1 ...8 9 10 12 13 14 ...28 Sie sind neu hier? Von wo kommen Sie? Sind Sie politisch? Hier steht es nicht gut, viel Unterstützung wird man Ihnen nicht zahlen. Es ist einfach kein Geld da. Leben können Sie nicht davon. Wie, Sie wollen keine Unterstützung? Wozu sind Sie denn hier? Ach so. Keine Papiere. Aha. Also waren Sie doch politisch. Mit mir können Sie ruhig reden.
Nansen-Pass? Nein, den werden Sie nicht kriegen. Der war für die zaristischen Russen, die damals vor der russischen Revolution davongelaufen sind. Damals hat man doch gemeint, wie lange kann das dauern in Russland? Kommunismus und Sozialismus. Wie lange kann das dauern? Drei Monate. Sechs Monate. Man muss mit den Flüchtlingen doch anständig sein. Das sind doch die Leute von Gestern und so werden es die Leute von Morgen sein. Und da hat man ihnen gegeben. Auch Nansen-Pässe. Aber Sie, Sie kommen doch von der anderen Seite der Barrikaden.
Wieso kommt Leonhard Glanz von der Barrikaden anderer Seite? Hat er damals nicht auch genau so gedacht und geredet? Hat er für die Kommunisten jemals Sympathie gehabt? Interesse, ja, in letzter Zeit. Weil man einfach musste. Weder war die Sowjet-Union zusammengebrochen, noch waren ihre Bürger samt und sonders verhungert. Obwohl in den Zeitungen doch Millionen immerzu verhungert waren. Aber dass er auf jener Seite gestanden hätte – nein, niemals. Und jetzt auf einmal scheint es ihm, dass er doch da steht, auf der »anderen Seite der Barrikaden«. Das hat er selbst bis zur Stunde nicht gewusst. Wie ist der dahin gekommen?
Also keinen Nansen-Pass. Da müsste aber doch irgendeine Regelung sein? Nein? Keine Regelung? Heute so und morgen so? Entscheidung nach jeweiligem Ermessen. Kein Gesetz? Kein Recht? Ja, wie ist unsere Stellung hierzulande?
Stellung? Fragen Sie mal einen Fußball, was für eine Stellung er einnimmt. Die Emigranten, die sind etwa der Fußball der politischen Parteien. Die einen schreien: Im Namen der Nation muss man die Emigranten rausschmeißen. Das fliegt der Ball. Die anderen schreien: Im Namen der Menschlichkeit muss man sie dalassen. Da fliegt der Ball wieder zurück. Manchmal haben die Parteien und ihre Zeitungen auch Sorgen, dann kümmert sich kein Mensch um die Emigranten. Sobald sie aber nichts zu tun haben, geht der Sport wieder los.
Da werde ich mich an den Hochkommissar beim Völkerbund wenden. An wen? Ja, wie kommen Sie denn darauf? Sie haben mal in der Zeitung gelesen, dass es den gibt? Ich kann Ihnen verraten, das ist sogar schon der zweite. Der erste war ein Amerikaner. Der ging wieder nach Hause, weil er nach zwei Jahren aufopferungsvoller Tätigkeit nichts erreicht hatte. Aufopferungsvoll, sagte ich. Aber genau weiß ich nicht, wie viele Emigranten aufgeopfert wurden. Jetzt ist da ein Engländer. Der bleibt, weil er auch nichts erreicht hat. Der ist doch nicht für die Emigranten da. Der macht Reisen und studiert die wirtschaftliche Lage in der Welt in Bezug auf die Einwanderungsmöglichkeiten in den einzelnen Ländern. Nein. Dem Mann geht’s gut. Der hat doch mit uns Emigranten nichts zu tun. Der hat ein Jahresgehalt, davon könnten wir allesamt leben, wie wir hier sind. Ne, der ist für Sie nicht zu sprechen. Irgendeine Regelung? Aber der Mann ist doch beim Völkerbund. Vielleicht hat er sogar mal was zur internationalen Regelung vorgeschlagen. Ich habe mal sowas gehört. Aber da hat erst der eine nicht gewollt und dann der andere nicht. Wie groß ist die Welt und wieviel Emigranten gibt es, alles in allem? Das ist doch prozentmäßig gar nicht auszudrücken. Null, komma, nix. Aber über das Nullkommanix kann sich der Völkerbund nicht einigen. Warum nicht? Das ist doch das Normale. Der Völkerbund beschließt doch immer einmütig, dass nichts beschlossen werde. Vielleicht wird es jetzt aber besser. Ägypten ist ja in den Völkerbund eingetreten. Wenn aber der deutsche Gesandte in Caracas erklären sollte, er würde eine internationale Rechtsbestimmung für Emigranten als einen unfreundlichen Akt ansehen, dann kann man wieder nichts machen. Dann ist dafür keine Einstimmigkeit im Völkerbund zu erzielen. Denn Venezuela verhandelt vielleicht gerade wegen eines Clearing-Abkommens mit der deutschen Reichsbank, oder irgendwer verhandelt wegen eines Handelsvertrages. Und man kann doch nicht wegen der nullkommanix Emigranten den Handelsvertrag in Frage stellen. Man kann auch nicht den Parteien ihren netten Fußball wegnehmen. Womit sollten sie sonst Wettspiele austragen? Wer ist denn schuld, wenn die Preise runtergehen? Die Emigranten. Sitzen hier rum und verbrauchen nichts. Wer ist denn schuld, wenn die Preise raufgehen? Die Emigranten. Sitzen hier rum und fressen uns das Brot vor dem Munde weg. Wer ist schuld, dass die Aufrüstung ein Vermögen kostet? Die Emigranten, die uns mit dem Dritten Reich verhetzen. Wer ist schuld, dass wir nicht genügend gerüstet sind? Die Emigranten, diese Pazifisten. Wer ist schuld, dass die heurige Badesaison miserabel war? Dass es zu viel geregnet hat? Dass kein ordentlicher Winter war? Die Emigranten, nix als die Emigranten.
