angst und große Noth:
Denn wird sie anderm Mann gegeben,
So ist mein Trost und mein Leben
Und all die Freude dahin,
Nach der sich sehnt mein Herz und Sinn,
Und werd ich nimmer wieder froh.«
»In Treuen«, sprach sie, » steht es so,
Tantris, das ist ehhafte Noth:
Es soll nach Gottes Gebot
Solche Liebe Niemand scheiden.
So gnade Gott euch Beiden,
Deinem Weibe denn und dir.
Gar ungern laß ich zwar von dir,
Doch will ich dein um Gott entbehren.
Ich muß dir Urlaub gewähren
Und bleibe dir geneigt und hold.
Ich und die junge Isold
Wir geben dir zur Reise
Und zu deines Leibes Speise
Zwei Mark von rothem Golde:
Die nimm dir von Isolde.«
Da dankt' er für die Spende
Und faltete die Hände
(Des Leibes und der Sinnen)
Den beiden Königinnen,
Der Mutter und der jungen Magd.
»Euch Beiden«, sprach er, »sei gesagt
Ehr und Dank von Gott und mir.«
Da säumt' er auch nicht länger hier:
Er fuhr alsbald gen Engelland
Und von England allzuhand
Wandt er sich gen Cornwal heim.
Als Marke nun, sein Oheim,
Und all das Volk im Land vernahm,
Daß er genesen wiederkam,
Sie wurden alle zumal,
So weit der König befahl,
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