Laura Kier - Der Geist der Spiegelkatze

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Wer bist du, wenn du nicht weißt, woher du kommst?
Was wird aus dir, wenn du nicht weißt, wohin du willst?
Der Straßenkater Taps kennt nur die Gassen von Paris. Tagein, tagaus kämpft er dort gemeinsam mit dem Halsbandsittich Faruun ums Überleben. Von einem besseren Leben können sie nur träumen. Faruuns größter Wunsch ist es, in seine Heimat nach Afrika zurückzukehren. Doch dazu brauchen sie wohl ein Wunder.
Dieses Wunder begegnet Taps mit dem Menschen Loan, denn der kann ihn erstaunlicherweise verstehen. Plötzlich scheint es nur noch ein Tauschgeschäft entfernt, seinem Freund den sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Der Preis ist jedoch um ein Vielfaches höher, als Taps gedacht hat: Von nun an könnte ein unbedachter Maunzer sein Leben und das seiner Freunde kosten.

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Der Geist der Spiegelkatze

Laura Kier

Band 8 der Katzenreihe

©Laura Kier 2021

Machandel Verlag Haselünne

Charlotte Erpenbeck

Cover-Bild und Illustrationen: Kasyanovart, shutterstock.com

ISBN 978-3-95959-312-0

Teil 1

Baldrian im Laternenlicht

Schräge Vögel Paris So schön ist nur Paris krächzte Faruun Taps Pfoten - фото 1

Schräge Vögel

„Paris! So schön ist nur Paris!“, krächzte Faruun. Taps' Pfoten schnellten auf seine Ohren. „Nur Guinea ist viel schöner!“

Während der Halsbandsittich weitersang, starrte Taps den Vogel grimmig an. „Glaubst du, du kommst schneller nach Afrika, indem du mir die Ohren vollheulst?“

„Kunstbanause!“ Faruun brach seinen Gesang ab und landete auf einem Stapel Kisten über dem Kopf des Katers. „Warum meckerst du überhaupt? Du hörst doch eh nur wenig.“

Taps legte eine Pfote über die Augen und schüttelte den Kopf. „Von wegen. Ich verstehe dich viel zu gut. Mein Knickohr bewahrt mich leider nicht vor deinem grauenvollen Krächzen!“

„Wie auch immer. Was machen wir hier? Ich dachte, wir wollten zum Hafen. Unsere Reisepläne nach Afrika? Ich will endlich raus aus Paris! Hier ist es kalt und –“

„Ja, ja. Später.“

„Nicht später! Das Schiff fährt sonst ohne uns.“ Empört plusterte sich der Halsbandsittich auf, wodurch seine grünen Federn in alle Richtungen abstanden. „Du hast es mir versprochen!“ Das letzte Wort zog er besonders in die Länge.

Taps fauchte ungehalten. Er wusste ziemlich genau, was er Faruun versprochen hatte. Aber noch konnte er dieses Versprechen nicht halten. Erst brauchte er abermals die Hilfe des Vogels. Also musste er Faruun beschwichtigen. „Bitte. Ich schaffe das nicht ohne dich! Danach machen wir uns direkt auf den Weg in den Hafen. Ehrenwort!“

„Wirklich? Du versprichst es?“

Taps nickte.

„In Ordnung. Was soll ich tun?“

„Da oben, siehst du die Seilwinde?“

Faruun hob den Kopf. „Ja, und? Soll ich nun Stahlträger für dich bewegen? Das ist Menschenarbeit, nicht unsere!“

Taps zog eine tote Ratte hinter dem Stapel hervor. „Die muss nach da oben.“

„Wie bitte? Wozu?“

„Als Warnung. An die Schiffsratten, dass sie dich in Ruhe lassen.“

„Das soll ich dir glauben?“ Faruun legte den Kopf schief. „Ich kann von hier nicht einmal das Wasser sehen!“

„Na ja, also …“, druckste Taps herum. „Die Ratten sind ähnlich gut vernetzt wie wir Katzen …“

„Geht es wieder einmal darum, dass du diese anderen Straßenkater beeindrucken möchtest? Oder haben sie dir das als Mutprobe aufgegeben?“ Der Halsbandsittich blinzelte. „Moment! Es gibt überhaupt kein Schiff, oder?“

„Ach Faruun, ich möchte ja mit dir nach Afrika reisen, aber wir beide können nicht lesen. Woher soll ich wissen, wohin die Schiffe fahren?“

„Menschen? Zuhören? So wie wir es bislang immer gemacht haben?“ Der Halsbandsittich krächzte laut. „Wir wollten uns gegenseitig helfen! Im Moment habe ich aber das Gefühl, du hilfst nur dir selbst. Ich will nach Hause.“ Er senkte den Kopf und rieb seinen Schnabel an der Kante der Kiste.