Die Emigranten – einer – haben einen Pelz gestohlen. Der Dieb – einer für alle – gab an, er sei am Verhungern gewesen. Und da habe er gestohlen. Am Verhungern? Warum denn? Weil er nicht arbeiten darf? Faule Ausrede. Deshalb stiehlt man doch nicht! Die Emigranten sind einfach ein asoziales Element. Taktlose Leute sind das. Da hat sich einer im Plenarsaal des Völkerbundes in Genf erschossen. Wie peinlich. Wenn der Mann nichts zu essen hatte, hätte er es doch sagen müssen. Es hätte ihm dann auch keiner was gegeben. Aber man erschießt sich doch nicht vor den Leuten. Erschießt sich in Monte Carlo einer im Spielsaal? Er geht in den Park. Aber vor dem Völkerbund? Vor dem gleichen Völkerbund, dem der Nazivertreter aus Danzig die Zunge ausgestreckt hatte. Würdelos. Taktlos sind diese Emigranten. Nullkommanix und so viel Spektakel. Warum nur des tausendjährigen Dritten Reiches Propagandaminister solchen Zorn auf dieses Nullkommanix hat? Warum er nur so hysterisch wird, wenn er von ihnen spricht? Haben sie ihm etwa doch auf den Fuß getreten? Das wäre nicht höflich, wo er so schon des Teufels Pferdehuf führt.
Nein. Wenn das Dritte Reich einen unfreundlichen Akt darin sehen würde, dann kann man für die Emigranten nichts tun. Menschlichkeit ist schön. Und jeder darf nach seines Herzens Wunsch so viel Menschlichkeit betätigen, wie er meint, mit der rückständigen Steuerrechnung vereinbaren zu können. Aber dem Staat darf er nichts kosten. Der Staat kann sich dergleichen Luxus nicht erlauben. Der Staat ist der Staat und kein humanitärer Verein. Die Nation. Über allem die Nation. Achtung. Fahne. Hut ab.
Und nun will die spanische Regierung dem Völkerbund ein Weißbuch überreichen. Der Völkerbund, la Société des Nations, the League of Nations. Mit so viel Fahnen auf dem Dach, wie Nationen im Palast sitzen. Kein Mensch hat so viel Hüte, wie er da abnehmen müsste. Obwohl es vielleicht die wichtigste Qualität des Kopfes ist, dass man damit grüßen kann. Vorbeigehen in gerader Haltung, mit Anlegen der rechten Hand an die Kopfbedeckung. Fragen Sie mal zum Beispiel einen von der Hitler-Jugend. Das ist wichtiger als die ganze Universität. Was hilft einem der Pythagoras, wenn man nicht ordentlich grüßen kann. Aber mit tadellosem Gruß, ruckzuck, dass die Hacken knallen, da ist schon mancher Sturmtruppführer geworden. Und vom Sturmtruppführer bis zum Direktor eines mittleren Provinztheaters ist’s nicht weit.
Dem Völkerbund das spanische Weißbuch über die italienische Intervention. Wenn nun aber Mussolini sagte, dass er es als einen unfreundlichen Akt ansehen würde, wenn der erlauchte Völkerbund davon Kenntnis nehmen würde. Denn alles was da drin steht ist – ungesehen – erlogen. Und Mussolini fühlt sich verantwortlich, dass der Völkerbund nicht durch verlogene Lektüre um seine hohe Moral gebracht werde.
Читать дальше