Christian Hennecke · Gabriele Viecens
Gottes Design entdecken
Wie der Geist weht,
wo er will
Das Potential der Gabenorientierung
Christian Hennecke · Gabriele Viecens
Gottes Design entdecken
Wie der Geist weht, wo er will
Das Potential der Gabenorientierung
echter
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹ http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
1. Auflage 2017
© 2017 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter.de
Umschlag: Peter Hellmund (Foto: shutterstock)
Satz: Hain-Team ( www.hain-team.de)
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
ISBN
978-3-429-04347-6
978-3-429-04915-7 (PDF)
978-3-429-06335-1 (ePub)
Inhalt
Einleitung: Gabenorientierung ist „en vogue“! – Zur aktuellen Situation
I. Entdeckungen und Herausforderungen
1. Gabenorientierung schillert – Zu den Ambivalenzen einer Neuentdeckung und ihrer Agenda
2. Gabenorientierung ist Spitze … eines Eisbergs
3. Gabenorientiert von Anfang an – Der genetische Code des Christseins und der Kirche
4. Gabenorientierung provoziert – Die überraschende Kirchenentwicklung
5. Gabenorientierung zwischen Explosion und Implosion – Notwendige Unterscheidungen
6. Gabenorientierung ist nicht steuerbar … oder doch? – Leitungsdienste umdenken und umpraktizieren
7. Gabenorientierung zwischen Rufen und Berufenwerden – Von der Entmythologisierung einer heiligen Kuh
II. Weitungen
1. Gabenorientierung und der Blick auf die Zeichen der Zeit
2. Prozesse und Werkzeuge als Impulsgeber im Kulturwandel
3. Gottes Design entdecken – ein Praxismodul
Anhang
Schreiben von Papst Franziskus an den Präsidenten der päpstlichen Kommission für Lateinamerika, Kardinal Marc Ouellet
Exodus 18, 13–26
Danksagung
Einleitung: Gabenorientierung ist „en vogue“! – Zur aktuellen Situation
Wenn man in die deutsche Kirchenlandschaft schaut – sei sie katholisch, evangelisch oder freikirchlich –, so scheint Gabenorientierung heute tatsächlich „en vogue“ zu sein. Eine „Welle“, die kräftig auch in die Fortbildungsprogramme der meisten deutschen Bistümer hineinspült und dort Spuren hinterlässt: „Auf jeden Fall ein Charismenseminar“, das scheint eine Option zu sein, die ganz schnell in den Blick rückt, wenn „Kirche“ heute versucht, engagierte und fähige Christen zur Mitarbeit zu bewegen. Oder, wie eine evangelische Kollegin von einem Anruf erzählt: „Sie haben doch da so ein Gabenseminar zur Optimierung der Mitarbeitergewinnung.“
Charismenseminar – Gabenseminar – Gabenorientierung: wir treffen auf Begrifflichkeiten, die unterschiedlich sind. Manchmal ist das, gerade auch für die Teilnehmer an Seminaren, verwirrend. Der Unterschied in den Begrifflichkeiten deutet aber auch auf Unterschiedlichkeiten im Gabenverständnis hin. Es gibt kleine, aber feine Nuancierungen zum Gabenbegriff in den theologischen Hauptfächern, abhängig auch davon, welche Konfession gerade zu Wort kommt. 1
Deshalb setzen wir hier vorab eine kurze begriffliche Klärung zu unserem Sprachgebrauch im Blick auf Seminare und Workshops. Während wir, katholisch, oft von „Charismenseminaren“ sprechen, ist bei unseren evangelischen und freikirchlichen Geschwistern eher von „Gabenseminaren“ die Rede. Aber jenseits aller Nuancierungen im Gabenverständnis ist doch Fakt, dass – gleich unter welchem Namen – solche Seminare immer aus mehreren Teilen bestehen, von denen die Charismen in einer paulinischen Kriteriologie nur ein Teil sind, nicht aber der einzige. Im Folgenden werden wir also, besonders im Blick auf praktische Module, von Gabenseminaren und Gabenorientierung sprechen. Aber last, but not least, ist doch auch interessant, dass sich das griechische Wort „Charisma“ in weitaus weniger biblischen Belegstellen finden lässt, als die Rede von den Gaben. 2
Und eine zweite Klärung ist wichtig: ein Seminar – Charismen oder Gaben – zur „Optimierung der Mitarbeitergewinnung“ verweist auf den Rahmen, in dem das Thema Gabenorientierung oft noch diskutiert und auch praktiziert wird, und zwar meistens entlang der beiden gleichen Linien: Es geht um „Kirche“ – und zwar in einer sehr binnenkirchlichen Sicht. Aber dahinter verbergen sich auch, auch wenn das nicht immer so offen kommuniziert wird, sehr oft noch die Sorge und die Vorstellung, dass es eben Menschen braucht – die „Ehrenamtlichen“ –, die die Aufgaben erfüllen sollen, die nun einmal erledigt werden müssen, ganz besonders in Zeiten, in denen die Zahl der Hauptamtlichen immer kleiner wird.
