Darum geht es. Was wissen die davon. Die bezahlen es mit Geld. Und das Geld, das muss er haben. Das ist ein Geld wie keines. Davon geht kein Pfennig ab. Keine Steuern und kein Groschen für Winterhilfe und für all die blechernen Tellersammlungen, die das soziale, klingende Gewissen des Dritten Reiches sind. Oder sollte er eines Tages einer alten Frau am Tisch der Wohlfahrt sagen »Mütterchen, für die warme Wassersuppe, die du da isst, habe ich einem Mann den Kopf abgehauen. Vielleicht war es dein Sohn oder dein Gatte oder dein Bruder, dass du vor der Zeit ein altes Weib darob geworden bist. Und guten Appetit auch, für die Suppe.«
Nein, ganz und gar musste er das Geld haben. Der Klubsessel einmalig. Und gelegentlich die Brasilzigarren. Aber das Geld, das Geld floss jetzt reichlich. Die deutsche Reichsaxt hat zu tun. »Köpfe werden rollen«, hatte Hitler gesagt. Und am Tage darauf war Hermann Hutt in die Nazi-Partei eingetreten. Er war bis dahin nur Mitglied des Tierschutzvereins gewesen. Er war nicht für Vereinsmeierei. Er wollte es nicht darauf ankommen lassen, ob man ihn aufnahm oder abwies. Aber damals war er in die Partei eingetreten. »Köpfe werden rollen.« Nicht rollen. Sie fallen. Aber das war ein Programm (für Hermann Hutt, Schlächtermeister und Scharfrichter). Mochten sie alle sagen, Hitler habe kein Programm, oder er habe es nicht gehalten. Was ging ihn das an. (Nichts von Politik.) Das Programm, das man ihm in Aussicht gestellt, das hatte man gehalten. Das Geld muss sich häufen. Muss zu einer Menge werden. Gerade darum, weil er nicht Weib hat und nicht Kind. Eines Tages wird man sagen: »Scharfrichter Hutt, Sie haben dem Staat lange genug treu gedient. Andere wollen auch mal ran.« Dann wird er sein Geld nehmen und fort fahren. Nach Monte Carlo wird er fahren. In das Spielcasino wird er gehen. Und mit einem König von Spanien und einem König von Siam wird er am Roulette-Tisch sitzen. Vielleicht werden noch andere Könige da sein. Und er wird sagen: »Majestät, sie waren einmal König. Ihre Krone, wo ist sie jetzt? Ich aber habe höchst königliche Menschen und auch andere, die aber zählen nicht, eigenhändig enthauptet. Und da setze ich jetzt so einen Kopf auf Rouge. Und Sie, Sire, setzen Sie auf Noir?«
»Wissen Sie, wessen Kopf ich da eben auf den Tisch getan habe? Das ist Etkar Andrés Kopf. Ich habe den Mann gesehen, Sire. Das eine Mal nur, als er das Schafott bestieg. Ich weiß nichts von dem Mann. Sie sagen, er habe dafür gesorgt, dass die proletarischen Arbeiter der Welt einander mit geballter Faust grüßen. Sie sagen, er sei der beste Freund der deutschen Arbeiter gewesen. Er war selbst ein Arbeiter, sagen sie. Sie sagen auch, wegen dieses Mannes hätten manche Könige oder sonstwie Mächtige der Erde nicht ruhig schlafen können.«
»Ihre Ehre ist nicht meine Ehre und meine Ehre ist nicht Ihre Ehre. Denn uns trennt die tiefe Kluft der Weltanschauungen. – Sollten Sie trotzdem das Unmögliche hier möglich machen und mich zum Richtblock bringen, so bin ich bereit, diesen schweren Gang zu gehen, denn als Kämpfer habe ich gelebt und als Kämpfer werde ich sterben.«
Wer sprach da? Wer, dass wir nicht schlafen können?
Nun, sie können wieder ruhig schlafen. Ich habe ihm den Kopf abgeschlagen. Das war der großartigste Tag meines Lebens. (Man sagt, es seien mehr Tränen um ihn geweint worden, als um alle Könige der Welt zusammen.) Als er vor mir stand, sah er mich an und lächelte. Er war der einzige Mensch, der mir je zugelächelt hat. »Rotfront, Genosse«, sagte er zu mir, dem Beilrichter des Dritten Reiches. Da konnte ich nicht anders. Ich sagte »Rotfront, André«, aber ich sah schon nichts mehr, der Rausch war schon um mich und ich hob das Beil. – Später ging ich durch die Stadt. Wo Zettel geklebt waren, mit der Mitteilung von des Mannes Hinrichtung. Menschen standen davor und lasen das. Und dann gingen sie fort und sprachen kein Wort. Ich aber, Sire, ich habe das Haupt abgeschlagen. Und es ist Etkar Andrés Haupt, das ich auf Rouge setze. Wagen Sie es, Majestät, und setzen Sie Noir.«
Nein und nein. Den Mann muss er haben. Den Mann und das Geld. Wie kommt ein hergelaufener, amerikanischer Gesandter dazu, sich da hineinmischen zu wollen? (Was geht das diesen Amerikaner denn an?) Wir brauchen hier überhaupt keine Ausländer (keine Engländer und keine Franzosen und keine Amerikaner.) Deutschland für die Deutschen. Das ist eine rein deutsche Angelegenheit. Da hat sich niemand hineinzumischen.
