Dann wird der sehr ehrenwerte Völkerbund den Spaniern nahelegen, ihm das Weißbuch nicht offiziell zu überreichen. Wenn die Spanier es nun aber einmal mitgebracht haben, werden sie jedem Delegierten ein Exemplar privat überreichen. Und am nächsten Tag werden es alle privat gelesen haben und offiziell wissen sie von garnichts. Und das ist dann hohe Politik.
Der kleine Moritz sagt: Wenn mein Vater meiner Mutter erzählt, wenn ich dabei bin, dass der Storch nächstens Tante Frieda ein Kind bringen würde, dann wissen sie, dass ich weiß, dass das mit dem Storch nicht stimmt. Sie wissen sogar, dass ich weiß, dass sie das wissen. Etwas kompliziert, wie? Ja, dergleichen mutet man dem kleinen Moritz zu. – Und genau so stellt sich der kleine Moritz die hohe Politik vor.
Der kleine Moritz kennt sich da aus. Aber wenn heute jemand aus Deutschland kommt, der hat ja gar keine Ahnung. Er braucht garnicht aus einem besonderen Gefängnis oder Zuchthaus oder Konzentrationslager zu kommen. Sondern eben einfach als ein normaler Bürger aus dem Dritten Reich. Den Kopf so eingerichtet, dass die Nase mit den Knöpfen des Waffenrocks und der Kokarde der Militärmütze eine gerade Linie bildet. Und nun liest er auf einmal die Zeitung. Der fällt ja die Treppen nur so hinauf und herunter.
Was ist denn bloß in Spanien los?, denkt der Mann, den die »Kraft durch Freude«-Organisation auf das Ausland losgelassen, damit er dort Propaganda für des Dritten Reiches Herrlichkeit mache und der stattdessen verbotene Zeitungen liest. Da haben sie uns gesagt, in Spanien hätten die Roten Revolution machen wollen. Was die Roten so Revolution nennen. Rauben, Morden, Plündern, Kinder aufspießen und Frauen vergewaltigen. Und alles kurz und klein schlagen, die Kirchen und die Häuser und den Reichstag von Madrid haben sie auch angezündet, und wenn sie es nicht getan haben, dann haben sie es jedenfalls gewollt, wenn nicht im letzten Augenblick der tapfere General Franco das alte, nationale Banner ergriffen hätte, um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Und das wäre alles längst wieder in Ordnung, wenn nicht die Moskowiter den Roten in Spanien zu Hilfe gekommen wären
Das ist doch ganz klar. Das ist doch ganz einfach. Und nun, was da hier so in den Zeitungen steht. Da kennt sich doch kein Mensch aus. Englische und französische Schiffe. Na ja, Frankreich liegt ja da hinten und England sitzt in Gibraltar. Aber italienische Divisionen vor Madrid und deutsche Flieger im Baskenland. Da hat man ja keine Ahnung. Was ist denn nun eigentlich los? Nein. Am letzten Kameradschaftsabend bei »Kraft durch Freude« haben sie mir gesagt: Mensch, wenn du auf Reisen gehst, kiek dir gut um. Aber glaub nur, was du siehst. Was in den Zeitungen steht, ist alles Schwindel. Das brauchst du garnicht erst zu lesen. – Hätt ich mich nur daran gehalten.
Da fällt mir auf einmal was ein. Da wohnt bei uns in der Straße so ein kleiner Schneider. Er hat mir den Anzug gemacht, den ich anhab. Echt englischer Stoff, hat er mir gesagt. Kein Faden Ersatzgarn drin. Den kann ich bei Regenwetter ruhig tragen. Was? Wie? Nein, hier hört ja keiner zu, hier können Sie ruhig sprechen.
