»Wenn Sie mir bitte folgen würden?«
Und ob ich das wollte! Sie machte eine äußerst gute Figur in ihrem Sekretärinnen-Outfit. Es schmiegte sich genau an den richtigen Stellen an ihre Kurven. Ich wäre ihr überall hin gefolgt. Sie führte mich in ein Eckbüro, von dem aus man einen wundervollen Blick auf das Stadion der Titans hatte. Sherman saß hinter einem großen und mit Schnitzereien verzierten Walnuss-Schreibtisch und sprach mit einem etwa gleichaltrigen Mann. Als ich das Büro betrat, sah er auf und lächelte mich an.
»Thomas«, begrüßte er mich warmherzig. Er war ein älterer Mann, der so langsam auf die Achtzig zuging, mit einem Engelsgesicht und kahlem Kopf. Nur an den Seiten klammerten sich noch ein paar Büschel weißer Haare. Er lächelte und kniff die Augen zusammen. »Schön, dich zu sehen.« Wir schüttelten uns die Hände und er deutete auf seinen Gast.
»Das ist Richter Barrett Conway.« Richter Conway schien wie Sherman in den Siebzigern zu sein. Sein Gesicht war glattrasiert, sein kurzes graues Haar lichtete sich oben auf dem Kopf ein wenig, und er sah mich mit strahlend-blauen Augen durch eine Gleitsichtbrille mit Drahtgestell an. Auch er gab mir die Hand, während Sherman erklärte: »Wir beide kennen uns schon ewig, wir waren damals zusammen auf der juristischen Fakultät.«
Ich nickte. Sherman Goldman war seit mehr als fünfzig Jahren als Anwalt tätig, also musste ihre Freundschaft wirklich schon eine ganze Weile bestehen. Nach der Begrüßung deutete Sherman auf einen Sessel. Simone, die kurz hinausgegangen war, kam nur wenige Augenblicke später mit einer Tasse und einer Kanne zurück.
»Etwas Kaffee, Thomas?«, fragte sie. Ich nickte dankbar, sah ihr dabei zu, wie sie mir anmutig Kaffee einschenkte, und musste feststellen, dass ich sie von Sekunde zu Sekunde mehr mochte. Als sie fertig war, nahm sie neben Sherman Platz.
»Thomas, Barrett ist Richter am Konkursgericht im mittleren Bezirk von Tennessee.« Richter Conway nickte und erhob sich. Erst jetzt fiel mir auf, dass er einen Gehstock benutzte, aber es war kein gewöhnlicher Gehstock. Ich hatte schon Stöcke wie diesen gesehen. Er war aus dem Hartholz einer Esche gefertigt und ich rechnete förmlich damit, dass eine kleine Drehung am Griff eine spitze Waffe zutage fördern würde. Man konnte nie vorsichtig genug sein , dachte ich.
»Ich lasse euch dann mal allein«, sagte er und warf mir einen ernsten Blick zu. »Sie haben mich hier nicht gesehen, Thomas.« Ich nickte langsam, so als wüsste ich ganz genau, was er von mir wollte, dann gab er Sherman die Hand und ging.
»Ich habe ihm versichert, dass du die Sache diskret behandeln würdest«, erklärte mir Sherman, nachdem Richter Conway uns verlassen hatte.
»Was geht hier vor, Sherman?«, fragte ich.
»Barrett bat ich mich um einen persönlichen Gefallen und ernannte mich im Zuge dessen zum Treuhänder in einer Insolvenz Sache. Ein Chapter-Eleven-Fall.«
Simone beugte sich nach vorn und reichte mir eine dicke Akte. Der Kartenreiter wies die betroffene Firma als Robard Trucking aus – eine Speditionsfirma. Ich überflog die erste Seite, bei der es sich um eine grobe Zusammenfassung handelte. Während ich die Akte anschließend flüchtig durchblätterte, sagte ich: »Wenn ich mich recht erinnere, ist Chapter-Eleven eine Möglichkeit für Firmen, ihre Verbindlichkeiten auf Vordermann zu bringen, während die Geldgeber gleichzeitig daran gehindert werden, zu klagen.«
Sherman lächelte. »Sehr gut, Thomas.«
»Aber ich schätze, da gibt es ein Problem.«
»Für Barrett ist an der ganzen Sache etwas faul, und nachdem ich die Akte gelesen habe, muss ich ihm recht geben. Wir haben den Fall ausführlich diskutiert und dann entschieden, dich mit ins Boot zu holen.«
»Ich kann gern ein paar Vorladungen überbringen, wenn du das willst«, sagte ich.
