Einer der grundlegenden Unterschiede in der Wirtschaftsordnung zwischen den USA und Deutschland ist, dass die deutsche Wirtschaft und das deutsche Recht entsprechend den Prinzipien einer sozialen Marktwirtschaft traditionell einem Stakeholder Value-Ansatz folgt, bei dem die Interessen aller berechtigten Anspruchsgruppen eines Unternehmens wie Eigentümer, Unternehmensführung, Arbeitnehmer und Lieferanten Berücksichtigung finden (vgl. insoweit z. B. die Präambel des DCGK). Das Grundgesetz enthält in Art. 20 I GG zwar das Sozialstaatsprinzip und schützt die Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) ebenso wie das Eigentum und das Erbrecht (Art. 14 GG) als Grundrechte, enthält aber keine verfassungsrechtliche Festlegung auf eine bestimmte Wirtschaftsordnung (vgl. Scholz in Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 12 Rd. 85 ff. m. w. N.); ganz im Gegenteil würde Art. 15 GG sogar die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln ermöglichen, wovon allerdings in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie Gebrauch gemacht wurde. In den USA dominiert dagegen traditionell der Shareholder Value-Ansatz (mag dieser Ansatz in jüngster Zeit auch in den USA verstärkt in Frage gestellt werden).
Die Einbeziehung der Arbeitnehmer zeigt sich in Deutschland z. B. in Form der unternehmerischen Mitbestimmung (Co-Determination), die – bei dem deutschen dualistischen System der Corporate Governance aus Vorstand und Aufsichtsrat (two-tier system) – führt dazu, dass bei deutschen Kapitalgesellschaften ab 500 Arbeitnehmern ein Aufsichtsrat einzurichten ist, der zu 1/3 mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen ist (§ 1 DrittelbG). Bei Kapitalgesellschaften und der GmbH & Co. KG mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern ist ein Aufsichtsrat einzurichten, der zu 50% mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen ist (§§ 1, 4 MitbestG; Sonderregeln gelten für die Montanindustrie und sog. Tendenzbetriebe, zu den Details vgl. die Übersicht bei Fischer, WPR, S. 220). In den USA wäre eine derartige Form der unternehmerischen Mitbestimmung nicht nur technisch schwierig umzusetzen, weil es dort ein monistisches System der Corporate Governance (dem Board of Directors/BoD oder Verwaltungsrat, sog. one-tier system) gibt, sondern auch weil dies politisch-kulturell in den USA nicht gewollt sein dürfte. Von der unternehmerischen Mitbestimmung zu unterscheiden ist die betriebliche Mitbestimmung in Unternehmen mit mind. fünf Arbeitnehmern über die Betriebsräte (works council) im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes (§ 1 I BetrVG), die aber außerhalb von großen Konzernen wie etwa der Volkswagen AG wohl eine geringere Rolle spielt als gemeinhin angenommen wird (vgl. Funk, Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital – Mitbestimmung, WISU 2018, S. 1095).
Ein weiterer Unterschied zwischen dem deutschem und dem amerikanischen Recht ist, dass das deutsche Recht im Vergleich zu den USA im Hinblick auf den vorgelagerten Schutz der Gläubiger eher konservativ und sicherheitsorientiert ist. Dieser zeigt sich u. a. bei den strengen deutschen Kapitalaufbringungs- und vor allem Kapitalerhaltungsbestimmungen (vgl. insb. § 57 AktG, § 30 GmbHG). Im Gegensatz hierzu setzt das amerikanische Gesellschaftsrecht im Sinne eines nachgelagerten Gläubigerschutzes eher auf verstärkte Formen des Haftungsdurchgriffs auf die Gesellschafter (piercing the corporate veil).
Gerade diese deutschen Besonderheiten bei der Arbeitnehmerbeteiligung und Kapitalerhaltung haben unter Umständen gravierende Auswirkungen auf Transaktionen: So etwa wenn – wie üblich – aufgrund der Geschäftsordnungen der Gesellschaft die Zustimmung eines paritätisch besetzten Aufsichtsrats für die Durchführung einer Transaktion notwendig ist (mag hier auch der i. d. R. von der Kapitalseite bestimmte AR-Vorsitzende bei Patt-Situationen ein Zweitstimmrecht, casting vote, haben, § 29 II S. 1 MitbestG). Entsprechendes gilt, wenn die Vermögenswerte der übernommenen Gesellschaft als Sicherheiten für die Kredite der die Transaktion finanzierenden Banken verwendet werden sollen (upstream securities), da hier die Interessen der Arbeitnehmer der Zielgesellschaft und der Gesellschafter regelmäßig auseinanderfallen dürften.
