Zwar hatte ein erstes spanisches Parlament so viel Ehrgefühl – wieviel hatte der Sitz gekostet –, einen Abgeordneten Juan March nicht in seinen Reihen haben zu wollen. Zwar gab es einen Korruptionsskandal, Untersuchungsgefängnis und Prozess, aber das war schon ein frischfröhliches Gefängnis. Die Gefängniszelle als Zentralbüro der faschistischen Partei. Die Gefängniszelle als Chefredaktion von so und so viel politischen Zeitungen, die Gefängniszelle, in der das Kabinett des Ministeriums Lerroux ernannt wird, die Gefängniszelle von der aus ein höchster Gerichtshof von fünfzehn Ehrenmännern zur Garantie der Konstitution dirigiert wird – der Gefangene, der die Regierung kontrolliert, die ihn eingesperrt hat –, und schließlich die Luxus-Limousine vor dem Gefängnis und der sehr ehrenwerte Don Juan steigt ein, unter Assistenz von drei Posten und dem Zellenwächter, der mit Tränen in den Augen von seinem spendabelsten Gast Abschied nimmt und die Wagentür schließt – kleine Reisezuschlagskarte hat zwanzigtausend Dollar gekostet –, ab nach Paris.
So sieht der Glatzkopf mit der Brille aus, der Typ des braven Filmprofessors. So sehen die feinen Herren aus, deren Besitz der General Franco verteidigt, und er ist wenigstens einer, der sich den Besitz selbst zusammengeräubert hat. Wie aber erst die anderen Hidalgos, die Herren vom Adel und Großgrundbesitz, von denen eine Hundertschaft mehr Land besitzt als Millionen Bauern. Die patriotischen Patrioten, die damals von Biarritz aus zugeschaut haben, als der deutsche Kampfflieger vor Irun in einer Säule von Rauch und Feuer niederschmetterte und des kleinen Schneiderleins, mit dem großen Bügeleisen, Lebenshoffnung begrub.
Was hatte der deutsche Flieger an der baskischen Front in Spanien verloren? Warum musste er das Kapitel des Juan March verteidigen und die riesigen Güter des stolzen Hidalgos? Weil die Marxisten und Moskowiter immer von der Internationale sprachen, hatte doch der Führer Deutschlands nationale Revolution gemacht. Deutschland den Deutschen. Juden raus. Marxistische Internationalisten raus. Raus mit dem jüdischen Gott, raus mit der verjudeten Bibel, raus mit dem Franken Karl, dem Sachsenschlächter, es lebe Widukind, deutscher Boden, deutsche Art, deutsche Frauen, deutsche Treue. Wer liegt denn da im Bett, bei einer deutschen Frau? Ein jüdischer Teufel. Ein Rassenschänder. Ich habe es durch die Wand gehört. Ich habe es durch das Schlüsselloch gesehen. Ich habe es mit Schweinerüssel erschnüffelt, als Verteidiger der deutschen Ehre. Und wenn ich es zehnmal nicht gesehen, nicht gehört, nicht erschnüffelt hätte, den Eid möchte ich sehen, den ein deutscher Mann im Thing nicht schwören würde, wider Juda, den rassistischen Verderber.
Aber was haben die blonden und blauäugigen Deutschen aller Schattierungen nun wirklich in Spanien zu tun? Alles mal herhören. Streng vertraulich. Wer das Maul nicht halten kann, wer vaterländische Geheimnisse ausplaudert, wird auf der Flucht erschossen, noch ehe er ans Fliehen auch nur denken kann.
Natürlich weiß der Führer. Der, in seiner alles bedenkenden Weisheit, hat es sogar angeordnet. Der Führer in seiner Allwissenheit, treusorgend der deutschen Nation Belange besinnend, bei Tag und bei Nacht, der klug vorausschauende Führer denkt an die spanischen Erze, an die Quecksilbergruben, an Kupfer und Zinn und alles das, so wie die deutsche Industrie es ihm eingab. Heil!
