Peter Seeberg
Erzählungen
Saga
Die Frau im Fluß Übersetzt Ruth Stöbling Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1983, 2019 Peter Seeberg und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711512654
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Tierpfleger im Zoologischen Garten Ålborg
Mein persönliches Tigerweibchen, das einen so tiefen Blick hat und das ich persönlich gekauft hab, weil der Garten nur Tigermännchen hatte, da das frühere Weibchen gestorben ist, schenke ich dem Garten als Dank für die vielen frohen Tage zwischen Gittern.
Ich hab auch einen Zwergesel, den ich in Tunis gekauft hab, der kommt, wenn man ihn ruft, und der sehr kinderlieb ist. Er soll, solange er lebt, allen Kindern, die in den Garten kommen, zur freien Verfügung stehen. Sie können darauf reiten, wie sie wollen. Aber nicht Mädchen über vierzehn Jahre und Jungen über zwölf. Denkt daran, daß er Gurken mag.
Von meinem persönlichen Vermögen schenke ich dem Garten 100 000 Kronen für Futter, solange die Tiere leben. Wenn sie sterben, nun, dann soll der Garten das ganze Geld für den Bau eines neuen und größeren Eisbärengeheges mit Grotte verwenden. Das jetzige ist nicht bärenfreundlich genug.
Dem Tierschutzverein vermache ich 10 000 Kronen.
Meine hinterbliebene Ehefrau soll in ungeteiltem Nachlaß in unserer Villa in Sønder Tranders leben und alles behalten, was wir haben und besitzen. Die Kinder sind gut auf den Weg gebracht worden und können zurechtkommen, ohne ihre gute Mutter um das zu bringen, was sie braucht, damit das Heim in würdigem Zustand bewahrt bleibt.
Doch bitte ich sie und alle meine Hinterbliebenen, sich mir in einer Reihe von persönlichen Wünschen zu fügen, und die sind:
Niels Hansen in Guderupholm, mein langjähriger treuer Kollege, der vor zwölf Jahren nicht mit nach Indien kam, soll mein englisches Gewehr und meinen Tropenhelm haben. Er wird sich gut um die Sachen kümmern.
Unser ältester Sohn soll die Stiefel von dieser Reise haben, aber er soll sie nicht tragen. Dann werden sie sich auch während seiner Zeit halten.
Unser jüngster Sohn soll mein Fernglas haben, weil er sich für Vögel interessiert. Unsere Tochter soll die Bilder von meiner Mutter haben, die ich so sehr mochte.
Ihre Kinder sollen alle dasselbe haben, denn es soll kein Unterschied gemacht werden: jeder einen von den silbernen Löffeln aus dem Nachlaß meiner Mutter, jetzt als eine Erinnerung, und später bekommen sie ja sowieso alles zum Teilen. Damit rechnen wir. Doch eins noch. Als glücklicher Ehemann und zufrieden mit einer Arbeit, die mir die Augen geöffnet und mir jedweden Tag glückliche Stunden geschenkt hat, will ich, daß meine Gedenkfeier nicht zu einer Trauerfeier wird. Setzt von meinem Vermögen sofort so viel Geld ab, daß alle im Gefolge sowohl zu essen als auch zu trinken bekommen, vor allem zu trinken. Mietet das Feuerwehrorchester und laßt es »In meiner Kindheit, da hört ich das Krachen der Kartaunen« und andere Melodien spielen, die das Gemüt froh stimmen. Trauer ist mir fremd. Wenn sich die Tage meines Lebens ihrem Ende zuneigen, will ich für jeden davon danken und mich als ein froher Mann zum Sterben legen.
Macht es nicht zu bescheiden. Denkt daran, wie gut wir es im Leben haben und daß es nicht mehr wiederkommt.