Aber ist das wirklich alles? Wenn wir ernst nähmen, was sich jenseits aller noch so angestrengten und anstrengenden Versuche der „engagierten Mitarbeitergewinnung“ vollzieht und an vielen Orten schon längst vollzogen hat, käme uns ein radikaler Perspektivwechsel – und eben auch eine neue Zielrichtung – in den Blick: weg von den vermeintlich zwingend vorgegebenen Aufgaben, die „noch“ erfüllt werden „müssen“, hin zu den Menschen, die durch ihr Engagement der Kirche an ihrem Ort Gestalt und Gesicht geben. Also weg von einer aufgabenorientierten, hin zu einer gabenorientierten Pastoral und so hin zu einer Kirche, deren Antlitz die Getauften sind. Und so wird dann in der Tat verständlich, dass Gabenorientierung ein wesentlicher Baustein von Kirchenentwicklung ist.
An dieser Stelle wollen wir noch einmal einen Blick in die Eingangsgeschichte dieser „Bewegung“ werfen, auf deren Welle eine Vielzahl von Gaben- oder Charismenseminaren schwimmt. Denn auf dieser Welle schwimmt auch eine riskante Engführung, die da heißt : Gabenfindung und -orientierung gleich Gabenseminar.
Am Anfang dieses „Siegeszuges“ von Gabenseminaren im deutschsprachigen Raum stand am häufigsten der Kurs einer freikirchlichen Gemeinde aus Chicago. Die „Willow Creek Community Church“ hatte ein Seminar entwickelt, das auch im katholischen Kontext oft durchgeführt wurde (und wird!) – das D I E N S T-Seminar: Dienen im Einklang von Neigungen, Stärken und Talenten. 3Das klang und klingt stimmig und interessant, wenn man darüber nachdenkt, wie Menschen in einem gemeindlichen Kontext ihre Talente und Fähigkeiten zum Einsatz bringen können. Und so wurden an vielen Orten Kurse ausgeschrieben, die sich in erster Linie an die Ehrenamtlichen richteten und ihnen einen Raum öffnen sollten, genau diesen Talenten auf die Spur zu kommen.
Aber die Rede von der riskanten Engführung lässt sich hier belegen. Denn das, was zunächst von vielen begeistert aufgenommen wurde, warf immer öfter auch Fragen auf – und zwar meist vor einem sehr konkreten Hintergrund! Die Erfahrung nicht weniger Ehrenamtlicher war oft ziemlich desillusionierend: wenn die neu entdeckten oder bestärkten Gaben zum Einsatz gebracht werden sollten und wollten, blieb dann doch oft alles irgendwie beim Alten, weil es letztlich ja darum zu gehen schien – und sehr oft auch ging! –, Menschen zu finden, die helfen, die anstehenden Aufgaben zu erledigen. Auch wenn das natürlich nicht so direkt gesagt wurde, die schmerzvollen Erfahrungen sprachen und sprechen weiterhin für sich. Denn wenn Menschen energiegeladen und „einsatzbereit“ von einem solchen Seminar zurückkamen und -kommen und es dann keinen Ort gibt, ihre (neu) entdeckte Gabe ins Spiel zu bringen oder sie ins Spiel bringen zu dürfen, sind Enttäuschung und Frustration vorprogrammiert.
Hier zeigen sich erste Spuren, denen wir in diesem Buch weiter nachgehen wollen: die Frage nach dem konkreten Kontext und nach unserem Verständnis von Partizipation. In der Willow-Creek-Gemeinde, in der das D I E N S T-Seminar entstanden ist, war und ist das ganz klar: es geht darum, in einer konkret existierenden Gemeinde Menschen zu ermöglichen, dass sie ihre Gaben genau dort einbringen können. Konkret also um einen Dienst an und in einer fest definierten Gemeinde.
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