Diana saß bereits draußen am Tisch, als ich die frisch aufgebackenen Brötchen aus dem Ofen holte und mich zu ihr gesellte.
»Hast du gut geschlafen?«
Diana nickte. »Ganz hervorragend. Zwar hat Baghira versucht, mich vom Sofa zu vertreiben, aber wir haben relativ schnell geklärt, wer wo schläft.«
»Er wollte nur in deiner Nähe sein. Er pennt nämlich nur dann auf dem Sofa, wenn er Gesellschaft sucht, schließlich hat er sein Krähennest.«
»Verstehe. Dann war das nervtötende Herumtrampeln auf mir also ein Kompliment.« Lächelnd sah sie dem Kater dabei zu, wie er am anderen Ende der Terrasse halbherzige Versuche unternahm, eine beeindruckend dicke Hummel zu fangen. »Hast du keine Angst, dass er gestochen wird?«
»Nicht die Bohne. Erstens stechen Hummeln meines Wissens nur im alleräußersten Notfall, und zweitens hat er noch nie ein Insekt gefangen. Er ist ja nicht wirklich ambitioniert; Baghira agiert lediglich uralte, archaische Instinkte aus, die irgendwo in den Tiefen seines limbischen Systems vergraben sind. Reines Triebverhalten, das ihn nach etwas schlagen lässt, das durch die Luft fliegt. Ich wette, er hat keinen Schimmer, was er da tut. Oder warum er es tut. Glaub mir, gleich wird sein Interesse an dem hübschen Spiel schlagartig nachlassen.«
Und richtig – als hätte er meine Worte verstanden, kam Baghira zu uns getrottet, reckte die Nase interessiert hoch und inhalierte. Dann setzte er sich auf seine vier Buchstaben, guckte ungeheuer niedlich und miaute los.
»Darf er ein Fitzelchen Kochschinken haben?«, wollte Diana wissen. Als ich nickte, riss sie ein schmales Stückchen von der Scheibe ab und hielt es dem Kater hin, der sich sofort possierlich auf den Hinterbeinen aufrichtete und mit den Vorderpfoten nach dem Schinken tatzelte.
Ich hätte jetzt sagen können, dass er normalerweise natürlich nichts direkt vom Tisch bekam, aber wem wollte ich etwas vormachen? Schließlich kam es auch bei mir vor, dass ich ihn so fütterte, anstatt besondere Leckereien in seinen Fressnapf zu tun, wo sie hingehörten. Außerdem wurden meine Erziehungsversuche ohnehin regelmäßig von Doris und Erwin torpediert, die manchmal auf den Kater aufpassten und ihn dann nach Strich und Faden verwöhnten. Ich hatte sie sogar im Verdacht, dass er bei diesen Gelegenheiten seine eigene Miniportion ihres normalen Mittagessens bekam. Gulasch mit Kartoffeln, Möhreneintopf … na gut. Solange er nicht ausschließlich mit Currywurst oder Stulle mit Nutella gefüttert wurde, würde er diese Ausrutscher überleben. Und ein wenig Kochschinken vom Biometzger würde dem Kater ganz sicher nicht schaden.
»Das Sortiment in Bärbels und Franks Geschäft ist klasse«, sagte Diana, »ich bin beeindruckt. Klein, aber erlesen. Läuft der Laden gut?«
»Soweit ich weiß, können sie gut davon leben. Sie haben von Gitti ja nicht nur das Geschäft, sondern auch einen riesigen Kundenstamm übernommen, der nicht abgewandert ist. Und die Lieferanten, mit denen sie teilweise schon seit Jahrzehnten zusammengearbeitet hat.«
»Glück gehabt. So, wie ich es verstanden habe, war Gitti hier die graue Eminenz im Viertel, oder?«
Ich registrierte sehr wohl, dass sie Baghira unter dem Tisch heimlich weiterhin mit Schinkenstückchen beglückte, aber ich tat so, als würde ich es nicht bemerken.
