Je me recommande bien à Dieu ,
A Notre-Dame mère de Dieu ,
A saint Jean, à saint Matthieu ,
A saint Marc, à saint Luc ,
Les quatre apôtres du bon Dieu
Qu’ils me prennent et me gardent
De tout malheur
Il pourrait bien m’arriver dans ma vie
Que je puisse L’offenser .
Ich befehle mich ganz und gar Gott an,
der heiligen Mutter Gottes,
Sankt Johannes, Sankt Matthäus,
Sankt Markus, Sankt Lukas,
den vier Aposteln des lieben Gottes,
die sich meiner annehmen und beschützen mögen
vor allem Unheil,
denn es könnte mir im Leben widerfahren,
dass ich mich gegen Ihn versündige.
Das Morgengebet lautete wie folgt:
Mon Dieu qui cette nuit
M’avez gardée au lit
De tout mal et de larmes
Faute d’autres trésors
Je Vous offre mon cœur
Tous mes biens et mon âme ...
Gott, der du diese Nacht
über meinen Schlaf gewacht und
mich vor allem Übel und vor Tränen bewahrt hast,
ich schenke Dir, mangels anderer Schätze,
mein Herz, alles was ich habe, und meine Seele ...
Die Gebete meiner Kinderzeit waren kindlich, aber schön! Wenn ich zu Ende gebetet hatte, erfüllte mich ein großer Friede, und es war, als würden sie mich gegen alle Gefahren schützen. Sie milderten meine Sorgen und Ängste und gaben mir die verloren gegangene Lebensfreude zurück. Es war selten, aber es kam doch vor, dass ich zu weinen anfing, wenn die Leute im Dorf mich »Marie des Brebis« riefen. Es nützte nichts, dass ich ihnen sagte, mein Name sei Marie Bonneval, es war, als hörten sie es nicht. Ich glaube nicht, dass dies in der Absicht geschah, mich zu verletzen, sie waren es einfach so gewohnt und es geschah ohne bösen Willen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich schließlich damit abzufinden, aber es fiel mir nicht leicht.
Sobald ich vom Dorf heraufkam, lief ich zu Augustine auf die Hochebene, um die Herde zu hüten. Sie gab mir zu essen und kehrte auf den Hof zurück. Ich blieb aber nicht lange allein. Elodie und Marguerite, die ebenfalls Schafe hüteten, leisteten mir Gesellschaft. Mit der Zeit waren sie echte Freundinnen geworden, vor allem Marguerite, die nur ein Jahr älter war als ich, mit ihren roten Haaren und sehr hellen, fast farblosen Augen. Ich hatte bislang immer nur mit älteren Menschen gelebt und genoss es nun, mit Mädchen meines Alters zusammen zu sein. Und wie gern hatte ich sie, meine neuen Freundinnen! Kaum konnte ich es erwarten, sie jeden Abend zu sehen, und donnerstags und sonntags, wenn schulfrei war, auch tagsüber. Sie brachten mir Lieder bei, die wie folgt begannen:
La tourterelle
Qui est si grande
Ne fait qu’un ou deux petits
Et moi pauvre mésangette
Si petite, si petite ,
Je fais quinze ou seize petits .
Die Turteltaube,
die so groß ist,
bekommt nur ein oder zwei Junge.
Und ich armes, kleines, kleines Meislein
ich bekomme fünfzehn oder sechzehn Junge.
Ich lernte von ihnen auch jede Menge Spiele, die uns oft die Schafe vergessen ließen: Alle Vögel fliegen hoch , den Abzählvers Lasst uns im Wald spazieren gehen, Ringlein, Ringlein, du musst wandern , bei dem ein Kind herausfinden muss, wer von den anderen einen Ring in der Hand versteckt hält, Seilspringen, La main chaude , eine Art Blindekuh, und Schweinchen in der Mitte . Den Ball für dieses Spiel fertigten wir aus einer alten Socke an, und ich verstand ihn sehr viel geschickter zu werfen, als ich es heute könnte. Die guten Mädchen, sie waren mir so lieb! Elodie starb 1918 an der Spanischen Grippe und Marguerite drei Jahre darauf; ich weiß nicht mehr, an welcher Krankheit sie starb, da ich zu jener Zeit den Hof verließ. Wie fröhlich und lebenslustig sie waren. Und wie oft ließen wir uns wie Fässer die Hänge hinunterrollen, unter großem Gelächter. Häufig haben wir uns gegenseitig Disteln in die Haare geworfen oder Hagebutten in den Nacken gesteckt. Einmal wurden wir sogar von einem aufgebrachten Wildschwein überrascht, und nur unseren kleinen schnellen Beinen verdanken wir unser Leben. Aber wie sorglos waren wir und wie herrlich war diese Zeit der Freiheit auf den Weiden und in den Wäldern!
