»Das hab ich Ihrem Kollegen doch bereits vor einem Jahr gesagt. Was ist jetzt daran unklar?«
»Sie haben gesagt, dass Sie Ihre Uniform verschenkt haben. Ans Naturtheater Heidenheim für den Kleiderfundus«, gab sich Zeller informiert und ergänzte: »Wenn ich Ihnen aber nun sage, dass wir uns dort erkundigt haben und niemand etwas davon weiß, dass ein Herr Nolte seine Polizeiuniform gespendet hat?«
Noltes Gesichtszüge versteinerten sich. »Sie wollen andeuten, dass ich lüge? Die waren dort begeistert, so eine Uniform zu kriegen. Da gibt’s keine Quittung oder so was. Da bringt man was hin und fertig. Außerdem ist das schon über zwei Jahre her.« Er hatte Mühe, seine Aufregung zu verbergen.
»Kein Grund zur Panik, Herr Nolte«, versuchte ihn Zeller zu beruhigen. »Alles wird gut.« Er sah seinem Gegenüber fest in die Augen.
Blaubart hatte auch Tage nach dem abendlichen Albtraum in seinem Büro das Geschehen nicht verarbeitet. Natürlich war da jemand gewesen, aber glücklicherweise hatte niemand versucht, die Tür von der Garage in sein Büro zu öffnen. Nach bangen Minuten des ängstlichen Wartens war nichts mehr zu hören und auch nichts zu sehen gewesen. Und als schließlich ein Auto mit quietschenden Reifen davongefahren war, hatte er sich wieder getraut, das Licht anzuknipsen.
Die Innentür hinaus in den Garagen- und Werkstatttrakt war tatsächlich geschlossen gewesen. Zum wiederholten Male lief das bedrohliche Szenario vor seinem geistigen Auge ab. Wie schon so oft in den vergangenen Tagen. Denn er hatte niemanden, mit dem er darüber reden konnte.
Ihn überkam noch einmal das Gefühl, wie es ihn übermannt hatte, als er wie gelähmt die Waffe in der Hand hielt. Wie er damit zu der Tür gegangen war. Dann die große Erleichterung, als sie tatsächlich verriegelt gewesen war.
Er schloss die Augen und lehnte sich in seinen Bürostuhl zurück, durchlebte wieder die Szene, als er die Waffe vor sich in den angrenzenden Raum gehalten und die taghellen Leuchtstoffröhren hatte aufflammen lassen: vor ihm die kostbaren US-Oldtimer-Fahrzeuge, chromblitzend im grellen Licht. Alles schien unberührt zu sein, das Rolltor geschlossen, eine Außentür auch. Hatte er sich getäuscht? Diese Frage plagte ihn nun seit Tagen. War alles nur Einbildung gewesen, weil ihm Kirstin von dem energischen Auftreten des Amerikaners berichtet hatte?
Die Erinnerungen an den Abend liefen weiter wie in einem Film, den er nicht stoppen konnte: Er war zurück ins Büro gegangen, hatte sämtliche Halogenstrahler draußen im Hof eingeschaltet, die er nun endlich über einen Bewegungsmelder steuern lassen wollte, und hatte die im Freien stehenden Fahrzeuge überblickt: Chevrolet, Mercedes, BMW, Ford, Porsche, Jaguar. Allesamt längst zu begehrten Oldtimern geworden. Doch etwas war anders gewesen: Auf der roten Motorhaube des Chevrolets hatte sich das Scheinwerferlicht auf seltsame Weise gebrochen.
Wieder befiel ihn jetzt der unbändige Zorn, der über ihn hereingebrochen war, als er die große Delle und den abgesplitterten Lack gesehen hatte.
Er würde den Teufelskerl finden, der mit einem schweren Gegenstand auf das Blech eingeschlagen hatte. Dazu brauchte er keine Polizei. Außerdem würde dies nur zu Ermittlungen führen, die er vermeiden wollte. Es kursierten schon viel zu viele Gerüchte über ihn. Meist steckte nur der pure Neid dahinter. Weil er mit seinem Geschäft erfolgreich war. Und er sich in allen gesellschaftlichen Kreisen bewegte.
Hinter dem, was jetzt geschehen war, steckte zweifellos dieser Lukas, dieser unangenehme Amerikaner, hämmerte es durch seinen Kopf. Immer und immer wieder. Vermutlich wollte ihn der Kerl mürbe machen. Aber Geschäft war Geschäft.
Er musste hart bleiben und deshalb sein Gelände nun endlich mit den modernsten Überwachungsanlagen sichern lassen.
