Sie schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in die Tüte. Du wirst kein Profil unter meinem Namen anlegen.«
»Nicht dein Name, sondern …«
Diana hob die Hand, um mich zu unterbrechen. »Stopp. Wir denken uns etwas anderes aus, keine Diskussion.«
Ich schenkte uns Wein nach und setzte mich wieder. Ein leises Geräusch ließ mich hoch zum Kratzbaum blicken: Baghiras Kopf erschien über dem Rand seines Schlafkörbchens. Er musterte uns einige Sekunden lang, dann kam er offenbar zu dem Schluss, dass am Tisch gerade nicht gegessen wurde und unsere Aktivitäten für ihn somit nur mäßig interessant waren, denn er verschwand wieder.
Das war es doch! Ich sah Diana an und sagte: »Baghira.«
Offenkundig verstand sie nicht, worauf ich hinauswollte. »Was ist mit ihm?«
»Nichts. Er schläft. Aber wäre Baghira nicht ein perfekter Nickname?«
»Himmel hilf. Wieso denkst du, dass für dich als Frau der Name eines männlichen Panthers perfekt wäre? Du musst immer an die Assoziationen denken, die der Name auslöst. Oder welche er auslösen könnte . Das Dschungelbuch gehört zur Popkultur unserer Generation. Menschen unseres Alters wissen , wer Baghira ist – ganz eindeutig ein Mann. Also: abgelehnt.«
Ich nahm einen großen Schluck aus dem Weinglas. »Herrje, ist das anstrengend. Wie lange hocken wir hier jetzt schon? Eine Stunde? Zwei? Und wir sind noch keinen Schritt weitergekommen.«
»Das liegt daran, dass du einen Namen brauchst, um das Profil anzulegen. Außerdem sind bisher gerade einmal zwanzig Minuten vergangen.«
»Okay. Dann will ich Miss X heißen. Schreib hin: Miss X. Großes X, bitte.«
Diana rollte derart heftig mit den Augen, dass ich befürchtete, sie könnten aus den Höhlen fallen und über den Tisch kollern. »Miss X? Bist du betrunken?«
Ich hob das Glas und kicherte dämlich. »Ja, stell dir vor, das bin ich tatsächlich.«
»Gut, das lasse ich als Entschuldigung gelten.« Sie prostete mir zu, trank einen Schluck und grinste. »Nichts für ungut, aber dank Madonna klingt Miss X nach nietenbesetzter Augenklappe und viel Leder. Und einer Peitsche. Das schürt Erwartungen, die du nicht erfüllen willst. Oder etwa doch? Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nee. Und selbst wenn, bliebe die Frage, ob ich eventuelle diesbezügliche Vorlieben tatsächlich mit dir zu teilen hätte.«
»Ich bin immerhin deine Freundin!«
»Auch Freundinnen müssen nicht alles wissen, Schatz. Aber tatsächlich bin ich keine heimliche Domina. Ach, Mensch, warum ist das so kompliziert?«
»Hm, du könntest dich natürlich auch Putzimausi, Naschkatze, Traumfrau oder dergleichen nennen.«
»Eher möchte ich tot überm Zaun hängen.«
Diana kicherte. »Das dachte ich mir schon. Außerdem verwette ich meinen Arsch, dass es davon schon etliche gibt. Und wer möchte schon Traumfrau128 sein?« Sie dachte einen Moment lang nach, dann hellte ihr Gesicht sich auf. »Hast du ein deutsch-englisches Wörterbuch?«
Natürlich hatte ich eins. Gab es überhaupt Leute, die so etwas nicht besaßen? Ich holte es und gab es Diana.
»Lu…, Lu…, Lu…«, murmelte sie, während sie mit dem Finger auf der letztlich aufgeschlagenen Seite nach unten fuhr. »Da … Luchs! Na, das klingt doch gar nicht schlecht!« Sie blickte mich triumphierend an. »Lynx . Luchs heißt auf Englisch lynx . Mit Ypsilon. Was denkst du?«
»Lynx … aha. Lynx. Tatsächlich nicht schlecht. Irgendwie mysteriös, oder? Wie wäre es mit Miss Lynx? Dann ist sofort klar, dass ich eine Frau bin.«
»Ja, eine Frau mit Peitsche.«
»Quatsch. Was hast du denn bloß immer mit der Peitsche? Daran ist nur deine Domina-Vergangenheit schuld. Lynx finde ich gut, aber irgendwie zu kurz, zu hart. Ich möchte ja schließlich nicht Mistress davorsetzen, das bedeutet doch Herrin, richtig? Vielleicht klingt dir die Miss deshalb zu sehr nach Peitsche.«
»Hm. Könnte sein. Also gut, die Entscheidung ist gefallen: Du bist Miss Lynx. Ich gebe den Namen jetzt ein.«
Gespannt sah ich zu, wie sie einen Buchstaben nach dem anderen eintippte. Dann klickte sie auf Okay, und ein neues Eingabefeld erschien: ›Bitte geben Sie ein Passwort ein‹.