In dieser Zeit gab es im Winter viele abendliche Zusammenkünfte, und jedes religiöse Fest gab Anlass zu Fröhlichkeit. Es fing mit dem ersten Tag im neuen Jahr an: Es war Sitte, dass die Kinder von Haus zu Haus gingen, um Neujahrsgeschenke zu erbitten. Gewiss, es war nicht viel, denn nicht alles, was glänzte, war Gold in Fontanes: ein Geldstück, ein Apfel, eine Crêpe, eine Waffel; aber es kam von Herzen! Wir bedankten uns und wünschten den Leuten ein gutes neues Jahr.
Zu Maria Lichtmess backte Augustine Crêpes aus Roggenmehl, und es war Sitte, dass immer eine davon auf einem Teller auf dem Ofen gestellt wurde, damit das Geld in der Familie nicht ausging. In der Kirche kauften wir eine gesegnete Kerze. Diese nahmen wir dann mit auf den Hof, und sie sollte das Anwesen davor beschützen, dass der Blitz einschlug. Alexis war davon überzeugt, dass es an Lichtmess gefährlich sei, die Schafe auf die Weiden zu treiben. Er sagte, indem er den Zeigefinger belehrend erhob:
Per Nostro-Damo dé la condillero ,
tiro loï fedos del prat, bergero!
Für unsere Liebe Frau an Lichtmess,
hole die Schafe von der Weide, Hirte.
Es war ohnehin unerheblich, da das Wetter zu dieser Jahreszeit nur selten schön war, aber nicht ein Jahr verging, ohne dass er sein Lieblingssprüchlein anbrachte.
Am 5. Februar, dem Namenstag der heiligen Agathe, läuteten die Glocken den ganzen Morgen lang, um zur Elfuhrmesse zu rufen, die zur Feier der Aussaat und der kommenden Ernte gehalten wurde. Unter keinen Umständen durfte man diese Messe verpassen, zu der die Leute hinströmten wie an Ostern. Und dann kam die Karnevalszeit, die ich mit Ungeduld erwartete. Am frühen Nachmittag verkleidete ich mich mit meinen beiden Freundinnen mit alten Lumpen und einer schon vor längerer Zeit gebastelten Maske aus Karton, mit zwei Löchern für die Augen. Die Haare mit einem Tuch verhüllt, zogen wir los ins Dorf, wo die jungen Leute eine Strohpuppe angefertigt hatten, »le pauvre Carnaval«, mit der sie singend durch die Straßen zogen:
Adiou, paouré; adiou paouré
Adiou paouré Carnobal …
Dann gab es Reigen und Kreistänze ohne Ende, zu denen sich von Zeit zu Zeit Männer oder Frauen gesellten, die sehnsüchtig an ihre eigene Jugendzeit zurückdachten. Gegen 16 Uhr, nachdem viel getrunken, gesungen, gelacht worden war, wurde der arme Karneval auf dem Dorfplatz verbrannt, und man ging von Haus zu Haus, um Crêpes zu essen. Mein Gott, wie schmeckten diese Crêpes gut, man verzehrte sie am Kamin, nachdem einem Nase und Ohren bei der Kälte draußen fast abgefroren waren! Und der Glühwein erst, der die Wangen erröten und in den Augen der Jungen und Mädchen Sterne aufleuchten ließ. Was gäbe ich darum, diese Momente nur eine Stunde lang wieder zu erleben, als alte Frau, die ich mittlerweile geworden bin und die sich nicht einmal mehr ohne freundliche fremde Hilfe fortbewegen kann.
In der Fastenzeit nahmen wir auch nicht das kleinste Stück Fleisch zu uns, und Augustine achtete streng darauf. Oft kam es zu Auseinandersetzungen mit Alexis, der wie alle Männer nicht dieselben religiösen Vorstellungen hatte wie sie. Am Palmsonntag nahmen wir Buchsbaum oder Lorbeer mit zur Kirche, um sie dort segnen zu lassen. Wir hängten die Zweige über die Zimmertüren, neben das Kreuz, und beim Abendgebet wandten sich ihnen unsere Blicke zu. Ich erinnere mich, dass wir am Gründonnerstag und Karfreitag zur Kirche gingen, am Samstag vor Ostern jedoch suchten wir in Gruppen Eier auf den Bauernhöfen und den einsamen Gehöften, um beim Heimkommen Omelette zu essen. Auf dem Hin- und Rückweg sangen und schrien wir:
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