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Gut, gut. Es hat auch das so sein Gutes. Der Mann Leonhard Glanz, vom Hundertsten ins Tausendste kommend, geriete in äußerste Peripherie, wo es sich doch hier um ihn dreht und er kein alter Kaiser ist, dass er am marmelsteinernen Tische sitzen dürfte, mit nichts beschäftigt, als sich den Bart wachsen zu lassen, durch die Tafel hindurch. Sondern er sich mit der Zeitung herumschlagen muss, in der von allem dem ja garnichts steht. Und niemals davon etwas darin gestanden hat. Hier nicht und dort nicht und überhaupt in keiner ehrenwerten Zeitung der Welt. Ich bitte Sie, Sklavenhandel und so. Ist das ein Thema für die Zeitung? Ist das ein moralischer Stoff? Informiert man so seine Leser, die ihre Ruhe haben wollen? Bitte sehr, ich kann auch solche Reime machen:
Hallo, hier ist Afrika.
Donnerwetter, Afrika
Algier, Tunis und Marokko,
Samum, Monsun und Schirokko.
Tsetsefliegen und Bananen,
Zulus, Panther und Lianen,
Niger, Berber, Karawanen,
Palmen, Löwen, Zebra, Gnu,
Suaheli, Kautschuk, Kru,
Kaffee, Schlangen und Vanille, Hottentotten, Pumas, Kongo,
Kesselpauken und Fanfaren, Bambus, Palmenöl und Malongo.
Bantus, Kiliman und Dscharo, Tschadsee, Massais, Beduinen,
Gorillas und Nilpferd und Nilpferdpeitschen. Kimberley- und Rhodes-Minen.
Kamerun und Kordofan,
Emin Pascha und Sudan,
Stanley, Wissmann, Livingstone
und so weiter. Sehen Sie. Das sind 28 Zeitungsartikel über ihre vertrackte Negerfrage. Oder ein Hörspiel für Radio, nachmittags von vierzehn Uhr, bis vierzehn Uhr fünfundzwanzig. Überhaupt steht alles, was Sie über diese Dinge zu wissen brauchen, doch in der Zeitung. Jawohl, man muss es nur zu finden wissen. Weiter hinten, noch weiter. Halt. Na also: Bar- und Tanzparkett Imperial. In diesem Monat allnächtlich die vier Johnsons. Die mondänste Neger-Jazz-Band. Und Fatme, die rassige, arabische Bauchtänzerin. Bauchtänzerin ist gut. Diese Fatme. Nein, bitte sehr, ich bin Kavalier. Ich habe nichts gesagt. Ich sagte nur: Diese Fatme. Sehen Sie, da haben sie alles, was ein zivilisierter Mitteleuropäer von diesen Dingen zu wissen braucht. Darüber hinaus hatte sich auch Leonhard Glanz nicht den Kopf darüber zerbrochen. Und jetzt auf einmal kommt er da nicht mehr zurecht, wegen des Weißbuchs, das eine spanische Regierung einem löblichen Völkerbund zu überreichen sich anschickt.
Was kann denn nun in diesem Weißbuch stehen, dass Mussolini seine Veröffentlichung als einen unfreundlichen Akt ansehen würde? Dass Italien auf Seiten des Rebellengenerals Franco regelrecht Krieg führt gegen die legitime spanische Regierung? Das weiß doch die ganze Welt. Das weiß sogar das arme Schneidermeisterlein in Berlin. Das braucht doch nicht noch schriftlich bewiesen zu werden. Was änderte sich mit solchem Weißbuch von dieser Zeiten Spott und Schande, in dieser Welt des Als-Ob. Die Italiener schießen auf die Spanier, den Briten an der Nase vorbei, und die Briten tun, als ob sie es garnicht merkten. Deutsche Flugzeuge segeln nächtlich über Frankreich nach Spanien und die Franzosen tun, als ob sie es garnicht wüssten. Regierungschefs erklären, dass sie ein Regime von Rebellen weder als Regierung, noch als kriegführende Macht anerkennen können und tun am nächsten Tage so, als ob sie das nicht gesagt hätten. Seeräuber des Jahres 1937 verseuchen die Meere mit Treibminen, nennen solches Banditentum eine Blockade, und die gescheitesten Seerechtskenner der Schifffahrt treibenden großen Nationen tun so, als ob das rechtens sei und nicht Piraterie. Infam käufliche Landsknechte der Luft (Luftknechte?) werfen Brisanzbomben auf Frauen und Kinder und die Kulturwelt tut, als ob nicht festzustellen sei, wer diese schurkische Mordbrennerei angestellt hat. Wer da lügt, dem glaubt man, als ob er die Wahrheit spräche. Wer die Wahrheit spricht, den sperrt man ein, als ob er ein brutaler Verbrecher sei. Schtaatsmänner schmettern faustdicke Verlogenheiten in die Welt und die Pressekommentatoren tun, als ob sie diskutierten. Kriegsverbrecher läuten Friedensglocken und Kirchenfürsten tun, als ob es aus ihren Domen tönte. Mit dem Als-Ob voltigiert eine um alles wissende Menschheit über die breitesten Abgründe, aus denen die Hölle zum Himmel stinkt. Alles das an einem einzigen Tage und im Bereich der hohen Politik, sodass sogar eine ganz simple, opportunistische Zeitung für den Familiengebrauch dabei das große Kotzen bekommt und ihren Hauptartikel, vorne, auf der ersten Seite mit dicker Schlagzeile überschreibt: »Die Groteske von Bilbao«, als ob das ungeheuerliche Frevelspiel wirklich eine Groteske sei und seine Tragödie erst später einsetzen sollte.
