Bestimmt gibt es den einen oder anderen Leser, der bei diesen Zeilen die Stirn in Falten legt und sinngemäß so etwas wie »Ich habe zehn Mitarbeiter und den ganzen Schreibtisch voll Arbeit, woher soll ich mir da auch noch die Zeit nehmen, mir die Wehwehchen jedes einzelnen anzuhören?« denkt. Wer so denkt, sollte dringend weiterlesen, denn er hat den Kern seiner Führungsfunktion noch nicht begriffen: Führen ist Arbeit. Und zwar unsere wichtigste, ihr sollten wir den größten Teil unserer Zeit widmen. Andere Aufgaben müssen wir delegieren, denn wir sind nicht der »erste Sachbearbeiter«, sondern die Führungskraft. »Das ist immer so leicht gesagt…« wird jetzt wieder der eine oder andere denken. Ihnen entgegne ich: Versuchen Sie es doch einfach mal! Verteilen Sie Aufgaben, die nichts unmittelbar mit Ihrer Führungsfunktion zu tun haben auf Ihre Mitarbeiter. Natürlich müssen Sie den Eindruck vermeiden, Sie wollten nur unangenehme Aufgaben, zu denen Sie keine Lust haben, wegdrücken. Ich bin sicher, Sie werden einige Überraschungen erleben. Das Ergebnis wird vielleicht anders, aber deshalb nicht schlechter sein, als wenn Sie es selbst gemacht hätten und obendrein werden die Mitarbeiter durch das gewachsene Maß an Verantwortung und Selbstständigkeit stärker motiviert sein.
Der Erfolg auf diesem Weg wird uns erleichtert, wenn wir uns von der grundsätzlichen Einstellung verabschieden können, dass unsere Mitarbeiter dümmer sind als wir. Gerade bei den Feuerwehren ist vielfach sowohl bei Mitarbeitern als auch bei Führungskräften noch die Ansicht vertreten, dass ein Vorgesetzter in seinem Gebiet der oberste Experte sein muss. Viele Chefs fühlen sich daher ständig bemüßigt, ihren Nachgeordneten unter Beweis zu stellen, dass sie von der jeweiligen Materie mehr Ahnung haben. Damit scheitern sie nicht selten, denn natürlich ist ein Sachbearbeiter, der sich fast ausschließlich mit einem Problem beschäftigt, seinem Chef, der sich mit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Problemen beschäftigen muss, meistens im jeweiligen Detailwissen überlegen. Dies führt immer wieder zu peinlichen Situationen. Oft kann man beobachten, wie ein Mitarbeiter seinen Vorgesetzten regelrecht »auflaufen« lässt. Doch wer lässt sich schon gerne vorführen? Der Vorgesetzte sitzt letztlich immer noch am längeren Hebel und wird nur auf den Moment warten, in dem er seinem Mitarbeiter zeigen kann, wer hier der Chef ist.
[28]Chef und Mitarbeiter kommen am ehesten zum Erfolg, wenn sie eine Partnerschaft eingehen. Dazu ist zunächst erforderlich, dass der Vorgesetzte seinen Mitarbeiter als »Experten« anerkennt, also als den jeweiligen Fachmann akzeptiert. Der Mitarbeiter hingegen muss erkennen, dass sein Vorgesetzter nicht seine Detailkenntnis haben muss, dass aber letztlich nur er der Schlüssel zu seinem Erfolg ist. Er muss wissen: Nur mein Vorgesetzter kann mir die Arbeitsmittel und -kräfte beschaffen, die ich benötige und nur er verleiht dem Ergebnis meiner Arbeit auch die Möglichkeit zur Realisierung. Letztlich ist es mein Vorgesetzter, der über mein weiteres Vorwärtskommen entscheidet. Der psychologische Effekt dieser Partnerschaft ist leicht verständlich: Der Mitarbeiter wird sich anerkannt fühlen, wenn er spürt, dass sein Vorgesetzter seiner Fachkenntnis vertraut. Dies wird ihn in aller Regel motivieren, dieses Vertrauen auch zu rechtfertigen. Sieht er dann seine Arbeit auch realisiert, wird ihn das zusätzlich motivieren. So haben wir die Motivation unseres Mitarbeiters gefördert und wir können das »große Ganze« im Auge behalten, ohne uns mit Detailfragen aufhalten zu müssen.
Zu den entscheidenden persönlichen Kompetenzen einer Führungskraft gehört auch die Fähigkeit, anderen vertrauen zu können. Eine Führungskraft muss in der Lage sein, ihren Mitarbeitern Vertrauen zu schenken. Kontrollmechanismen sind aufwändig, teuer und demotivieren den Mitarbeiter, wenn er spürt, dass ihm misstraut wird. Wenn wir Vertrauen schenken, übertragen wir damit zugleich auch Verantwortung. Dies erhöht wiederum die Motivation des einzelnen Mitarbeiters, wenn er erkennt, dass wir nicht nur seine Kompetenz anerkennen, sondern ihm auch auf Augenhöhe begegnen. Welcher Mensch will ein solches Vertrauen enttäuschen? Natürlich kann es auch einmal die eine oder andere negative Erfahrung geben. Diesem Fall muss dann natürlich mit aller gebotenen Entschiedenheit entgegengetreten werden. Solche »schwarzen Schafe« sollten uns jedoch nicht dazu bringen, allen Mitarbeitern grundsätzlich zu misstrauen und aufwändige Kontrollmechanismen zu installieren.
