»Aha!« Diana hob den Finger. »Und warum sind diese Leute beziehungsunfähig? Weil sie vielleicht Auswahlkriterien haben, die niemand erfüllen kann. Oder weil kein Mann auf der Welt alle zehn Punkte auf ihrer Liste schafft. Im Prinzip ein echt toller Typ, aber leider disqualifiziert er sich dadurch, dass er gerne Grönemeyer hört. Oder französische Filme liebt. Oder keinen Espresso mag.«
»Du redest nicht zufällig von mir, oder?«, fragte ich misstrauisch. Grönemeyer, französische Filme … das passte.
»Hm … mal überlegen … Rede ich von dir?« Diana legte die Stirn in Falten und blickte nachdenklich ins Nirgendwo. Dann wandte sie sich wieder mir zu und sagte sanft: »Ja, das tue ich, meine Liebe. Ich unterstelle dir, dass du geradezu nach Gründen suchst , um jeden auch nur halbwegs interessanten Mann abzuschießen, der dir zu nahe kommt.«
»Das ist totaler Blödsinn. Ich bin durchaus offen für Bekanntschaften.«
»Und genau das glaube ich dir nicht«, sagte Diana. »Du hast dich hier schön gemütlich eingerichtet in deiner hübschen Singlewohnung. Baghira begrüßt dich, wenn du nach Hause kommst, und leistet dir Gesellschaft, wenn du abends vor der Glotze sitzt. Stell dir dein Leben ohne ihn vor, na los.«
Unwillkürlich blickte ich am Kratzbaum hoch, wo Baghira auf der obersten Plattform leise vor sich hin schnarchte.
»Wie bitte? Warum sollte ich?«
»Natürlich willst du das nicht. Weil du genau weißt, wie öde und leer dein Leben ohne ihn wäre.« Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine Zeit lang musterte sie mich, dann sagte sie: »Na gut. Beweise es.«
Ich verstand kein Wort. »Was soll ich dir beweisen?«
»Dass du für neue Bekanntschaften offen bist. Hol deinen Laptop.«
Loretta bricht in ein unbekanntes Land auf – gut, wenn man eine Expertin an seiner Seite hat
Alles Sträuben half nichts: Diana blieb knallhart und befahl mir mit einer knappen Geste, mich neben sie zu setzen. Einerseits war ich zu beschwipst, um mich ernsthaft gegen ihren diabolischen Plan zu wehren, aber andererseits war ich bei Weitem nicht beduselt genug, um nicht zu schnallen, was sie vorhatte.
Und richtig. Sie fuhr den Rechner hoch, wählte eine Suchmaschine an und öffnete schließlich die Website einer Plattform für Singles, die sich ›Liebesgarten‹ nannte.
Ich verdrehte die Augen. »Liebesgarten – wirklich? Wie pornös ist das denn bitte? Das klingt wie der Outdoor-Bereich eines Swingerclubs, so mit versteckten Grotten und Whirlpools und so. Für die Muttis und Vattis, die es mal ganz verrückt im Freien treiben wollen, aber zu feige sind, ihre wilde Fantasie im heimischen Naherholungsgebiet umzusetzen.«
»Häuptling Zynische Zunge hat gesprochen«, murmelte Diana und deutete auf die Abbildung eines opulenten Gemäldes. »Da – der Name bezieht sich auf ein Bild von Rubens, das so heißt. Also doch nicht so niveaulos.«
»Das muss sich noch zeigen«, erwiderte ich. »Ein klassisches Gemälde als Namensgeber reicht nicht aus, um eine niveauvolle Auswahl potenzieller Partner zu gewährleisten.«
»Was du nicht alles weißt … Allmählich kriege ich den Eindruck, dass du schon auf Dutzenden dieser Plattformen unterwegs warst.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nee. Noch auf keiner einzigen. Aber das sagt mir der gesunde Menschenverstand.«
»Okay, lassen wir das für den Moment mal so stehen. Also. Das hier ist schon mal nix für allzu junges Gemüse, sondern ausdrücklich auf Ü30-Klienten ausgerichtet. Passt also perf…«
»Hast du mich gerade alt genannt?«, fiel ich ihr ins Wort.
»Jedenfalls alt genug, um hier mitzuspielen«, gab sie zurück. »Ich finde es gut, dass es Plattformen speziell für Leute … äh … unseres Alters gibt.«
»Freut mich, dass dich diese Tatsache so freut. Offenbar hast du vor, Okko gegen was Frisches austauschen«, sagte ich amüsiert, und sie schüttelte lachend den Kopf.
