Christian Lentz
Kinder des Atoms
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Inhaltsverzeichnis
Titel Christian Lentz Kinder des Atoms Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Epilog
Impressum neobooks
Christian Lentz
Kinder des Atoms
Der graue Lieferwagen mit dem blauen Schriftzug bog in die Albany Street ein und hielt vor dem Haus mit der Nummer 44. Ein Mann im grünen Overall stieg aus, ging um das Fahrzeug herum und öffnete die Heckklappe. Er betrat das Ladeabteil des Lieferwagens, trat an eines der Regale heran, die an den Wänden befestigt waren und glich den Namen auf seinem Zettel mit den dort lagernden Körben ab.
»Zain…Zain…da bist du ja«, nuschelte Kirk Newman in seinen Bart und ergriff den passenden Korb. Der 32-jährige Langzeitstudent hielt sich mit verschiedenen Nebenjobs über Wasser, um sich das sündhaft teure Leben in der Londoner City leisten zu können. Dadurch ließ er sein Studium zwar schleifen, aber man lebte schließlich nur einmal. Reichen Snobs das Frühstück zu liefern gehörte aber zu den Tätigkeiten, die auf seiner "Liebste-Jobs"-Liste recht weit unten angesiedelt waren und er überlegte, dass er womöglich demnächst kündigen würde. Nachdem er den Korb, der jeweils eine Flasche Milch und Orangensaft sowie Brötchen und Croissants enthielt, aus dem Fahrzeug gehoben hatte, stieg er die fünf Treppenstufen zu Hausnummer 44 hinauf und fand dort das Klingelschild, das den Hausbesitzer als den Empfänger seiner Bestellung bestätigte.
»Familie Michael Zain. Na dann guten Appetit«, sprach er wieder zu sich selbst, hängte den Korb an die Türklinke und drehte sich zum Gehen um. Dann hielt er kurz inne, schaute auf die Uhr und sah, dass es gerade mal 5:25 Uhr an diesem Samstagmorgen war. Mit einem diebischen Grinsen ging er nochmal zur Türe zurück, betätigte dreimal in Folge die Klingel und lief daraufhin schnell zu seinem Wagen zurück.
»Süßen guten Morgen Arschloch.« Kirk merke nun endgültig, dass dieser Job nichts für ihn war. So unzufrieden war er selten und er beschloss, gleich am Montag zu kündigen und sich nach etwas weniger Lakaienhaftem umzusehen.
Er ging einen langen, finsteren Gang entlang, an dessen Ende er ein Licht sah. Als er es erreichte, stand er plötzlich am Abgang zu einer U-Bahnhaltestelle. Was machte er hier? Dann erinnerte er sich. Seine Eltern kamen zu Besuch. Er war gefangen in dieser Zeitschleife, die ihn in seine Schulzeit zurückführte und diesen einen Tag immer und immer wieder erleben ließ, ohne etwas an dessen Ausgang zu ändern. Seine Großeltern waren diesmal auch mitgekommen. Sie wollten so gerne einmal das Internat ihres Enkels sehen. Es war dieser verdammte Tag im Juli. Der 7. im Jahr 2005, ein Donnerstag. Er hatte sich eigentlich mit seinem Schwarm Heather verabredet und wollte sie unbedingt sehen. Aber wo seine Familie schonmal in der Stadt war, konnte er sie auch nicht einfach vertrösten. Also beschloss er, erst zu Heather zu fahren und sich dann mit seiner Familie in der Stadt zum Essen zu treffen. Anschließend würden er ihnen dann eine Führung über das Internatsgelände geben. Doch es kam nie dazu. »Bye mein Schatz, bis nachher. Wir lieben dich«, hörte er immer noch die Stimme seiner Mutter aus dem Telefonhörer. Das letzte Mal. Als er die Treppe runter zu den Gleisen gehen wollte, spürte er eine Vibration unter seinen Füßen. Stärker als die, die ein einfahrender Zug verursachen könnte. Michael sah in das tiefe Schwarz, das am Treppenabgang auf ihn wartete. Dann hörte er eine markerschütternde Explosion, spürte, wie ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde und aus dem finsteren Loch des Bahnschachts ein Blitz auf ihn zuraste.
Michael öffnete die Augen und spürte die Steife in seinen Gliedern. Er musste diese Nacht wieder schwer im Traum gekämpft haben und rollte sich schwerfällig bis zur Kante des Betts, wo er sich langsam aufrichtet. Der Alptraum, der ihn auch in dieser Nacht heimgesucht hatte, beschäftigte ihn noch, jedoch wurde der Gedanke an den Anschlag und das dunkle Loch bereits wieder trüber. Mit einem Satz stand er neben dem Bett, reckte sich und dehnte seine Arme sowie den Nackenbereich.