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Merke: Erfolgreiches Führen ist ohne Vertrauensvorschuss kaum möglich. Von Hause aus misstrauische Menschen werden es daher in ihrer Führungsfunktion stets schwerer haben. |
Aufgaben zu delegieren, ist einer der schwierigsten Aspekte der Personalführung. Delegieren darf nicht bedeuten, nur unangenehme Aufgaben auf andere abzuwälzen. Vielmehr ist unter Delegieren zu verstehen, dass die Bearbeitung verantwort [29] licher Aufgaben ganzheitlich mit allen dafür erforderlichen Kompetenzen übertragen wird. Delegation setzt zunächst voraus, dass wir uns als Vorgesetzte von unserer konkreten Vorstellung, wie das Ergebnis aussehen muss, verabschieden . Es ist wenig verwunderlich, dass die wichtigsten Prinzipien der Menschenführung beim Militär entwickelt wurden und noch heute entwickelt werden. Lediglich die Begrifflichkeiten unterscheiden sich etwas. So wurde das Delegationsprinzip beim deutschen kaiserlichen Heer unter dem Begriff »Auftragstaktik« bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelebt. Zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter wird ein Ziel vereinbart, der Weg zu Erreichung dieses Ziels ist dem Mitarbeiter weitgehend selbst überlassen. Entscheidend ist allein, dass das Ziel erreicht wird. Auch U. S.-General George S. Patton zeigte sich bald von diesem Führungsprinzip überzeugt: »Schreiben Sie den Leuten nicht vor, wie sie etwas erledigen sollen. Sagen Sie ihnen, was zu tun ist, und sie werden Sie mit ihrem Einfallsreichtum verblüffen.« Als Führungskraft sollten wir die Bereitschaft haben, uns überraschen zu lassen. Natürlich kann eine solche Überraschung auch einmal unangenehm ausfallen. Dies sollte uns jedoch nicht sofort davon abbringen, neue Dinge auszuprobieren.
Die Chance des Erfolges erhöht sich, je eher wir den oder die betreffenden Mitarbeiter in den Auftrag miteinbeziehen. Ziele sollten wir gemeinsam mit dem Mitarbeiter formulieren. Bei der Erfüllung seiner Aufgabe wird der Mitarbeiter vielleicht unsere Unterstützung benötigen. Wir sollten stets ein offenes Ohr für seine Fragen haben und ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen. Dazu gehört, alle verfügbaren Informationen bereitzustellen. Das Zurückhalten von »Herrschaftswissen« wird nicht nur unseren Mitarbeiter scheitern lassen, sondern in letzter Konsequenz auch uns. Es ist aber nicht unsere Führungsaufgabe, fertige Lösungsschablonen zu liefern. Die Bereitschaft, unkonventionelle Wege zu gehen, sollten wir fördern. Das schließt auch ein, vielleicht unpopuläre Entscheidungen unserer Mitarbeiter mitzutragen und ihnen nach außen hin den Rücken zu stärken. Bei der Beurteilung des Ergebnisses dürfen wir nicht an unseren eigenen Lösungsschablonen haften. Warum soll unsere Lösung die einzig Wahre sein? Das beginnt schon im Kleinen: Viele detailverliebte Vorgesetzte neigen dazu, die Formulierungen in Schriftsätze ihrer Mitarbeiter durch kleinteilige Änderungen zu »verbessern«. Bei nüchterner Betrachtung ist das Ergebnis hinterher meist nicht gelungener als vorher. Peinlich kann es sogar werden, wenn er bei der fünften Vorlage desselben Textes anfängt, seine eigenen »Verbesserungen« zu verbessern. Solche »Verbesserungen« kosten viel Zeit und enervieren die Mitarbeiter. Bevor wir eine Textpassage ändern, sollten wir sorgfältig abwägen, ob diese Änderung wirklich unumgänglich, also zur Erreichung des Ziels unverzichtbar ist oder ob diese Änderung nicht lediglich unserer Meinung nach netter klingt. Mitarbeiter sollten hingegen angehalten werden, sich [30]ihre Texte gegenseitig zu korrigieren. Das prägt den Team-Geist und gewährleistet nebenbei, dass alle auf dem gleichen Informationsstand sind. Ansonsten gilt auch hier: Wir kümmern uns nicht um Details, sondern ums große Ganze, was in diesem Zusammenhang meint: Wir lektorieren nicht die Entwürfe unserer Mitarbeiter, sondern sorgen für eine Fortbildung oder eine andere Verwendung, wenn ein Mitarbeiter beim besten Willen nicht in der Lage ist, verständliche, präzise Texte zu formulieren.
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