Gustine war ein durchaus konservatives Gemüt; Xenia schlug und kratzte sie, das ertrug sie, ohne mit einer Wimper zu zucken, denn es war ein Zeichen von Rasse, und widerfuhr ihr durch die Hand einer echten Gräfin, welche ihr von einer fürstlichen Mutter in den Arm gelegt worden war. Janek aber hatte ihr nie ein herbes Wort gesagt, höchstens einmal seine kleinem Neckereien an ihr ausgelassen, und das empörte sie und machte ihr den Knaben verhasst, denn er war doch nur ein Bettelprinz, von der Landstrasse aufgelesen, noch viel weniger wie sie selber. Man sah’s ja, dass er nichts Rechtes war, sonst hätte er es gemacht wie Xenia.
An einem sonnenlichten, köstlichen Frühlingstage hatte Gustav Adolf seine Augen für immer geschlossen.
An seinem Arbeitstische hatte man ihn eines Vormittags gefunden, starr und kalt, wohl schon seit Stunden von seiner Qual erlöst.
Ein Herzschlag hatte seinem Leben dieses jähe, für die Hinterbliebenen so furchtbare Ende bereitet.
Der Vormund der beiden verwaisten Kinder, ein Jugendfreund Gustav Adolfs, Freiherr von Drach, war an das Totenbett des Verblichenen geeilt, hatte die schwebenden Angelegenheiten geordnet, und die Verpflichtungen der Erzieher gelöst, da es die Bestimmung des Grafen gewesen, den sechszehnjährigen Janek im Herbst auf eine öffentliche Schule zu schicken.
Die Komtesse sollte in seinem eigenen Hause eine zweite Heimat finden. Bis zum Herbst blieb Alles noch wie bisher unverändert in Proczna, dann aber sollten die Schlösser der Thüren versiegelt werden, bis einst Janek, für mündig erklärt, von dem Erbe seiner Väter Besitz ergreifen würde.
Xenia hatte bei dieser Erklärung zufällig in Gustinens Gesicht emporgesehen, und war fast erschrocken über den Ausdruck, welcher die alten Züge beherrschte. — — —
Süsser geheimnisvoller Duft wehte über die blühende Heide. Rote Schmetterlinge wiegten sich im Sonnenschein, und durch die hochstarrenden Ginsterbüsche raschelten die schillernden Insektenleiber; leises Summen ging durch die Luft, und die bunten Kiesel glühten zwischen dem Moos. Weit, unermesslich weit gedehnt lag die ostpreussische Steppe.
Seitwärts erhoben sich die dunklen Waldungen, aus welchen die Türme Procznas ragten, und geradeaus gegen den grell beleuchteten Horizont zeichneten sich die weidengeflochtenen Pferche ab, in welchen die Fohlen während der Sommermonate nächtigen.
Janek war auf flüchtigem Rosse stundenlang durch die Ebene geschweift. Er liebte es, planlos und ungestüm in Gottes weite Welt hinaus zu stürmen: da gab es kein Hindernis, wollte er den glühenden Sonnenball im fernen Westen mit Händen greifen, wollte er mit dem Herbststurm um die Wette jagen und die Kugel seiner Büchse wieder einfangen, ehe sie ihr Ziel erreicht; und stolz und frei wie die alten Deutschen ihre Götter in wilder Jagd daherbrausen sahen, wiegte sich auch der Erbe von Proczna im Bügel, schlank und schmeidig, wie verwachsen mit des Pferdes Rücken, mit flatterndem Lockenhaar und lustblitzendem Auge.
Oft hatte Xenia, an seiner Seite sprengend, mit ärgerlichem Blick auf sein ungesattelt und ungezäumtes Ross gesagt: „Du reitest nicht vornehm, Janek, nicht wie ein Graf, sondern wie ein Indianer!“ — und doch hatte sie der Getadelte überrascht, als die kleine Gräfin es mit zusammengebissenen Zähnen in der Koppel versuchte, sich auf dem glatten Pferderücken zu behaupten.
Wehe ihm, dass er sie ausgelacht hatte.
In grossem Umweg war Janek über die Steppe nach dem Walde geritten, spürte einen Fuchs auf und hetzte ihn so lang, bis er sich endlich in irgend eine Kaninchenröhre geflüchtet hatte, — dann sprang er von seinem dampfenden Rappen und pflückte ein paar verspätete Maiglöckchen, um sie der angebeteten Schwester heimlich in den Schoss zu werfen. Er wusste, dass sie mit ihrem Geschichtenbuch jeden Nachmittag an dem Waldsaume sass, um auf seine Rückkehr zu warten.