Auffordernd sah sie mich an, und ich musste diesmal nicht lange nachdenken. »Baghira. Das kann ich mir leicht merken.«
Sie runzelte die Stirn, erhob aber keinen Einspruch. Tipptipptipptipp … das Passwort war festgelegt. Es musste zur Bestätigung ein weiteres Mal eingegeben werden, und dann waren wir drin.
»So, es kann losgehen«, sagte Diana und rieb sich die Hände. »Jetzt gehen wir ins Detail.«
Es begann damit, was ich suchte – Mann oder Frau. Einen Mann, natürlich. Wie alt sollte er sein?
»Das Alter ist mir egal«, sagte ich.
»Ist es nicht. Es sei denn, du willst mit Kontaktanfragen von rüstigen Rentnern zugeballert werden, die für später eine Pflegerin suchen. Also wäre es klug, nach oben eine Grenze zu setzen. Anfang fuffzig, würde ich vorschlagen.«
Ich zögerte. Über fünfzig – das hörte sich plötzlich uralt an. Gut, ich ging stramm auf Mitte vierzig zu, aber das waren lediglich die Ziffern meines Geburtsdatums. Wie ich dachte, handelte und fühlte, schien sich seit meinen Twen-Jahren nicht verändert zu haben. Gut – eine Sache hatte sich doch verändert: Mit zwanzig war ich davon überzeugt gewesen, dass Frauen in den Vierzigern keinen Spaß mehr hatten, Faltenröcke trugen und sich beim Optiker randlose Brillen aufschwatzen ließen, von der Dauerwelle ganz zu schweigen.
Ja, so hatte ich es mir in meiner jugendlichen Dummheit damals vorgestellt.
Leute in der Disco, die sichtlich jenseits der dreißig waren, hatten sich – so schien es mir – an einen Ort verirrt, an dem sie eindeutig längst nichts mehr zu suchen hatten.
Haha, ihr haltet euch wohl für jung, hatte ich höhnisch gedacht, aber ihr seid es nicht mehr und werdet es nie wieder sein – findet euch damit ab.
Und jetzt? Mittlerweile zählte ich gut doppelt so viele Jahre wie damals, aber jeder, der es wagen sollte, mich auf die Anzahl meiner Lebensjahre zu reduzieren, würde ratzfatz feststellen, wie viel jugendlicher Schwung noch in meiner rechten Faust steckte. Na ja, vermutlich würde ich nicht wirklich zuschlagen, aber ich wäre maßlos empört.
Und doch empfand ich gerade einen Mann mit über fünfzig Jahren als viel zu alt für mich. Andererseits: Warum sollte es nicht Männer in diesem Alter geben, die sich – genau wie ich – fragten, warum da dieses seltsame Datum in ihrer Geburtsurkunde stand, das so gar nichts mit ihrem Selbstverständnis zu tun hatte? Die unkonventionell waren, zerschlissene Jeans und Rockmusik liebten? Die als Jungspunde genauso gedacht hatten wie ich damals und längst wussten, wie unglaublich dämlich das gewesen war?
Also nickte ich. »Anfang fünfzig passt. Zwischen Anfang vierzig und Anfang fünfzig.«
»Gut so, das dürfte alles unterhalb und oberhalb dieser Altersgrenzen automatisch rausfiltern. Haarfarbe, Augenfarbe, Größe, Gewicht?«
»Wie … vom Mann?«
»Klar. Kann doch sein, dass du nach einem blonden Hünen mit grünen Augen suchst, der zwingend ein Sixpack haben muss, weil du dich von allem anderen erotisch nicht angezogen fühlst?«
»Das wäre aber reichlich oberflächlich, oder?«
»Mag sein. Aber wenn du ein bestimmtes Beuteschema hättest , könntest du es hier eingeben.« Diana zuckte mit den Schultern und grinste. »Ich glaube, bei jüngeren Frauen sind gerade tätowierte Vollbartträger angesagt, die ihre langen Haare in einem lächerlichen, kleinen Knödelchen tragen, wahlweise eine beknackte Wollmütze, ohne die sie nicht einmal unter die Dusche gehen. Das alles sind Kriterien, die du hier auswählen kannst. Lange Haare, kurze Haare, Glatze …«
Читать дальше