»Okay«, sagte ich. »Dann habe ich ja einiges zu tun. Doch reden wir jetzt noch mal über deinen Enkelsohn.«
Sherman hob den Zeigefinger und griff nach seinem Telefon. »Schicken Sie ihn rein.«
Eine Minute später schlenderte William Goldman in das Büro. Der gut aussehende, fünfundzwanzigjährige Mann stolzierte herein, als hätte er diese Kanzlei ganz allein zu der Bastion gemacht, die sie heute war. Als er mich sah, blieb er kurz stehen, dann setzte er ein Lächeln auf und streckte mir die Hand entgegen.
»Hey, Thomas, alter Junge, schön dich zu sehen! Ich hoffe, du bist wegen ein paar Jobs hier. Ich habe noch einige Vorladungen, die zugestellt werden müssten«, meinte er. William war das absolute Abbild des jüngeren Sherman. Der junge Mann und Absolvent der juristischen Fakultät Vanderbilt trug einen teuren, maßgeschneiderten Anzug und an seinem linken Handgelenk eine diamantene Rolex. Sein braunes Haar wurde von Unmengen an Haarfestiger und Gel in Form gebracht und er gehörte zu den Stammgästen in den angesagten Nachtklubs in der Gulch und der Music Row.
Sherman reckte den Zeigefinger in die Luft und gab William damit zu verstehen, dass er den Mund halten und zuhören sollte. »Er ist hier, um überfällige Rechnungen einzufordern, William. Gibt es ein Problem, von dem ich wissen sollte?« Sherman blieb gelassen, doch der Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.
William nestelte nervös an seiner Krawatte herum. »Nein Sir, überhaupt nicht.« Er sah mich an. »Es tut mir wirklich furchtbar leid, Thomas, es gab da eine Verwechslung, was die Rechnungen angeht. Ich werde mich aber jetzt persönlich darum kümmern, dass man dir deinen Scheck ausstellt.«
»Kümmere dich bitte sofort darum, William. Ich erwarte, dass Thomas bezahlt wird, bevor er das Büro verlässt.«
»Aber die Buchhaltung gibt erst in zwei Wochen wieder Schecks aus«, antwortete er verärgert.
»Ist es etwas Thomas schuld, dass du die Überweisungen nicht rechtzeitig eingeleitet hast?«, hakte Sherman nach. William schwieg. »Dann musst du ihn eben aus deiner eigenen Tasche bezahlen.«
William lief rot an. »Natürlich, Sir«, murmelte er und eilte hinaus.
Shermans Lächeln kehrte nun in sein Gesicht zurück. »Dann ist die einzige Sache, über die wir noch nicht gesprochen haben, wohl die Frage, wann wir uns wieder einmal zum Golfspielen treffen.«
Ich war neugierig, was William und Leona Spieth anbetraf, und deshalb suchte ich ihre Wohnadresse aus der Akte heraus und diktierte sie in mein iPhone. Das Anwesen der Spieths war eine einstöckige Villa im Stil einer Ranch und befand sich in West Meade, einer bekannten Wohngegend in Nashville. Die Häuser waren nicht allzu riesig, hatten zumeist einen großen Vorgarten und waren gut in Schuss. Ich fuhr ein paar Mal um den Block, bemerkte hinter dem Haus noch einen Garten mit Pool, drumherum einen schmiedeeisernen Zaun, aber ansonsten nichts Auffälliges. In der Einfahrt standen auch keine Autos.
» Robard Trucking Company «, sprach ich in mein iPhone und schlug nun die Route ein, die mir die körperlose Stimme ansagte. Zwischendurch musste ich fünf Mal anhalten, um mir die Namen und Adressen der Banken entlang der Fahrt zu notieren.
»Könnte ja vielleicht später wichtig sein«, murmelte ich.
Eine Stunde später fand ich mich an meinem Lieblingsort wieder, einem Zigarrenladen am südlichen Ende der Stadt, ganz in der Nähe der I-65. Als ich den Wagen einparkte, vibrierte mein Handy. Eine Textnachricht, mit derselben Vorwahl wie die Nummer dieser verrückten alten Schachtel von heute Vormittag. Die restlichen vier Ziffern hatte ich bereits wieder vergessen, aber die SMS stammte definitiv von ihr. Ich schaltete den Motor aus und las die Nachricht.
Wir müssen uns unterhalten!
Ich stöhnte, kramte meinen Flachmann hervor und nahm einen großen Schluck. Diese Frau trieb mich so langsam in den Wahnsinn, aber vielleicht besaß sie ja doch genügend Geld, denn immerhin musste ich irgendwie meine Rechnungen bezahlen. Also antwortete ich ihr, dieses Mal ebenfalls als geschriebene Nachricht.
Wenn Sie sich wirklich mit mir unterhalten wollen, schlage ich vor, dass wir uns persönlich treffen und Ihre Situation besprechen. In der nächsten Stunde finden Sie mich in einem Laden namens Mick’s Place .
