Im Anschluss an die Golfrunde bestellte ich mir auf der Clubterrasse einen Salat und einen »Pfiff«. Ein Pfiff ist in Bayern ein kleines Bier, es wird zwar in einem 0,5-Liter-Glas serviert, dabei aber so eingeschenkt, dass ganz viel Schaum entsteht. In Maxlrain allerdings wird recht großzügig gezapft. »Knickert« sind die Bayern also dort nicht.
An meinem dritten Tag durfte ich mein erstes Turnier in diesem Jahr spielen und war wie immer sehr aufgeregt. Die Aufregung ist auch der Grund, weshalb ich meine Turniere so oft verpatze. In meinem Flight waren zwei junge Männer. Einer davon kam mir wahnsinnig bekannt vor – war der nicht auch in dem besonderen Album meiner Mutter? Wann immer sich unsere Augen trafen, bekam ich Herzklopfen. Dieser Max, so hatte er sich mir vorgestellt, verwirrte mich total. Alles ging durcheinander in meinem Kopf. An mein Golfspiel konnte ich gar nicht mehr richtig denken, und wenn Max mich anschaute, wurde mir ganz heiß. So kam es, dass ich an diesem Nachmittag die genialste Runde meiner Golfkarriere spielte, was zur Folge hatte, dass ich mein Handicap enorm verbesserte und den ersten Preis holte. Neben einem Pokal gewann ich auch einen Gutschein für eine Brauereiführung mit anschließendem Fünf-Gänge-Menü für zwei Personen in der Schlosswirtschaft.
Wieder dachte ich an Opa, der immer sagt:
»Wer auf der Siegerseite stehen möchte,
darf die Angst vor dem Versagen nie größer sein lassen
als das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Stärken.«
Dank Max fand ich keine Zeit für meine Ängste, die bislang dazu geführt hatten, dass meine Bälle entweder im Nirwana oder im Bunker landeten.
Als ich dann bei der Siegerehrung mit meinen Flightpartnern zusammen am Tisch saß, gratulierte mir Max zu meinem grandiosen Sieg. Er umarmte mich herzlich und gab mir ein zartes Küsschen auf die Wange. Diese Berührung ging mir durch und durch. Obwohl ich wahrlich nicht auf den Mund gefallen bin, fehlten mir die Worte. Ich schalt mich: »Kathi, was ist da los? Reiß dich doch mal zusammen!« Aber was soll man machen? Ich hatte mich ohne Zweifel gerade unsterblich verliebt!
»Wenn wir lieben können und glücklich sind,
dann befinden wir uns auf der Sonnenseite des Lebens.«
Max spendierte noch eine Flasche Sekt, um meinen Sieg gebührend zu feiern. Zum Glück konnte ich das Auto stehen lassen und den einen Kilometer zu Fuß zum Hotel zurückgehen. Der Weg dorthin erschien mir fast ein wenig zu kurz. War ich doch in dieser lauen Sommernacht mit dem Sternenhimmel über mir glücklich in Gedanken versunken und total verliebt.
Die Freude auf den nächsten Tag war denkbar groß, da mir Max angeboten hatte, mich durch die Brauerei zu führen. Sein Vater war dort nämlich seit vielen Jahren der »Alte Braumeister« und er selbst der »Junge Braumeister«. So erfuhr ich auch, dass es die Schlossbrauerei bereits seit 1636 gibt. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Biere aus der Maxlrainer Brauerei schon so viele Preise eingeheimst haben, schließlich legt der heutige Prinz sehr großen Wert auf die Qualität. Zwischendurch durfte ich auch immer wieder eine Bierkostprobe zu mir nehmen – und das schon am Vormittag. Zum Abschluss klopfte Max an eine Tür, und wir betraten das Büro seines Vaters Franz, dem er mich unbedingt vorstellen wollte.
Als mich der Vater sah, murmelte er ein »Liesl«, wurde kreidebleich und hatte sichtlich Mühe, die Fassung zu wahren.
Nun war ich endgültig irritiert! Zum einen wurde ich schon wieder mit Liesl angesprochen – meine Mutter heißt Elisabeth –, und dann die Verwechslungen und Ähnlichkeiten! Auch Max war das Verhalten seines Vaters wohl nicht ganz verständlich und sichtlich unangenehm, und so verzogen wir uns zu einem Weißwurstfrühstück in die benachbarte Schwemme, wo die »Wirtsbuam«, wie der Prinz die Pächter nannte, meinen Begleiter mit Handschlag begrüßten. Augenzwinkernd wollten die beiden gleich wissen, wo Max ein so fesches Madl aufgegabelt habe. Also, die Bayern sind schon sehr charmant – ich weiß nicht, weshalb sich meine Mutter strikt geweigert hatte, mich mein »Erlebnisjahr«, wie ich es nannte, in Bayern verbringen zu lassen.
