Er hatte weder Weg noch Pfad
Als den er selber erst sich trat:
Die Füße bahnten ihm den Weg,
Die Hände legten ihm den Steg;
Er ritt die eignen Arm und Beine
Über Stock und über Steine,
Bis er den Berg hinan geklommen
Auf eine Höhe war gekommen.
Da kam ihm von Ohngefähr
Ein wilder Waldsteig in die Quer,
Mit Gras bewachsen und schmal:
Den gieng er jenseits zu Thal.
Er trug ihn in die Richte hin;
In kurzer Weile bracht er ihn
Auf eine schöne Straße,
Breit in guter Maße
Und viel befahren auf und ab.
Da setzte sich der gute Knab
Zu ruhen weinend nieder.
Da trug sein Herz ihn wieder
Zu den Freunden und dem Land,
Wo ihm ein Jeder war bekannt.
Da fiel ihn großer Jammer an;
Zu jammern hub er wieder an
Und klagte Gott sein Ungemach.
Herzinnig blickt' er auf und sprach:
»Gott, mein Herr und Rather,
Meine Mutter und mein Vater,
Wie verloren sie mich nun!
Weh, was ließ ich nicht beruhn
Mein leidiges Schachzabelspiel,
Das ich immer haßen will!
Sperber, Falken, Schmierlein,
Die laße Gott unselig sein:
Sie raubten meinem Vater mich.
Um ihretwillen schied ich
Von Freunden und Verwandten.
Alle die mich kannten,
Mir gönnten Lieb und Gutes,
Die sind nun trübes Muthes
Und haben Angst und Noth um mich.
Ach süße Mutter, wie du dich
Mit Klage quälst, ich weiß es wohl.
Dein Herz ist, Vater, Leides voll:
Ich weiß wohl, daß ihr Beide
Überladen seid mit Leide.
Und Gott im Himmel! wüst ich doch,
Daß ihr wüstet, daß ich noch
Gesund bin und das Leben habe:
Eine große Gottesgabe
Wär das euch, darnach auch mir.
Denn fürwahr, ich weiß, daß ihr
Kaum oder nie mehr werdet froh,
Es füg es denn der Himmel so,
Daß ihr erfahrt, ich sei geborgen.
Tröster du in allen Sorgen,
Gott im Himmel, füge das.«
Derweil der Knabe also saß
Klagend wie ich kund gethan,
Sah er von fern zu sich heran
Zwei alte Waller kommen,
In Gottseligkeit der Frommen
Betagt schon beid' und hochbejahrt,
Dazu bebartet und behaart
Wie meist die Waller sind, die wahren
Kinder Gottes, wenn sie fahren.
Diese Wallenden beide
Trugen zum Kleide
Leinmäntel an und solch Gewand,
Wie es ziemt dem Wallerstand.
Mit Meermuscheln man es sah
Besetzt von außen hier und da;
Und fremder Zeichen sonst genug.
Ihrer Jedweder trug
Den Pilgerstab an der Hand;
Ihre Hüt und all ihr Beingewand
Ganz nach der Waller Rechte.
Dieselben Gottesknechte
Trugen an den Schenkeln
Leinhosen, ob den Enkeln
Eine Handbreit wohl zu klein,
Doch straff gebunden an das Bein;
Füß und Enkel waren bloß
Für den Tritt und für den Stoß.
Sie trugen auf den Schultern auch
Nach des Büßerlebens Brauch
Den frommen Schmuck der Palmen.
Ihr Gebet und ihre Psalmen
Und was sie konnten Gutes
Lasen sie selgen Muthes.
Tristan, als er sie kommen sah,
Zu sich selber ängstlich sprach er da:
»Du mein gnädger Herr und Gott,
Wie werd ich jetzo gar zu Spott!
Die beiden Männer, die da gehn,
Wenn sie mich hier sitzen sehn,
Sie mögen mich wohl fahen.«
Doch als sie ihm zu nahen
Begannen, daß ihr Pilgerstab
Und Kleid sie zu erkennen gab,
Da verstand er wohl ihr geistlich Leben
Und begann den Muth emporzuheben.
Sein Gemüthe ward ein wenig froh;
Aus vollem Herzen sprach er so:
»Dank dir, gnädger Herre mein;
Dieß mögen gute Leute sein.
Ich darf nicht Angst vor ihnen haben.«
Alsbald geschah es, daß den Knaben
Die Zwei vor ihnen sitzen sahn.