Er versuchte, das traumatische Erlebnis abzuschütteln, und gab an der Wählscheibe seines Telefons eine sechsstellige Nummer ein. Während der Rufton an sein Ohr drang, nahm er sich vor, mit der geplanten Installation von Überwachungseinrichtungen auch gleich den altmodischen Wählscheibenapparat durch ein modernes Tastentelefon ersetzen zu lassen.
»Ja?«, holte ihn eine hauchende Frauenstimme aus diesen Gedanken zurück.
»Hi«, gab er sich locker, »ich bin’s. Bist du heute Abend auch wieder dran?«
»Och«, machte sie keck. »Das solltest du wissen. Heute ist mein freier Abend.« Ein Lachen war zu hören. »Heut zieh ich mich nur für dich aus.«
Er war ob solcher Direktheit jedes Mal wieder aufs Neue perplex.
»Machen wir wieder Fotos in der Garage?«, fragte sie, bevor er etwas antworten konnte. »Dann zieh ich mir was Aufregendes an – zum Ausziehen.«
August Häberle freute sich, endlich mal wieder draußen in der Provinz ermitteln zu dürfen. In Bopfingen, am Fuße des Ipfs im äußersten Osten Baden-Württembergs geboren, war er auf Empfehlung seines damaligen Boxtrainers statt zur Bundeswehr zur Bereitschaftspolizei gegangen, bei der er wenig später die Begeisterung für die Arbeit der Kriminalpolizei entdeckt hatte, obwohl er viel lieber Seemann geworden wäre. Die Gelassenheit und Ruhe für die raue See hätte er bestimmt mitgebracht. Längst hatte er auch gelernt, dem Volk aufs Maul zu schauen. Und er wusste, wie zurückhaltend gerade die Menschen auf dem Land waren, »wenn der Herr Kommissar etwas wissen will«, pflegte er oft im Kollegenkreis zu sagen. Viele Menschen scheuten sich, »so richtig etwas zu Protokoll zu geben.«
Dass er gutem Essen nicht abhold zu sein schien, war ihm durchaus anzusehen. Gerade dies machte ihn zum Gemütsmenschen, der Vertrauen und Optimismus ausstrahlte. Nur unterschätzen durfte man ihn nicht, wenn er so dasaß, die kräftigen Arme verschränkt: Er war aktiver Judoka.
Helmut Reinicke, der Installationsmeister, musterte den Kriminalisten von oben bis unten. Er saß ihm in einem der Büros bei der Polizeidirektion Göppingen gegenüber und umklammerte die Lehne des Stuhls. Rein äußerlich, so dachte Reinicke, würde er’s mit Häberle locker aufnehmen können. Beide waren sie von kräftiger Gestalt. Doch Häberle riss ihn aus solchen Gedanken: »Ich hab gelesen, was Sie vor einem Jahr meinem Kollegen Biegert gesagt haben. Leider sind wir keinen Schritt weitergekommen. Deshalb fragen wir noch einmal alle, die im Umfeld der Bank zu tun hatten, ob ihnen inzwischen nicht doch etwas eingefallen ist, was im Nachhinein verdächtig erschienen sein könnte.«
»Verdächtig?«, echote Reinicke und wippte mit den Beinen. »Das ist jetzt über ein Jahr her.«
»Manchmal kommt man erst später drauf, dass da irgendetwas war: irgendjemand, der sich für das, was Sie während Ihres Auftrags in der Bank gesehen haben, besonders interessiert hat. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Sie nach dem Überfall im Freundeskreis gesagt haben, schon mal im Tresorraum gewesen zu sein.«
»Hinterher«, wiederholte Reinicke verständnislos. »Ein Täter wird sich ja nicht hinterher bei mir informieren.«
»Das nicht. Aber vielleicht hat man drüber diskutiert, und irgendjemand hat etwas gesagt, aus dem man schließen könnte, dass er vielleicht mehr weiß, als er wissen sollte.«
»Ne, tut mir leid. Mehr als das, was ich damals Ihrem Kollegen gesagt habe, weiß auch ich nicht. Und dass es inzwischen 1000 Gerüchte in der Stadt gibt, werden Sie ja mitbekommen haben. Plötzlich wird alles, was passiert, mit dieser Sache in Verbindung gebracht. Das muss für die Betroffenen ziemlich schlimm sein.«
»Ist es auch«, bekräftigte Häberle. »Da werden inzwischen Menschen, die ein schreckliches Schicksal erlitten haben, gerüchteweise verdächtigt, mit den Sparkassenräubern unter einer Decke zu stecken.«
Reinicke verschränkte die Arme, als wolle er auf Distanz gehen. »Wenn Sie das so sehen, dann werde ich doch auch verdächtigt – oder sehe ich das falsch?«
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