»Das stimmt. Viele Leute sind praktisch mit ihr aufgewachsen, sie haben schon als Kinder von ihr diese Kirschlollis bekommen, die jetzt ihr Nachwuchs abstaubt. Aber sie haben bei Gitti nicht nur deshalb eingekauft, weil sie bei allen so beliebt war, sondern auch, weil die Kunden qualitativ hochwertige Ware zu schätzen wissen. Alles ziemlich gutbürgerlich hier in der Gegend; die geben für Koteletts vom Biobauern mit Freude ein paar Euro mehr aus, als sie beim Discounter zahlen würden. Und es gibt zwar nicht zwölf verschiedene Sorten Äpfel, aber dafür weiß man, woher das Obst stammt – und dass es nicht mit Pestiziden besprüht ist.«
»Ich freue mich so für die beiden«, sagte Diana, »ich habe ihnen gestern Abend angemerkt, wie zufrieden sie mit ihrem Leben und wie unglaublich dankbar sie dir sind.«
Ich seufzte. »Zu dankbar für meinen Geschmack. Mir ist das mittlerweile schon ein bisschen peinlich.«
»Aber vergiss nicht: Sie haben mit dem Geschäft eine echte Zukunftsperspektive; es bietet schon ein wenig mehr Stabilität als der kleine Kiosk. Kleine, gut sortierte Tante-Emma-Läden sind wieder voll im Trend. Und ich wette, Gitti hat ihnen gute Konditionen gemacht.«
»Ich kenne keine Details, aber ich denke schon. Gitti benötigt die Pacht nicht für ihren Lebensunterhalt; außerdem kennt sie die Umsätze und somit Franks finanzielle Möglichkeiten. Ganz sicher hat sie null Interesse daran, ihn ausbluten zu lassen. Ihr war besonders wichtig, dass der Laden nicht dichtgemacht werden muss, wenn sie in Rente geht – deshalb hatte sie sich ja bisher nicht dazu entschließen können. Jetzt hat sie endlich Zeit, ihre frisch erblühte Liebe mit Herrn Wüllenhorst – Alfie – zu genießen.«
Diana griff nach ihrem zweiten Brötchen und schnitt es auf. »Gutes Stichwort, Schätzchen. Wir werden gleich nach dem Frühstück mal nachsehen, was sich in der Zwischenzeit bei Miss Lynx getan hat.«
Verdutzt ließ ich die Tasse sinken, aus der ich gerade hatte trinken wollen. »Jetzt schon? Bist du sicher?«
»Na klar. Wir haben Wochenende. Was glaubst du wohl, wie viele einsame Herren gerade im Liebesgarten unterwegs sind und nach interessanten Damen Ausschau halten? Hunderte. Ach, was sag ich: Tausende! «
»Du machst Witze.«
Diana schüttelte den Kopf. »Niemals war mir etwas ernster.« Sie kicherte. »Na ja, zugegeben, das war vielleicht etwas übertrieben formuliert. Aber es wird bereits etliche Anfragen geben, darauf wette ich jede Summe.«
»Ich kapiere noch immer nicht, wieso du darüber derart gut Bescheid weißt, meine Liebe. Ist es das, womit du dich beschäftigst, wenn Okko mal keine Zeit für dich hat?«
»Oh nein, dann hält Heini mich auf Trab. Außerdem finde ich deine Frage reichlich frech. Ich weiß deshalb so gut Bescheid, weil ich die ganze Ochsentour vor ein paar Monaten mit einer alten Freundin von Okko durchexerziert habe. Sie war seit drei Jahren Single, weil ihr Mann sie verlassen hatte. Und sie war todunglücklich. Sie hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, ihr dabei zu helfen, ein Profil bei einer ähnlichen Plattform anzulegen und sie beim Bewerten der Anfragen zu unterstützen.«
Ich verstand nur Bahnhof. Und realisierte, dass ich wirklich überhaupt keine Ahnung hatte, wie das mit diesen Single-Plattformen funktionierte. Das schien ja eine richtige Wissenschaft zu sein … »Wie darf ich das denn verstehen? Was gibt es denn daran zu bewerten?«
Diana stierte mich entgeistert an. »Herrje – bist du wirklich so naiv, oder tust du nur so? Was glaubst du eigentlich, wie viel Elend du zu sehen und zu lesen bekommen wirst?«
»Und? Hatte Okkos Freundin Erfolg?«
Diana nickte. »Letztendlich schon. Aber mit etlichen Höhen und Tiefen. Dreimal glaubte sie, den perfekten Mann gefunden zu haben, aber …« Sie zuckte mit den Schultern.
»Was ist passiert?«
»Alle drei haben sich von einem Tag auf den anderen nicht mehr gemeldet – nachdem es einen täglichen Austausch gegeben hatte, bei dem sie mit Komplimenten überhäuft worden war. Zack – stumm. Einfach so, ohne Erklärung. Manche Männer sind so.«
Wie ätzend war das denn bitte? »Klingt nicht sehr ermutigend. Wie kann ich mich davor schützen?«
»Kannst du leider nicht. Zumal dann nicht, wenn du so einen Typen richtig klasse findest. Und gerade deshalb ist eine zweite, objektive Meinung – wie meine – Gold wert.«
»Na toll. Du fährst morgen zurück an die Küste, und das war’s dann mit einer zweiten Meinung.«
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