Wie höfisch er bei ihrem Nahn
Vor ihnen auf vom Sitze sprang
Und die schönen Hände vor sich zwang
Alsbald begannen ihn die Zween
Aufmerksamer anzusehn,
Und wurden seiner Zucht gewahr.
Freundlich trat heran das Paar
Und begann ihn mit dem süßen
Gruße zu begrüßen:
»Dê vous sal, bêas amis!«
»Viel lieber Freund«, bedeutet dieß,
»Gott möge dich erhalten.« –
»Ei«, sprach er, »Dê benîe
Si sainte Compagnîe.«
»So heilige Gesellschaft
Segne Gott mit seiner Kraft.«
Da sprachen ihm die Beiden zu:
»Liebes Kind, woher bist du,
Oder was hat dich hierher gebracht?«
Tristan war gar wohl bedacht
Und gewandt genug in jungen Tagen;
Er begann sein Märchen vorzutragen:
»Ihr frommen Herren«, sprach er gleich,
»Ich bin daheim in diesem Reich
Und sollte reiten heute,
Ich und andre Leute,
Zur Jagd in diesem Walde da.
Da entritt ich, wie es nun geschah,
Den Hunden und dem Jagdgesind.
Die der Waldsteige kundig sind,
Die ritten beßer als ich,
Denn ohne Steig verritt ich mich
Bis ich ganz verirret war.
Da nahm ich eines Holzwegs wahr,
Der brachte mich an einen Graben:
Da ließ mein Pferd sich nicht enthaben,
Es wollte immer weiter
Bis endlich Ross und Reiter
Fiel auf Einen Haufen nieder.
Nun konnt ich so geschwind nicht wieder
In meines Rosses Bügel,
Es entriß mir Zaum und Zügel
Und lief in den Wald vor mir.
So kam ich an dieß Pfädchen hier;
Das hat mich hergetragen.
Nun kann ich Niemand sagen,
Wo ich bin, wohin ich soll.
Nun, gute Leute, thut so wohl
Und sagt mir an, wo wollt ihr hin?« –
»Freund«, sprachen sie da wider ihn,
»Ist es der Wille Gott des Herrn,
So wären wir noch heute gern
Zu Tintajöl in der Stadt.«
Da hub er gütlich an und bat,
Daß sie ihn ließen mit sich gehn.
»Lieber Freund, das soll geschehn«,
Sprachen die Waller zu dem Kind,
»Willst du dahin, so komm geschwind.«
Da gieng mit ihnen Tristan.
Unterweges entspann
Sich der Rede mancherlei.
Wie jung der höfsche Tristan sei,
Mit Reden war er doch so schlau,
Daß er auf jedes Wort genau,
Sie fragten dieses oder das,
Die Antwort gab im rechten Maß.
Er wog auf seiner Wagen
Sein Reden und Betragen
So scharf, daß es die Weisen,
Die hochbetagten Greisen,
Für Gottesgaben achteten
Und erstaunt betrachteten,
Wie sein Anstand leicht und frei
Und von Leib wie schön er sei.
Die Kleider, die er an sich trug,
Betrachteten sie auch genug,
Weil Alles reich und edel war,
Und das Gewürke wunderbar.
Da sprachen sie in ihrem Muth:
»Ach, lieber Gott im Himmel gut,
Wer oder wannen ist dieß Kind,
Des Sitten also edel sind?«
Sie giengen ihn betrachtend,
Auf all sein Wesen achtend,
Und hatten Kurzweile
Wohl eine welsche Meile.
Nun geschahs in kurzer Stunde –
Seines Oheimes Hunde,
Des Königs Mark von Cornewal,
Hatten zu demselben Mal,
Wie uns die rechte Märe sagt,
Einen zeitgen Hirsch erjagt,
Der Straße, die sie giengen, nah.
Ereilen ließ er sich allda
Und stand, so heißts, zu Bile .
Seine Kraft war am Ziele.
Der Athem war ihm gar benommen.
Nun waren auch die Jäger kommen,
Die da Hörner laut erschällten
Eh sie den Hirschen fällten.
Tristan, als er den Bil ersah,
Zu den Pilgern sprach er da
Beredt mit schlauem Munde:
»Ihr Herren, diese Hunde,
Diesen Hirsch und diese Leute,
Seht, die verlor ich heute:
Da ich sie hier wieder fand,
So bin ich nicht mehr unbekannt.
Hier bleib ich nun; gebietet mir.«
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