Sherman lehnte sich in seinem Sessel nach vorn. »Vielleicht sollte ich es dir genauer erklären: Wenn eine Firma den Antrag stellt, nach Chapter-Eleven bemessen zu werden, müssen ein paar bestimmte Auflagen eingehalten werden. Dazu gehört unter anderem, dass der Hauptschuldner binnen einhundertzwanzig Tagen einen Sanierungsplan aufzustellen hat. Im Klartext heißt das: Die Firma muss einen serösen Plan ausarbeiten, wie sie die Schulden abzuarbeiten gedenkt. Die Vorsitzenden von Robard Trucking haben das jedoch bisher versäumt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir glauben, dass die Direktoren der Firma bereits vor Antragstellung einige Zahlungen abgewickelt haben.«
»Und deshalb entschied der Richter, einen Treuhänder einzusetzen«, vermutete ich. Sherman nickte. »Aber, wieso dich?«
»Wie ich bereits sagte, wir kennen uns schon ewig. Wir haben einiges miteinander erlebt.« Er sagte dies auf eine Art, die deutlich machte, dass er nicht vorhatte, näher ins Detail zu gehen, und ich beließ es dabei. Ich meine, Sherman hätte die Sache auch ohne Weiteres einem seiner Junior-Partner übertragen können, aber aus irgendeinem Grund hatte er sich dagegen entschieden, und dieser ging mich offensichtlich nichts an.
Sherman wechselte nun das Thema, indem er auf seine bezaubernde Assistentin zeigte. »Miss Carson hat alle nötigen Unterlagen für dich zusammengestellt.«
Ich sah zu Simone hinüber, nicht ohne zu bemerken, dass er sie ›Miss‹ und nicht ›Missus‹ genannt hatte. Ich gab mir Mühe, möglichst unauffällig nach ihrem linken Ringfinger zu schielen. Kein Ring! Ein gutes Zeichen, zumindest für mich.
»Ich bin immer noch nicht ganz sicher, wie ich dir dabei helfen kann«, sagte ich.
»Ich denke, deine unkonventionelle Herangehensweise ist für diesen Fall wie geschaffen.« Ich sah zu Simone hinüber. Sie blickte mich mit ihren wunderschönen grünen Augen an, jedoch ohne irgendeine erkennbare Gefühlsregung. Ich hatte keine Vorstellung, wie gut sie über mich Bescheid wusste oder was sie in diesem Moment dachte.
»Du willst, dass ich das Geld finde?«
Sherman nickte kaum merklich. »Und alle anderen etwaigen Vermögenswerte.«
»Ich schätze mal, den Vertrag dazu hast du bereits vorbereitet?« Die Frage erübrigte sich. Sherman war die Korrektheit in Person und Verträge gehörten zu seinem Leben. Simone beugte sich zu mir hinüber, angelte sich die Akte aus meinem Schoß und öffnete sie. Direkt auf der ersten Seite befand sich der Vertrag.
»Ja, das dachte ich mir schon«, murmelte ich. Es war ein Standardvertrag, zusammen mit einer umfangreichen Verschwiegenheitserklärung. Simone reichte mir einen Kugelschreiber und ich unterschrieb.
»Ich mache Ihnen eine Kopie davon«, sagte sie und verließ danach das Büro. Wieder ertappte ich mich dabei, wie ich ihr hinterher starrte, und zwang mich dazu, schnell wegzuschauen, bevor Sherman mich dabei erwischte.
»In der Akte findest du Informationen über William und Leona Spieth, der Vorsitzende der Firma und die Vize-Präsidentin, die zufälligerweise auch noch Eheleute sind«, erklärte er. Ich sah in der Akte nach und fand die beiden. Schnell überflog ich ihre Daten, bevor ich Sherman wieder ansah.
»Du glaubst also, die beiden schaffen Vermögen beiseite?«
»Es scheint ganz so, und das ist der Punkt, bei dem ich denke, dass sich deine unkonventionellen Ermittlungsmethoden auszahlen könnten.«
Ich grinste ihn an. Seine Andeutung bezog sich auf einen Freund von mir, Roland. Einem introvertierten jungen Mann, der immer ein wenig so aussah, als würde er an beginnender Magersucht leiden und außerdem, wie es der Zufall so wollte, ein absolutes Computergenie war. Sherman ließ mich damit stillschweigend wissen, dass er sich Resultate erhoffte … aber falls man meinen Aktivitäten auf die Schliche kommen und diese strafrechtlich verfolgen würde, wäre er natürlich komplett unschuldig und hätte keinerlei Kenntnisse über derlei schändliches Vorgehen gehabt.
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