»Das denkst auch nur du. Schließlich kenne ich dein Passwort. Ich werde immer auf dem Laufenden sein, Schätzchen.«
Das konnte ja heiter werden.
Nach dem Frühstück räumten wir den Tisch ab. Diana kochte frischen Espresso, während ich schon mal den Laptop nach draußen brachte, aufklappte und hochfuhr. Das Pavillondach spendete genug Schatten, dass ich trotz der Sonne alles auf dem Monitor erkennen konnte.
Mit zwei Bechern Kaffee kam Diana auf die Terrasse und setzte sich neben mich. »Showtime«, sagte sie grinsend. »Los, Miss Lynx, einloggen.«
Sekunden später waren wir auf meinem Profil, und eine Zahl in einem roten Kreis neben dem Menüpunkt ›Kontaktanfragen‹ informierte mich darüber, dass 32 Männer sich für mich interessierten. Ich war baff.
Diana wollte sich über meine offenbar nicht allzu gut verborgene Verblüffung schier kaputtlachen.
»Hab ich dir doch gesagt!«, quiekte sie vergnügt. »Du bist neu auf der Plattform, und schon stürzen sich alle auf dich wie Wespen auf Apfelkuchen. Gratuliere, du hast die freie Wahl, Schätzchen. Aber ich wage mal die verwegene Prophezeiung, dass höchstens drei von ihnen nicht durch dein Raster fallen werden.«
»Wieso?«
Dianas Grinsen war geradezu diabolisch. »Warte es ab. Ich sagte ja schon: Du wirst eine Menge Elend zu sehen bekommen. Und zu lesen.«
Ich klickte die Liste mit den Anschreiben der hoffnungsvollen Bewerber an. Schon als ich die ersten las, wusste ich, was sie meinte. Denn: Wie sollte ich zum Beispiel auf eine Nachricht reagieren, die lediglich aus dem Wort hallo bestand? Oder aus der kryptischen Mitteilung Kaffe trinken – wobei mich nicht nur die mangelhafte Rechtschreibung irritierte, sondern auch die Unvollständigkeit des Satzes und das Fehlen von Satzzeichen. Handelte es sich hier um eine Frage, eine Bitte oder gar um einen Befehl?
Natürlich bemerkte Diana meine Irritation. »Du solltest dir die Profile der Herren angucken«, sagte sie.
»Auch die von denen, die nicht mehr als zwei oder drei Silben zustande kriegen?«
»Also, speziell denen unterstelle ich ja, dass sie täglich Dutzende ihrer dämlichen Hallos verschicken – irgendeine wird schon anbeißen. Aber auch die solltest du dir näher ansehen, schon allein, um einen möglichst breit aufgestellten Überblick zu bekommen.«
Also klickte ich das nächstbeste Profil an, das mit einer derartigen Nachricht verlinkt war: Wolfgang, Mitte vierzig, Beruf: Lebenskünstler.
»Ah – direkt ein Volltreffer.« Diana nickte zufrieden. »Mit ein wenig Übung kannst du eine Menge aus dem herauslesen, was im Profil steht. Lebenskünstler sind meist arbeitslose Loser, die eine Frau suchen, die sie durchfüttert.«
»Ist das nicht ein bisschen sehr verallgemeinernd?«, fragte ich zweifelnd.
»Mag sein, dass ich dem einen oder anderen Unrecht tue. Aber ich bitte dich: Was verstehst du denn unter einem Lebenskünstler? Sehen wir uns doch mal an, was der gute Wolfgang sonst noch über sich preisgibt.« Sie studierte die Angaben im Profil. »Hm … soso. Keine Auskünfte zur Körpergröße, also ist er ein Zwerg. Ein paar Pfund zu viel auf den Rippen? Also ist er ein kugelrunder Zwerg. Auf die Frage, was er gerne liest, hat er geantwortet: deine SMS. Jesses. In seiner Wohnung dürfte kein Bücherregal zu finden sein. Und wie verbringt er seine Freizeit? Am Computer, aha. Wie dein Tom damals. Erinnerst du dich?«
Blöde Frage. Natürlich erinnerte ich mich. Bis Tom es mir demonstriert hatte, war mir nicht klar gewesen, wie viel Zeit man mit Online-Rollenspielen wie World of Dingsbums verbringen konnte – der sichere Todesstoß für jede Partnerschaft.