»Nicht ablenken, Schätzchen. Hier geht es einzig und allein um dich.«
Sie hatte ja recht – es konnte nicht schaden, mich mal unverbindlich umzusehen. Die Chancen, meinen Traummann unter meinen Arbeitskollegen zu finden, waren denkbar gering, das musste ich zugeben. Wie sollte das bei mir auch funktionieren? Ich arbeitete in einem Callcenter mit Sexhotline, und das beinahe ausschließlich unter Frauen.
Die Möglichkeit, dass es zwischen Kunde und Dienstleisterin jemals funken könnte, war auch nicht gegeben. Das Ganze war eine Einbahnstraße: Die Damen an der Strippe erledigten ihren Job professionell und ohne Gefühle zu investieren.
Kaum vorstellbar, dass sich eine meiner Kolleginnen – oder ich selbst – jemals in Deckhengst69 oder in BigBoss1980 verknallen würde. Umgekehrt sah das schon anders aus, denn manche der Anrufer nahmen die geheuchelte Leidenschaft für bare Münze. Zumindest war das vereinzelt schon vorgekommen.
Also blieb mir nur noch mein Boss Dennis, den ich zwar sehr mochte, aber nicht unbedingt als Mann an meiner Seite. Objektiv betrachtet, war er durchaus attraktiv: groß und sehnig mit kleinem, knackigem Hintern, außerdem großzügig, humorvoll und schlagfertig. Aber … Dennis? Unter diesem Aspekt hatte ich ihn noch nie betrachtet.
Außerdem hatte ich erst letztens durch eine Reportage erfahren, dass der Arbeitsplatz als klassischer Hotspot für Beziehungsanbahnung längst vom Internet abgehängt worden war. Mittlerweile gab es einschlägige Plattformen nicht nur für jedes Alter und jede nur erdenkliche Variante von Partnerschaften, sondern auch von seriös bis hin zu unverhohlener Suche nach rein sexuellem, kurzfristigem Vergnügen.
»Hallo? Bist du eingeschlafen?«, fragte Diana mich plötzlich. »Du bist ja völlig weggetreten.«
»Nee, ich hab bloß nachgedacht«, erwiderte ich.
Sie deutete auf dem Monitor, und ich sah, dass sie auf den Menüpunkt ›Profil anlegen‹ klickte. Eine kleine Eingabemaske erschien, und der Cursor blinkte auffordernd in einem leeren Feld, unter dem ›Bitte gib deinen Namen ein‹ stand.
»Hoffentlich hast du über den geheimnisvollen Nickname nachgedacht, den du dir geben willst«, sagte Diana. »Ich nehme nicht an, dass du dein Profil unter deinem echten Namen anlegen willst.«
Ups. Nein, das wollte ich tatsächlich nicht, dazu war mein Name viel zu … hm … besonders . Kaum vorstellbar, dass es im Ruhrgebiet noch eine zweite Frau gab, die Loretta Luchs hieß. So ein ungewöhnlicher Name war Fluch und Segen zugleich, wie ich im Laufe meines Lebens festgestellt hatte. Beinahe jeder erinnerte sich daran, wenn er ihn einmal gehört hatte.
Das könnte die einmalige Gelegenheit sein, dieser Situation zu entwischen, ging mir plötzlich auf. Scheinbar nachdenklich sagte ich: »Ich muss mir also einen Nickname ausdenken. Leider habe ich gerade nicht den Hauch einer Idee. Wie ärgerlich. Aber weißt du was? Lass uns die Sache überschlafen. Bestimmt fällt uns morgen ein schöner Name ein.«
Ich wollte den Laptop zuklappen, aber Diana schob meine Hand weg.
»Netter Versuch, Loretta, aber nicht sehr überzeugend. Uns wird schon etwas einfallen. Los, denk nach. Du bist doch sonst nicht so fantasielos.«
»Dann brauche ich noch mehr Alkohol«, murmelte ich ergeben und stand auf, um den Wein aus dem Kühlschrank zu holen.
Während ich mich abmühte, die Flasche zu entkorken, hatte ich eine Eingebung. »Ich weiß, wie ich heißen will – Diana!«, rief ich aus der Küche zu ihr hinüber.
Verblüfftes Schweigen, dann: »Bitte? Du willst meinen Namen benutzen?«
Mit einem satten Plopp marschierte der Korken aus dem Flaschenhals, und ich ging zurück an den Esstisch. »Unsinn. Nicht ›Diana, meine Freundin‹, sondern ›Diana, Göttin der Jagd‹. Würde doch passen.«
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