Taps schob die Ratte ein Stück zu Faruun. „Was erwartest du? Ich teile mein Essen mit dir und du darfst dich nachts zu mir kuscheln. Außerdem passe ich auf, dass die anderen Katzen dich in Ruhe lassen.“ Es tat ihm weh, was sein Freund ihm an den Kopf warf. Natürlich hatte er immer wieder Ideen und brauchte dafür die Hilfe des Vogels, aber die meisten seiner Einfälle halfen ihnen beiden. Ja, es ging auch um sein Ansehen unter den Katzen, aber das war wichtig, damit die anderen Straßenkatzen sie in Ruhe ließen.

„Du machst es mir nicht einfach“, schimpfte Faruun. „Also schön. Da soll die Ratte hoch? Und du glaubst, das würde die anderen interessieren? Vor allem da du eh nach Afrika möchtest?“

„Sicher ist sicher. Außerdem spricht es sich vielleicht bis Guinea herum. Jedenfalls haben sie gesagt, ich würde mich das eh nicht trauen. Aber so früh morgens sind die Menschen noch nicht auf der Baustelle unterwegs. Also von daher … Was soll uns passieren?“

„Sie werden uns auslachen!“

„Quatsch! Wieso sollten sie?“ Taps kräuselte die Schnurrhaare.

Faruun schüttelte sich. „Weil keiner dieses mickrige Vieh als Ratte bezeichnen würde. Selbst dann nicht, wenn er sehr wohlwollend wäre.“

„Was?“

„Na, guck sie dir doch mal an! Die ist doch viel zu winzig! Nicht größer als eine Spitzmaus und …“

„Von wegen!“ Aufgebracht sprang Taps zu Faruun auf die Kisten, mit der Ratte im Maul, und legte sie dem Vogel vor die Füße. „Das ist ein wahres Prachtstück! Guck sie dir doch mal genau an. Wundervolles dreckiges Fell, dazu ein herrlicher Braunton, der nur noch vom Rosa …“

Der Halsbandsittich krächzte schräg. „Das ist vielleicht ein Jungtier, wenn du Glück hast! Aber wenn das die anderen Katzen sehen …“

„Dann werden sie staunen“, ertönte hinter ihnen eine ruhige Stimme. Lieblich und verführerisch klang sie.

Eine Katzendame wie aus dem Bilderbuch. Weiches, graues Fell, das in der Morgendämmerung einen leichten bläulichen Schimmer annahm. Dazu herrliche grüne Augen.

Taps Schwanz schnellte nach oben. Rasch schluckte er den Sabber hinunter, der drohte ihm aus dem Maul zu laufen. So eine Schönheit hatte er unter den Straßenkatzen noch nie gesehen. Aber das hier war Paris. Wunder gab es an jeder Straßenecke, wenn man bereit für sie war. So hatte er schließlich auch Bekanntschaft mit Faruun gemacht und bislang war es eine außerordentliche Freundschaft.

„Faruun an Taps! Aufwachen!“ Der Vogel schnappte sich den Schwanz des Katers und zerrte daran. „Eine Dame lässt man nicht warten.“

„Vielen Dank, mein Lieber. Warten tue ich tatsächlich. Allerdings auf den Sonnenaufgang. Habt ihr ihn mal von da oben gesehen?“ Sie hob ihren Blick in Richtung Stahlkonstruktion. „Es soll so hinreißend sein, nur …“

„Nur?“ Taps sah sie an. Doch schnell bereute er es. Er verlor sich in ihren Augen, wusste nicht mehr, was nun der nächste Schritt war. Dabei hatte er doch vor der Rattenjagd jede Minute des Tages so durchgeplant, dass er am Abend bereits einige Ränge unter den Straßenkatzen gestiegen sein musste. So wurde daraus nichts. Also zwang er sich, den Blick abzuwenden. Aber sobald er ihre Stimme hörte, sah er wieder hin.

Leise flüsterte sie: „Ich trau mich nicht. Das ist so hoch.“

„Aber Mademoiselle! Wenn Sie wünschen, dann begleiten wir Sie.“ Galant neigte Taps den Kopf vor ihr.

„Nein, nein. Ich bleibe lieber hier unten in Sicherheit.“ Keck streckte sie eine Pfote von sich und machte es sich auf den Kisten gemütlich. Die von Taps erlegte Ratte sah sie einen Moment intensiv an. „Das ist wahrlich ein Prachtstück.“

„Wirklich?“ Taps warf Faruun einen vielsagenden Blick zu.

Der Halsbandsittich flatterte kurz auf, ehe er sich angewidert von der Ratte abwandte. „Das Ding rühre ich nicht an. Wenn du es da oben aufhängen willst: bitte. Aber ohne mich. Damit wirst du dir keine Freunde machen. Die anderen lachen dich aus, wenn sie das Krüppelstück sehen.“

„Aber, aber“, beschwichtigte die Katzendame ihn. „Bitte streitet doch nicht. Ich finde die Ratte ist ausgezeichnet. Sie wird ganz sicher eine herrliche Mahlzeit abgeben.“

„Siehst du! Dazu ist eine Ratte da. Nicht um sie im Wind baumeln zu lassen.“ Faruun trippelte von rechts nach links. „Wir sollten übrigens endlich aufbrechen.“ Möglichst leise raunte er Taps zu: „Das Schiff, du weißt schon.“

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