»Kapiert?«, fragte Diana. »Der kugelrunde, garantiert vollbärtige Zwerg hockt Tag und Nacht vor seinem Rechner und spielt den Helden, weil er im wahren Leben nichts auf die Reihe kriegt. Ich wette, seine Spielfigur ist ein muskulöser Riese, der aussieht wie der junge Dolph Lundgren. Und er ist damit derart ausgelastet, dass er hier nichts weiter hinkriegt als ein dürres Hallo . Erbärmlich.«
»Wenn du mir Hoffnung darauf machen wolltest, auf dieser Plattform einen netten Mann zu finden – das ist gründlich fehlgeschlagen.«
»Du willst doch nicht sofort wieder die Flinte ins Korn werfen? Nach einer Niete? Was ich dir demonstrieren wollte, ist Folgendes: Du brauchst einen ganz klaren Katalog an Kriterien, und den benutzt du, um gnadenlos auszusieben. Du bist nicht hier, um irgendwelche Kerle zu therapieren. Oder um in jemanden Zeit und Energie zu investieren, der es dir niemals danken wird. Du bist eine gestandene, selbstständige, wundervolle Frau. Vergiss niemals: Du suchst jemanden auf Augenhöhe. Wer sich keine Mühe gibt, fliegt raus, ganz einfach. Es ist dein gutes Recht, alles zu löschen und dir vom Leib zu halten, bei dem du kein gutes Gefühl hast. Es ist dein gutes Recht, an dich zu denken. Und daran, was das Beste für dich ist. Was würde dich denn ansprechen?«
Ich dachte nach. Worauf würde ich anspringen? Der erste Kontakt war entscheidend, um mich abzutörnen oder mein Interesse zu wecken.
»Ich möchte in ganzen Sätzen angesprochen werden. Kein hingegrunztes Wortfragment, sondern vernünftige Anrede, Text und Verabschiedung. So viel Zeit muss sein.«
»Ganz deiner Meinung. Ich gehe sogar noch weiter: So viel Respekt muss sein. Zu den Grundformen zivilisierten Umgangs miteinander gehört schließlich, dass man sich die Tageszeit sagt, wenn man sich begegnet. Wir sind hier eben nicht beim Austausch von Textnachrichten am Handy, die traditionell möglichst knapp gehalten werden. Der Mann soll dir das Gefühl geben, dass er sich mit deinem Profil beschäftigt hat, richtig?« Ich nickte, und sie fuhr fort: »Er muss ja beim ersten Mal keine Romane schreiben, das verlangt kein Mensch. Aber ein paar nette Zeilen solltest du ihm wert sein. Außerdem würde ich an deiner Stelle nur auf Anfragen von Männern reagieren, die ein Foto von sich auf ihrem Profil haben. Damit hast du schon mal zwei Kriterien, mit denen du deine ersten Anfragen aussieben kannst.«
Gemeinsam arbeiteten wir uns durch die Liste. Keine vernünftige Nachricht, kein Profilfoto – alles wurde gnadenlos gelöscht. Kaum fünf Minuten später stand fest, dass Dianas Prophezeiung exakt stimmte: Es blieben drei Männer übrig, die mich in freundlichen Worten angeschrieben und eingeladen hatten, im Gegenzug ihr Profil zu besuchen und bei Interesse zu antworten.
»Ich brauche dringend eine kurze Pause«, sagte ich mit einem Stöhnen und klappte den Laptop zu. »Das muss ich erst mal verarbeiten.«
»Willkommen in der wunderbaren Welt der virtuellen Partnersuche«, erwiderte Diana. »Betrachte es als Spaß und nette Beschäftigung für deine Freizeit. Aber wenn du deinen Traummann finden solltest … Bingo.«
»Hm. Sag mal, muss ich eigentlich auch selbst aktiv werden? Profile durchforsten und Kerle anschreiben?«
»Nee. Du musst gar nichts. Du kannst absolut passiv bleiben und warten, wer sich bei dir meldet. Aber wenn du mal tierische Langeweile hast, kannst du diverse Auswahlkriterien angeben und schauen, wer übrig bleibt. Das Angebot ist überwältigend groß. Deine Aufgabe ist es, buchstäblich die Nadel im Heuhaufen zu finden, die wenigen aufrichtigen Männer im gigantischen Heer der Aufschneider, Lügner und Betrüger. Leider sind diese Single-Plattformen ein Schlaraffenland zum Beispiel für untreue Ehemänner, die ein Abenteuer suchen, und für die liebenswerten Mitglieder der überaus sympathischen Spezies, die allgemein als Heiratsschwindler bezeichnet werden.«
»Aber wie identifiziert man diese Leute?«, fragte ich kleinlaut. Herrje, diese ganze Sache wurde immer komplizierter.
»Also, ein Mann der ausschließlich tagsüber zu normalen Arbeitszeiten mit dir kommuniziert, hat mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zuhause ein Frauchen sitzen. Das kennen wir doch von der Hotline, richtig? Am meisten ist tagsüber los.«
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