Die deutsche Wirtschaft ist im Gegensatz zu den USA und anderen Ländern in besonderer Weise durch mittelständische Unternehmen (» German Mittelstand «) geprägt (vgl. Wegmann/Siebert, Unternehmensverkauf, S. 10). Diese mittelständischen Unternehmen stehen im Eigentum von (miteinander verwandten) natürlichen Personen (Familien), die auch an der Leitung des Unternehmens beteiligt sind (Einheit von Eigentum/ Risiko und Führung). Besonders hervorzuheben sind hier die sog. Hidden Champions, worunter relativ unbekannte, inhabergeführte Unternehmen zu verstehen sind, die aufgrund ihrer Internationalisierungs- und Forschungsaktivitäten als Marktführer zählen (vgl. Holz/Schlepphorst/Schlömer-Laufen, Unternehmertum im Fokus, 1/20, S.1). Die zurzeit erheblichen Probleme bei der Nachfolgeregelung bei den inhabergeführten Unternehmen und den dadurch verursachten Verkäufen mittelständischer Unternehmen prägt das M&A-Geschäft in Deutschland in weitaus stärkerem Maße als öffentlichkeitswirksame feindliche Übernahmen (hostile takeover) (umfassend zur Nachfolgeproblematik Hemel/Link, Zukunftssicherung für Familienunternehmen). Auf die Besonderheiten von Transaktionen im Mittelstand wird daher später noch genauer eingegangen werden (► Teil II 14.1
).
Eine weitere Besonderheit des deutschen Transaktionsmarktes ist die relativ große Bedeutung von Wohnungsunternehmen wie der börsennotierten Vonovia SE, Deutsche Wohnen SE oder LEG Immobilien AG (vgl. zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in diesem Sektor in der jüngsten Vergangenheit v.Bismarck/Freytag/Kress in Meyer-Sparenberg/Jäckle, M&A, § 64 Rd. 1 ff.). Der hohe Grad an Immobilientransaktionen und die diesbezügliche Attraktivität Deutschlands für (ausländische) Immobilieninvestoren hängt mit dem in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hohen Anteil von Mietwohnungen bei entsprechend niedriger Eigentumsquote zusammen. Auf besondere Aspekte bei Immobilientransaktionen wird nicht zuletzt vor diesem Hintergrund später ebenfalls noch genauer eingegangen (► Teil II 14.2
).
3 US-Amerikanischer Einfluss
Trotz aller deutscher Besonderheiten ist der Einfluss der USA auf das gesamte M&A-Geschäft in Deutschland und weltweit klar erkennbar (vgl. insb. Merkt in Göthel, M&A, § 4 Rd. 1 ff. m. w. N.). Eine amerikanische Handschrift prägt vor allem die Begrifflichkeiten und Techniken des gesamten M&A-Geschäfts, welches maßgeblich in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts vor allem in New York City entwickelt wurde. Auch wenn Unternehmenskaufverträge mit einer Zielgesellschaft in Deutschland sinnvollerweise deutschem Recht unterstellt werden, erfolgt die Transaktion selbst doch angloamerikanischen Rechtstechniken mit Elementen wie dem Letter of Intent oder der Due Diligence (vgl. Fischer, Globalisierung und Recht, S. 9 ff. m. w. N.). Auch die spätere Darstellung der Akteure im M&A-Markt wird den prägenden angloamerikanischen Einfluss auf Unternehmenskäufe z. B. über die Investmentbanken und Finanzinvestoren verdeutlichen.
4 Motive für Unternehmenstransaktionen
Ein Blick auf die dargestellten M&A-Wellen in den USA macht bereits deutlich, was aus makroökonomischer Sicht vor allem zu verstärkten Transaktionsaktivitäten führt: Dies sind zum einen technologische Neuerungen (z. B. Einführung der industriellen Produktion oder die Entwicklung des Internets) oder regulatorische Maßnahmen (z. B. Einführung eines Kartellrechts oder umgekehrt Deregulierungsaktivitäten des Gesetzgebers). Dabei ist erkennbar, dass sich Tendenzen zur Monopolisierung, zur vertikalen Integration und zur Bildung von Konglomeraten abgewechselt haben. Die zurückliegenden Jahrzehnete standen überdies – wenig überraschend – im Zeichen der Globalisierung.
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