Wölfe hängen sich lose Schafsfelle über und die arbeitsamen Pferde, wohl wissend, dass es schlecht verkleidete Raubtiere sind, warten ruhig ab, dass sie ihnen an die Gurgel springen? Anstatt mit kräftigem Huftritt sie zu empfangen? Nein, aber: Hier ist eben der große Karneval des Als-Ob.
Raubmörder gehen im Frack auf Gesellschaft und die Damen und Herren reichen ihnen die Hände, weil der Frack verpflichtet. Frack ist mehr als Mörderhände. Obwohl sie wissen, dass es auf die Brieftaschen abgesehen ist. Die Fracks machen einander Verbeugungen. Ganz als ob …
Ein Massenmörder von Weltrekord lässt sich gerne mit Kindern fotografieren. Das ist nicht denkbar? Richtig. Denkbar ist es nicht. Nur die Wirklichkeit bringt das fertig. Die Kinder machen ein ängstlich verschüchtertes Gesicht, während sie ihm Blumen überreichen. Sie wittern die Blutatmosphäre. Er aber, der Massenmörder, grinst. Was mag in solchem Augenblick in ihm vorgehen? Es geht vor, dass er denkt: Hoffentlich ist der Grinser gut auf die Platte gekommen, wegen der Popularität.
Herostrat zündete den Artemis-Tempel zu Ephesus an. Dieser abscheuliche Massenmörder da eben aber hieß Haarmann. Er ward verurteilt und gerichtet. Die Namen sollten der Vergessenheit angehören, aber leider erhalten sie sich.
Also geben Sie schon ihr Weißbuch her, oder geben Sie es nicht her. Überreichen Sie es dem Völkerbund, offiziell, oder präsentieren Sie es den Mitgliedern privat. Was darin steht, wissen wir so schon und wir werden tun, als ob wir es nicht gelesen hätten. Letzter, endgültiger Kompromissvorschlag.
Ich glaube an die Macht der Lüge. Kommt einer und will mir durchaus die Wahrheit sagen, schmeiß ich ihn hinaus. Einer, der durchaus etwas will, ist ein Fanatiker. Fanatiker sind sowieso polizeiverdächtig.
Wieso verdächtig? Das habe ich doch gleich gesagt. Er hatte immer schon so einen komischen Blick. Unsere Waschfrau hat das auch gesagt, dass Leute mit so komischem Blick zu allem fähig sind. Auf einen Diebstahl wirds dem auch nicht ankommen. Wo heutzutage so viele silberne Löffel gestohlen werden. Wer weiß, womit der isst. Der Hungerleider. Und wer stiehlt, der raubt. Bis zum Mord ist es nicht mehr weit. Am besten, man hängt ihn gleich. Wo er vielleicht noch dazu ein Jud ist. Aufhängen. Aufhängen! An den höchsten Galgen.
Das Volkswohl fordert es. Das Volkswohl, vertreten durch die öffentliche Meinung. Die öffentlich Meinung, aufgehetzt durch eine Pressekampagne. Die Pressekampagne, inauguriert als Ablenkungsmanöver, zwecks Wiederherstellung der durch die Börse tangierten Ruhe und Ordnung.
Einerlei. Der Mörder muss gehängt werden. So ein Lump. Hat silberne Löffel gestohlen. So ein Kerl mit komischem Blick. Denken Sie nur. Ein Fanatiker sag ich Ihnen. Hat partout die Wahrheit sagen wollen.
Zum Beispiel wird da in dem spanischen Weißbuch stehen: Ein Befehl des italienischen Divisionsgenerals Mancini, (wirklich dieser Leute-in-den-Tod-Schicker heißt Mancini, wie jene Maria, die eines gewaltsamen Kardinals schöne Tochter war – ihr Bild hängt in irgendeiner internationalen Galerie, vielleicht sogar im Kaiser-Friederich-Museum in Berlin, wenn es nicht zu Devisenzwecken ins Ausland verkauft wurde –, und wie jene schöne Zigarre, die durch Thomas Manns Buch vom Zauberberg duftet) gegengezeichnet von dem italienischen Generalstabschef Ferraris, datiert »Arco, 16. März 1937« als in Spanien, indem es heißt:
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