Das Geld muss er haben. Und den Mann. Der gehört ihm doch schon. Der war schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Nur der Führer hat das Recht, hier hineinzureden. Den wird er nicht begnadigen, den nicht. Der steht schon unter dem Beil. Jawohl. Hat nicht Hermann Hutt schon Nachrichten erhalten, sich für diese Hinrichtung bereit zu halten? Jede Stunde hätte das Telegramm kommen können, das ihn berief. Hermann Hutt ballte die Hand, öffnete und schloss sie wieder. Er fühlte die warme Ebenheit des eichenen Beilgriffs in der inneren Fläche der Hand. Die Ringe würde er abstreifen und in die Westentasche stecken, um fester das Holz umklammert zu halten. Aber erst im letzten Augenblick. Ringe gehörten zur Festlichkeit der Stunde. (Der Mann steht schon unter dem Beil. Und da kommt irgendein Ausländer und pfuscht da hinein?
Den Mann und das Geld. Das Geld und den Mann. Hier geht es um Deutschlands Ehre. Hermann Hutt hat sich um Politik nicht gekümmert, das ist wahr. Als er Pg. geworden, hatte er eigentlich nichts getan als Beiträge bezahlt. Zu Anderem wollte man ihn auch wohl garnicht haben. Nicht einmal zum Gasexerzieren. Aber einerlei. Er war Pg. Und seine Pflicht hatte er getan. Wie keiner im ganzen Reich. Gewiss, es geht ihm hier ebenso sehr um seine eigene Sache, wie um die Sache der Nation. Der Mann steht unter dem Beil und das Geld ist schon gerechnet. (Politik hin und Politik her.) Die Partei hatte die Pflicht, ihm zu seiner Sache zu helfen. Er wird zum Sturmbannführer gehen. Man muss die SA auf die Straße holen. Man muss eine Demonstration machen. Deutschland für die Deutschen. Gibt es da nicht einen amerikanischen Konsul in der Stadt? Man muss vor das Konsulat ziehen. Die SA, das Horst-Wessel-Lied. Und dann die Scheiben einwerfen.
(Das ist man dem Führer schuldig. Der Führer sollte doch ermordet werden. Die Bomben sind sichergestellt. Der Führer muss wissen, dass die Nation hinter ihm steht.)
So geht er zum Sturmbannführer. Dem leuchtet die Sache ein. Aber er hält sich nicht für zuständig. Das müsse der Gauführer entscheiden. Der Gauführer? Dann hörte die Demonstration doch auf, eine spontane Äußerung des Volkes zu sein. Darum ginge es doch. Gewiss. Gewiss. Aber spontane Geschehnisse sind nur wirkungsvoll, wenn sie richtig vorbereitet und organisiert sind. Ohne den Gauführer geht das nicht.
Nein. Zum Gauführer wird Hermann Hutt nicht gehen. Aus diesen und jenen Gründen nicht. Damit ginge auch viel zu viel Zeit verloren. Wer weiß, was die Diplomaten inzwischen in Berlin treiben. Haben die Diplomaten nicht immer verdorben, was das Schwert erkämpfte?
Dann wird Hermann Hutt nach Berlin fahren. (Den Mann muss er haben und das Geld.) Er wird zu diesem amerikanischen Gesandten sagen: Herr, lassen Sie gefälligst Ihre dreckigen Hände aus dem Spiel. Hier stehe ich. Ein deutscher Mann. Und ich sage Ihnen, kümmern Sie sich gefälligst um Ihre eigenen Angelegenheiten und nicht um unsere. – Vielleicht ist der Gesandte ein Jude. Die Amerikaner sollen ja alle Juden sein. (So wie dieser Bürgermeister von New York, der Saujud.)
»Mann, sind Sie blödsinnig geworden?«, haut der Sturmbannführer mit der Hand auf den Tisch. »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst. Na, ja. Im Grunde haben sie ja recht. Aber wir wollen doch von den Amerikanern eine Anleihe haben. Wissen Sie das nicht? (Der Jakob Goldschmidt, diese gottverdammte Judensau, soll die Verhandlungen führen, weil Schacht überall abgeblitzt ist. So ist das.) Hier heißt es: Maul halten und parieren. Verstanden? Und nun gehen Sie gefälligst ganz ruhig wieder nach Hause.«
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