Ich schrieb ihr die Adresse, tippte auf Senden und betrat den Laden.
Mick O’Hara, der Eigentümer, saß auf einer dick gepolsterten Ledercouch – einer weitaus bequemeren Version als der im Empfangsbereich von Shermans Kanzlei – und las in der Tageszeitung. Er machte sich nicht einmal die Mühe, von seiner Lektüre aufzusehen.
»Gehst du in den Humidor?«
»Zufälligerweise ja.«
»Dann sei ein braver Kerl und bringe mir eine Padron mit. Du weißt schon welche«, sagte er und blätterte seine Zeitung um. So spielte sich das bei ihm immer ab, für gewöhnlich wartete er jedoch, bis ich mich gesetzt hatte, um mir dann zu sagen, dass ich ihm bei der Gelegenheit auch gleich einen neuen Kaffee hätte bringen können. Dieses Mal kam ich ihm allerdings zuvor und füllte gleich beide Tassen, bevor ich mich auf der angrenzenden Couch neben ihm niederließ. Erst dann schien er mich überhaupt richtig wahrzunehmen. Wir holten unsere Zigarren hervor und zündeten sie uns gegenseitig an. Dann zog ich meinen Flachmann aus der Tasche, um meinen Kaffee damit zu verfeinern.
»Na, na, jetzt sei mal nicht so ein knausriger Spaghettifresser.« Erwartungsfroh hielt er mir seine Tasse hin. Ich goss ihm einen reichlichen Schuss ein. »So ist’s recht. Hey, Kim ist gerade losgegangen, um etwas zum Mittagessen zu holen. Soll ich sie anrufen und ihr sagen, dass sie dir auch etwas mitbringen soll?«
»Sie holt aber doch nicht etwa Sushi, oder?« Ich aß nur selten Sushi. Kim, seine koreanische Frau, konnte das aber offenbar den ganzen Tag lang essen.
»Ach was«, spottete Mick. »Heute gibt es ein gutes Südstaaten-Barbecue, mit Krautsalat und Maisbrot.«
Okay, immer noch besser als Sushi, aber Sodbrennen würde ich davon trotzdem bekommen. Ich nickte und er griff nach seinem Telefon.
Mick war irischer Abstammung in vierter Generation und ich war in vierter Generation Amerikaner mit italienischen Wurzeln. Er liebte es, sich zu streiten, was den Iren meiner Ansicht nach in den Genen lag, war aber der Ansicht, dass die Iren den Italienern weitaus überlegen waren und allen anderen eigentlich auch. Nach dreißig Jahren als Feuerwehrmann hatte er seinen Job an den Nagel gehängt und einen Zigarrenladen eröffnet. Ich war damals sein erster Kunde gewesen.
Ich genoss meine Zigarre und machte mich dann widerwillig daran, meine Sprachnachrichten abzuhören. Das meiste war Mist, aber eine stammte von einem alten Freund von mir, Harvey Wilson. Wilson war Sheriff im Ruhestand und er hatte mir über die Jahre hinweg schon öfter unter die Arme gegriffen. Nach dem zweiten Klingeln nahm er bereits ab.
»Ich versuche jetzt schon seit zwei Tagen, dich zu erreichen. Wo zur Hölle hast du denn bloß gesteckt?«
»Was für eine nette Begrüßung, du Saftsack«, antwortete ich.
»Okay, genug mit dem Gesülze. Du musst mir einen Gefallen tun.«
»Hallo, bist du noch dran? Ich verstehe dich kaum.« Ergänzend machte ich ein paar zischende Geräusche.
»Was? Ach, hör mit dem Scheiß auf. Das ist echt wichtig. Also, nicht wirklich wichtig, aber mir hängt meine Frau unentwegt damit in den Ohren, also ist es wichtig genug.«
Ich grunzte. »Okay, schieß los.«
»Der Pfarrer meiner Frau hat eine Cousine zweiten oder dritten Grades. Ihr Ehemann ist kürzlich gestorben. Als Todesursache hat man Selbstmord angegeben, aber die verrückte Frau ist absolut überzeugt davon, dass es ein Mord gewesen ist.«
»Oh Scheiße, Mann, Harvey, nicht einer von diesen Fällen«, stöhnte ich laut auf. »Hast du eine Ahnung, wie oft ich mit so etwas zu tun hatte, als ich noch bei der Mordkommission gewesen bin? Ich verrate es dir … nahezu immer! Und in jedem dieser Fälle gab es einen Freund oder einen Verwandten, der behauptet hat, dass es Mord gewesen wäre. Die gingen einem so was von auf die Nerven. Ich kann gar nicht zählen, wie viele Stunden ich damit verplempert habe, idiotischen Hinweisen nachzugehen, nur damit sich am Ende genau das herausstellte, was wir ohnehin schon die ganze Zeit über gewusst hatten.«
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