»Wieder ein Alptraum, hm? Du hast dich wieder im Schlaf gewälzt und gesprochen«, hörte er die Stimme seiner Frau, die immer noch im warmen Bett hinter ihm lag und sich gemütlich unter der Decke räkelte. Ohne auf die Frage zu antworten, trat Mike an ihr Schlafzimmerfenster und blickte hinaus. Sie hatten ein schönes Haus im Herzen Londons in direkter Nähe zum Regent`s Park. Sein Arbeitsplatz im Britisch Museum war nur 10 Gehminuten entfernt. Als Kurator saß er an der Schnittstelle von Gesellschaft, Politik und Kulturbereich seiner Stadt und kam so auch mit Leuten in Kontakt, deren Nähe er nicht nur angenehm fand, sondern die er zwingend benötigte, um seinen Job richtig machen zu können.
»Hast du gehört? Ich glaube der Bote hat das Frühstück gebracht. Wir müssen mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. Es ist nicht mal 6«, grummelte Heather, die sich die Decke wieder über den Kopf gezogen hatte.
Plötzlich schnellte die Türe zum Schlafzimmer auf. »Frühstück!"«, schrie es ihm aus drei Kinderkehlen entgegen und die hohen Stimmen klangen noch etwas in seinen Ohren nach. Tom, Carl und Cathy stürmten in das elterliche Schlafzimmer, sprangen auf das Bett und begannen damit, Heather zu belagern, die sich mit einer Kitzelattacke heftig wehrte.
Michael musste schmunzeln. Das Bild, das sich vor ihm abzeichnete, war perfekt. Die vier ihm liebsten Menschen auf der Welt an einem Ort versammelt und so glücklich, wie er glücklicher nicht sein konnte. Er sah wieder aus dem Fenster und dachte an seine eigene Kindheit. Liebevolle Eltern, ein behütetes Heim, innige Freundschaften…Das alles wurde ihm schlagartig an seinem 17. Geburtstag entrissen. Der 7. Juli 2005 öffnete sein Tor zur Hölle, das seither nie mehr vollständig geschlossen werden konnte. Im Zuge der schwersten Selbstmordattentate in der Geschichte Londons hatten sich mehrere islamistische Terroristen in der U-Bahn sowie in einem Doppeldeckerbus in die Luft gejagt. Unter den unzähligen Opfern befanden sich auch seine Eltern und Großeltern, die an diesem Tage mit der Bahn Richtung Russell Square unterwegs waren, um sich dort mit ihrem Sohn und Enkel zum Brunch zu treffen. Nach den Anschlägen war nichts mehr so wie es war. Michael wurde von einem Tag auf den anderen zum Vollwaisen. Alle um ihn herum versuchten ihn zu trösten, boten ihm Hilfe, offene Ohren und starke Schultern an. Aber Michael wollte keinen Trost, er wollte Rache.
Nachdem er die Schule beendet hatte, ging er zum Militär und schloss dort seine Grundausbildung ab. Sein Ausbilder war von der Entschlossenheit und Willensstärke des jungen Rekruten beeindruckt und forderte und förderte ihn auch über die Grundausbildung hinaus. Schließlich empfahl er dem Jungen, für seine persönliche Entwicklung über den Tellerrand hinauszublicken. Dank eines Empfehlungsschreibens und persönlicher Kontakte verbrachte Michael die folgenden Jahre an der Universität der Bundeswehr in München und studierte dort Technische Informatik und Kommunikationstechnik. Die Einblicke in eine andere Armeestruktur taten ihm sichtlich gut und brachten ihn in seiner Entwicklung ein gutes Stück weiter. Nach mehreren NATO-Manövern, Einsätzen am Hindukusch und in Afghanistan sowie im Irak, spürte Michael, dass er das Loch, das die Selbstmordattentäter in sein Herz gerissen hatten, als normaler Soldat nicht füllen konnte. Er wollte mehr tun. Und er sollte seine Chance kriegen. Jack O`Connell, Michaels alter Ausbilder bei der britischen Armee, hatte ihn für die „Blades“ vorgschlagen. Und so wurde Michael zu einem Mitglied der Spezialeinheit SAS (Special Air Service), die die Interessen Großbritaniens in Auslandseinsätzen und geheimen, nachrichtendienstlichen Operationen sicherte.
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