Der Führer in allerhöchster Klugheit besinnt und bedenkt nicht nur die wirtschaftlichen Möglichkeiten und Erfordernisse, sondern auch die militärisch-politischen. Und da er den Frieden will, was er ja selbst immer sagt – ich glaube, was ich sage, du sagst, was du glaubst, er sie es glaubt nicht, was er sie es sagt, wir glauben, was wir nicht sagen, ihr sagt, was ihr nicht glaubt, sie glauben nicht, was sie nicht sagen –, der Führer also, der den Frieden liebt und die Pazifisten nur wegen ihres fremdwörtlichen Namens hasst – Doitscher schbräche Doitsch –, muss mit allen Kräften den Krieg vorbereiten, um den Frieden verteidigen zu können. Etwa gegen die Franzosen, von denen in der Nationalbibel Mein Kampf der drittreichigen Deutschen nachgewiesen ist, dass sie die gefährlichsten Friedensfeinde sind. Und nun denkt der Führer so: Ein faschistischer Spanier würde im Fall eines Krieges, in dem das Frankreich der Volksfront stehen würde, zunächst schon etliche französische Divisionen an den Pyrenäen festhalten. Ein faschistisches Spanien, verstärkt durch deutsche Militärstationen, Flugzeug- und Marinebasen, könnte Frankreich von seinen afrikanischen Kolonien und damit von einem wichtigen Soldatenreservoir abriegeln. Der Führer muss alles edel und klug bedenken, nach seinen Intuitionen, wie ein deutscher Generalstabs sie ihm eingibt. Heil!
Der Kaffeehausemigrant bei seinem Zeitunglesen meint wunders was für Erleuchtungen und Erkenntnisse ihm da werden. Er ahnt ja garnicht, dass alles das platteste Binsenweisheiten sind, die jedermann kennt, und dass es ein unausgesprochenes Übereinkommen zwischen den Politikern, Diplomaten, Staatsmännern der Welt ist, darüber nicht zu reden. Hier sind wir bei den Dingen, von deren Ablauf das Leben, das Leben, das ganze einmalige Leben von vierhundert Millionen Europäern abhängen kann (abhängen wird), samt dem Leben von etlichen weiteren hunderten von Millionen nicht europäischer Menschen, die damit hineinschliddern (erfinden Sie nun endlich mal ein neues Wort für diese infernalische Dummheit) werden. Und nun meint dieser Weltfremdling, man müsse da etwas tun. Zum Beispiel einen Brief an den Völkerbund schreiben. Als ob es für den nicht sehr viel wichtigere Dinge gäbe. Etwa den Schutz patagonischer Minderheiten auf Island.
Schließlich wäre daran zu erinnern, dass Führer auf Italienisch »Duce« heißt. Dass da irgendwo in Rom jemand davon träumt, ein British Empire zerschlagen zu können, um ein neues Imperium Romanum an seine Stelle zu setzen, und dass diesem Traum zuliebe zehntausende italienischer Soldaten, die – zur Ehre der italienischen Nation sei es gesagt – zu den schlechtesten Berufssoldaten der Welt gehören, gegen die unabhängige Freiheit des spanischen Volkes kämpfen und zu tausenden fallen müssen. Da ist Guadalajara. Singt Guadalajara. Da haben die spanischen Sansculottes von 1937 eine italienische Interventionsarmee zusammengeschlagen, so wie die französischen Sansculottes eine Interventionsarmee europäischer Reaktion zusammengeschlagen hatten. Die ruhmreiche italienische Armee, die kurz vorher mit allen Waffen moderner Industrie gegen die barbarischen Abessinier mit Flitzbogen und Pfeilen glorreich gesiegt hatten. Und der Krieg in Spanien wäre nicht – mit und ohne Drittes Reich und seinen Führer –, wenn nicht vorher der italienische Eroberungskrieg in Äthiopien gewesen wäre. Und der italienische Eroberungskrieg in Äthiopien wäre nicht gewesen, wenn nicht vorher im arabischen Hedschas-Yemen-Krieg der italienische Yemen-König aus dem Lande jener Asra, welche sterben, wenn sie lieben, gegen den englischen Ibn-Saud von Hedschas verloren hätte. Und so weiter, und so weiter. So wie rückwärts so auch vorwärts.
Was für den Kaffeehausemigranten auch wieder eine nagelneue Erkenntnis ist anstatt einer Allerweltsweisheit. Er hatte bisher immer nur gelesen, der Duce, in seiner großen Kulturbeflissenheit, habe den Krieg gegen Abessinien nur geführt, weil Italien erstens von Abessinien bedroht werde und weil – das ist die Hauptsache – dem schändlichen Sklavenhandel in diesem Negerkaiserreich ein Ende gemacht werden musste.
In der Tat gab es in Abessinien einen blühenden Sklavenhandel. Das »schwarze Elfenbein«-Export-Geschäft hat so seine Traditionen. Äthiopien war ein Hauptlieferant für den Sklavenmarkt von Mekka, der immer noch der bedeutendste Sklavenmarkt der Welt ist. Freilich hätten die Äthiopier das Sklavenexportgeschäft nach Arabien gar nicht betreiben können, wenn es nicht mit Duldung der italienischen Behörden über das italienische Eritrea oder Somalia gegangen wäre. Denn irgendwie musste ja die schwarze Elfenbeinware an das Rote Meer kommen, von dessen Küste die Äthiopier längst abgeschnitten waren.
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