Beim Essen sprach Max das seltsame Verhalten seines Vaters an. Er entschuldigte sich dafür und meinte, sein Vater habe ausgesehen, als sehe er ein Gespenst – und das könne natürlich nie und nimmer mit meiner hübschen Erscheinung zu tun haben. Langsam fühlte es sich an wie eine Gewissheit, was ich zuerst für undenkbar gehalten hatte: Meine Mama war schon einmal hier, und sie muss dabei Eindruck gemacht haben! Ich dachte an das »Album der besonderen Erinnerungen«, an das Bild vom Schloss und an das Foto mit dem jungen Mann, der aussah wie Max.
»Es kann schon sein, dass unsere Zukunft geprägt ist. Allein entscheidend ist aber doch, wie wir damit umgehen und was wir daraus machen!«
So beschlossen wir, Nachforschungen anzustellen. Die Großtante meines Begleiters war viele Jahre im Schloss als Hausdame tätig gewesen und kannte Maxlrain in- und auswendig. Als mich die ältere Frau sah, verschlug es ihr ebenfalls die Sprache, denn auch sie kannte eben diese »Liesl«, mit der ich ständig verwechselt wurde. Sie erzählte, dass vor knapp dreißig Jahren eine junge Österreicherin aus dem Innviertel ein Jahr »Erfahrungen sammeln durfte«, um hinterher in ihre Heimat zurückzukehren und in das alteingesessene Familienunternehmen einzusteigen. »Die Liesl hat dir, mein Kind, zum Verwechseln ähnlich geschaut. Ach, was ist sie für eine begnadete Köchin gewesen – und ihre Backwerke haben die Tage der sechs Kinder des Prinzenpaares versüßt. Es hat nicht lange gedauert, und der neue junge Braumeister, also Max’ Vater, und die Köchin des Prinzenpaares, also vermutlich deine Mutter, haben sich ineinander verliebt.« Die Großtante erzählte weiter, dass Liesl als Teil des Schlosspersonals keine Männerbesuche habe empfangen dürfen, schließlich war das Schlosspersonal unter dem Dach des ehrwürdigen Baus untergebracht. Der Braumeister aber hatte eine eigene Wohnung über der Brauerei, und dorthin schlich sich die Liesl, so oft es nur ging. Die jungen Verliebten schmiedeten Zukunftspläne, verlobten sich heimlich und wollten heiraten.
Und dann kam der Unglückstag, an dem der Liesl alle Pläne zunichte gemacht wurden. Ihre Mutter war tödlich verunglückt, und sie musste umgehend zu ihrem Vater ins Innviertel heimkehren, um ihn im Betrieb zu unterstützen. Später lernte sie dann einen neuen Mann kennen und gründete mit ihm eine Familie.
Die Tante erzählte, dass dies ein Jammer gewesen sei, sie habe ein Zimmer neben dem der Liesl bewohnt und die ganze Nacht kein Auge zutun können, weil die junge Frau vor ihrer Abreise dermaßen herzzerreißend geweint habe. »Aber auch der junge Braumeister, der immer ein sehr fröhlicher und geselliger Mensch gewesen ist, hat sich völlig zurückgezogen. Man hat ihn gar nicht mehr lachen sehen, und selbst der beste Schweinsbraten und das gute Bier haben ihm nicht mehr schmecken wollen, zudem hat er sehr an Gewicht verloren.«
Ich wusste, dass meine Großmutter früh verstorben war – jetzt endlich hatte sich das Rätsel gelöst. Froh, die Wahrheit zu kennen, und gleichzeitig ratlos, was nun zu tun wäre, bedankte ich mich herzlich bei Max’ Großtante für ihre offenen Worte. Zusammen mit Max setzte ich mich in eine der vielen blühenden Sommerwiesen, und wir sprachen über unsere Eltern. Ich erzählte ihm, dass mein Vater früh gestorben war und dass meine Mutter nie wieder einen anderen Mann angeschaut hatte. Max berichtete, dass auch er früh seine Mutter verloren habe und sein Vater ebenfalls allein geblieben sei.
Als wir einen Plan ausheckten, wie wir unsere Eltern zusammenbringen könnten, kamen Max und ich uns sehr nahe – es war, als würde die Liebe, die wohl zwischen meiner Mutter und Max’ Vater bestanden hatte, auf uns überspringen – alles fühlte sich so prickelnd, herzlich und auch irgendwie richtig an.
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