Da komme ich also zur Anprobe und da kommt der Mann, hat den Anzug überm Arm und ist ganz grau im Gesicht. »Na Meister«, sage ich, »was ist dann passiert?« Na, was soll ich Ihnen sagen, der Mann hatte einen Sohn beim Militär. Eines Tages kriegt er nen Bescheid, der Sohn sei zu besonderer Übung im Manövergelände und wenn er ihm zu schreiben hat, soll ers da und dahin schicken. Na und was soll ich Ihnen nun sagen. Der Mann hat nun den Bescheid gekriegt, dass sein Sohn bei einer Manöverübung verunglückt sei. »Auf dem Felde der Ehre …«
Ich denke, was soll ich dem Mann sagen, in seinem Schmerz. Aber irgendwas muss man doch sagen. Ich sage also was, von der neuen Ehre des Vaterlandes. Deutschland geachtet und gefürchtet und so. Auf einmal haut der Mann mit der Hand auf’n Tisch. »Deutschland, Deutschland über alles«, schreit er, »aber was hat das mit Spanien zu tun? Was haben wir in Spanien verloren, dass ich meinen einzigen Jungen dafür geben muss?«
»Nun beruhigen Sie sich nur, Meister«, sage ich, »um Gottes willen, nicht so laut. Wenn sie einer hörte.«
»Mir können se hören. Mir kann jeder hören. Ich sag es sie ins Gesicht. Meinetwegen den Dokter und den Hermann und Adolf auch. Mir kann keener. Ich bin alter Kämpfer mit Parteibuch vom 26. Deutschland, in Ordnung Herr. Wenn uns einer an den Wagen fährt, bis zum letzten Hauch von Ross und Mann. Aber Spanien, was geht uns Spanien an? Und General Franco und überhaupt Mussolini? Det steht nicht ins Programm. Det nicht. Det stimmt nicht. Denn wenn es stimmte, dann können se uns das ja ruhig sagen. Und nich sone Geheimtuerei. Alle Tage der Krach wegen die katholischen Klöster und Unzucht am Altar und verderbte Priester. Mit einmal. Und dass unsre Jungs in Spanien fechten und fallen müssen, da, davon kein Wort? Ja, wofür denn? Wofür hab ich denn nu meinen Jung gegeben, wenn es noch nicht mal einer wissen darf?«
Ich dachte, der Kummer hat den Mann ganz verwirrt gemacht. Ist ja auch keine Kleinigkeit. Und nun liest man das auf einmal hier alles in den Zeitungen. Was ist dann bloß los? Rebellion? Das ist keine Rebellion. Bürgerkrieg? Das ist kein Bürgerkrieg. Das ist ein richtiger Krieg. Italienische Divisionen, deutsche Soldaten, marokkanische Neger, spanische Reaktionäre, die diesen oder jenen König wieder einsetzen möchten, kämpfen gegen das spanische Volk. Richtiger Krieg.
Aber da sind die internationalen Brigaden, auf der Seite des spanischen Volks. Das sollen die Moskowiter sein? Das sind ja Kämpfer aus aller Welt, aus allen Erdteilen. Da sind ja auch Deutsche und Italiener. Und nun stehen sich an den Fronten vielleicht an beiden Seiten Deutsche und Italiener gegenüber? Was ist dann das für ein Krieg? Warum steht denn das nicht im Völkischen Beobachter, den wir zu Hause alle Tage lesen?
Was ist das für ein Krieg? Wer gegen wen? Wo laufen denn die Fronten? Mitten durch die Nationen? Man muss sich das doch genauer ansehen.
Da sind die Negersoldaten des Generals Franco. Die Mohren. Die Mauren. In der Schule haben wir mal gelernt, dass früher die Mauren in Spanien waren. Das spanische Volk und die spanischen Ritter haben sie hinausgejagt, nach Afrika, wo sie hingehören. Da war ein Held, hieß der Cid, ein großer Held, haben wir gelernt. Und nun holt der General Franco die Mauren wieder zurück, damit diese Mohren das Land erobern und unterwerfen sollen? Wie ist denn das? Da stimmt doch was nicht? Aber was stimmt da nicht?
Frankreich ist eine vernegerte Nation. Na ja, das ist so. Auf allen unseren Parteiversammlungen wurde das immer gesagt, Das ist eine hundertprozentige Wahrheit, wurde gesagt. Im Buch Mein Kampf steht es doch auch, Und wenn der Führer das geschrieben hat, dann ist es so. Und es ist eine Schande und eine Schmach. Schwarze Schmach. Französische Negersoldaten am Rhein. Französische Negersoldaten an der Ruhr, an der Saar. Schwere Schmach. Vierzehn Jahre der Schmach. Vierzehn Jahre. Und dann hat der Führer das Land wieder frei gemacht.
Aber warum kämpfen und fallen jetzt deutsche Männer Schulter an Schulter mit den Mohren des General Franco? Da stimmt doch etwas nicht? Aber was stimmt da nicht?
Wahrscheinlich weiß der Führer davon garnichts. Bestimmt weiß er nichts davon. Dass würde er doch nicht dulden. Darum darf nichts davon bei uns in der Zeitung stehen. Sie verheimlichen es dem Führer. Aber ich werde da Ordnung machen. Ich werde ins Parteibüro gehen, wenn ich erst wieder zu Hause bin. Ich werde einen Brief an den Führer schreiben. Jawohl, ich habe meine SA-Uniform immer in Ehren getragen. Ich bin auch ein alter Kämpfer.
Die Juden und die Neger. Das eine wie das andere verdirbt die arische Rasse. Die Neger und die Juden. Wozu haben wir den Kampf gegen den Juden geführt? Hatte ich da nicht manchen guten Bekannten, wo ich mir sagte, der ist anständig wie nur einer. Aber es kommt doch nicht darauf an, dass ein Jude einmal ein anständiger Mensch ist. Der Jude ist eben der Feind. Der Jude ist der Teufel. Keine Gemeinschaft mit Juden und Negern. Reine Rasse, reines Blut. Blut und Boden. Heil.
Читать дальше