Behutsam lenkte er sein Pferd durch die tiefhangenden Fichtenzweige, um sich ihr unbemerkt näher zu pürschen, und schwang sich in den Sattel.
Richtig — nicht allzu fern vor ihm sah er das weisse Kleid schon über die Felssteine wehen.
Regungslos stand Janek und schaute auf sie hin, — nie war ihm Xenia so schön, so eigenartig und so — fremd erschienen.
Ihre sehr schlanke, wenn auch noch kindlich eckige Figur schien ihm plötzlich wie ein schneeweisser Nixenleib aus dem wogenden Blattgrün aufzutauchen. Er hatte einst ein Märchen gelesen von der Loreley, der süssen Hexe, welche im Abendsonnenschein auf dem Felsen sitzt und ihr goldenes Haar kämmt .... auch Xenia warf die leuchtenden Locken in den Nacken und strich sie mit ungeduldigen Händen von der Stirn zurück, — ganz so wie die holdselige Zauberin auf dem Felssteine des Rheines, die Hexe Loreley.
Janek deckt die Hand über die Augen.
Leise, leise schleicht er sich näher, er will die Maiglocken unvermutet über ihr Haupt streuen und glückselig aufjauchzen, wenn die dunkeln Augen sich erstaunt, fragend, vielleicht unwillig aufblitzend über die Störung, zu ihm aufschlagen, ... wenn er sie nur sehen kann, diese Augen, wenn sie überhaupt nur einen Blick für ihn haben!
Hexe Loreley!! ...
Sie wendet ihm den Rücken, die hohen Sträucher verbergen den Nahenden und bauen eine Mauer zwischen die Kinder des Grafen Dynar.
Näher und näher kommt Janek. — Er hört ihre Stimme.
„Du sollst und musst mir die Wahrheit sagen, Gustine, ich befehle es!“
Ja, das war die stolze, kalte Stimme seiner Schwester, und neben ihr, — Janek sieht nur ein schwarzes Kleid und einen Strickstrumpf durch das Brombeergewirr, — neben ihr sitzt Gustine.
„Ich darf’s nicht, Komtesse, der Graf hat’s verboten. Bah, was nützt’s auch jetzt noch? Das Kuckucksei liegt versiegelt und verbrieft in Ihrem Nest, da heisst’s eben: still gehalten und sich gefügt.“
„Wen meinst Du mit dem Kuckucksei, etwa Janek?“
„Wen sonst!“
„Wie kannst Du Dich unterstehen, meinen Bruder einen Eindringling zu nennen?!“ Xenia richtet sich empor, ihre Lippen beben.
„Ihren Bruder?“ Gustine lachte hart auf. „So wahr ein Gott im Himmel ist, Gräfin, Ihren Bruder würde ich nie so nennen!“
Janek hat das Gefühl, als habe ihn ein Faustschlag in das Gesicht getroffen, mechanisch lässt er sich auf das Knie hernieder, stützt die Arme auf das Gestein und lauscht mit zornglühender Wange.
„Was soll das heissen .... Du bist wunderlich, Gustine ....“ Xenias Stimme zittert, das Märchenbuch sinkt von ihren Knieen und fällt klatschend auf die grünlich schillernden Steine.
Da neigt sich der Kopf der Alten dicht zu ihrem Ohr.
„Haben Sie sich noch nie gewundert, Komtesse, woher der Janek sein schwarzes Haar hat? War seit Menschengedenken kein solcher Neger in der Familie! .... Ist es Ihnen noch niemals aufgefallen, wie verschieden der Bub von Ihnen ist? — Wie Tag und Nacht sind Sie Beide. Na, in Gottes Namen, glauben Sie’s oder glauben Sie’s nicht, dass er Ihr Bruder ist, — ich weiss, was ich weiss.“
Dunkle Schatten schwirren vor Janeks Augen, er will empor springen und die zischende Natter, welche ihm Ehre und Namen stehlen will, mit einem einzigen Faustschlag zermalmen, und dennoch zwingt er sich nieder und beisst die Zähne zusammen.
Alles will er hören, Alles.
Und er presst sein Angesicht auf das kühle Moos und fühlt, wie das Herz in seiner Brust schlägt.
Da erzählt Gustine von der Sturmnacht vor zwölf Jahren, von dem polnischen Gesindel, welches auf der Schwelle von Proczna um Obdach gebeten hat, von dem schlafenden Knaben, welcher, in Lumpen gehüllt, von Gustav Adolf aufgenommen wurde .... von dem fliehenden Vater, dem Rebellen, dem Insurgenten, der das Licht der Sonne nicht ertragen konnte; — Landstreicher, — verkommen Volk! — —
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