Mein früherer Wunsch, den Tieren vorgeworfen zu werden, war nicht so ernst gemeint. Ich lasse mich auf hergebrachte Weise und mit gebührendem Gottesdienst begraben. Der Pastor darf gern etwas Schönes über mich sagen. Ihr könnt ihm ja erzählen, wie ich gewesen bin. Aber ladet ihn hinterher nicht ein. Wo mir nicht was andres hat einfallen können, will ich in all und jedem alter Sitte und Gewohnheit folgen.
Ja, darum bitt ich Euch, geliebte Hinterbliebene. Nehmt es nicht so schwer. Wenn das Leben nun mal nicht anders zu Ende gehen kann.
Macht es so, dann danke ich Euch noch ein letztes Mal. Obendrein sogar schriftlich. Was mir nicht gelegen hat.
In Liebe
Ålborg/Sønder Tranders, 19. Februar 1973
gez. Eyvind Poulsen
(Bergske Blade)
Zigarrenhändler Matthias Svanholm ist nach wenigen Tagen Krankheit im Alter von siebenundsiebzig Jahren verstorben. Zigarrenhändler Svanholm hat in Hobro Kaufmann gelernt und während einer Reihe von Jahren verschiedene Konsumläden in der Gegend zwischen Hobro und Farsø geleitet, bis er 1927 die alte Nissensche Zigarrenhandlung in der Storegade erwarb und sie bis zu seinem Tode betrieb. Matthias Svanholm war ein origineller Mann, der stets eine Bemerkung oder eine Geschichte parat hatte für seine Kunden, die gern in sein Geschäft kamen, nicht nur um Tabak zu kaufen, sondern auch um mit ihm ein Schwätzchen zu machen. Svanholm, der verheiratet gewesen war, verlor schon vor einem Menschenalter seine Frau und heiratete nicht wieder. Sein Hauptinteresse galt, außer seinem Geschäft, das er nach untadligen Prinzipien und mit einer landesweit bekannten großen Auswahl führte, dem Angelsport an Flüssen und Seen sowie auf dem Meer. Jedes Jahr, wenn die Meerforelle die großen Flüsse hinaufwandert, um zu laichen, schloß Svanholm sein Geschäft für ein paar Tage und stand in Regen und Hundewetter, in Sturm und Kälte mit Rute und Fliege am Steilufer. Ob etwas anbiß oder nicht, spielte für ihn keine Rolle. »Da draußen stehen, darauf kommt es an«, sagte er oft, wenn man ihn fragte. Trotz vieler Aufforderungen hatte Svanholm kein einziges öffentliches Ehrenamt inne. Er sagte auch klipp und klar warum: »Es gibt einige, die müssen nicht nur den Rücken frei haben.« Seine charakteristische, korpulente Gestalt, die außerordentlich zierlichen, kleinen Füße und das kräftige Gesicht unter dem weichen Hut werden von allen vermißt werden, die Gelegenheit hatten, ihm zu begegnen, wenn er pünktlich wie ein Uhrwerk auf dem Weg ins Geschäft war, das er eigensinnig schon morgens um sieben öffnete. Er vertrat die Überzeugung, daß die Leute die Möglichkeit haben müßten, sich schon vom frühen Morgen an Tabak kaufen zu können.
Konrektor Hans Emil Hansen ist nach jahrelanger schmerzhafter Krankheit im Alter von achtundsechzig Jahren verschieden. Konrektor Hansen stammt aus einer hiesigen Fabrikarbeiterfamilie. Hansen sprach mit Stolz von der guten Erziehung, die ihm seine fleißigen Eltern hatten zuteil werden lassen. Nach dem Examen der Mittleren Reife an der Bürgerschule besuchte er das Nørre Nissum Lehrerseminar, das er 1924 abschloß. Nach einigen Jahren Vikariatsdienst in Lemvig und Ulfborg wurde er am 1. November 1929 im Schulwesen seiner Heimatstadt angestellt. Am 1. April 1948 wurde er Konrektor. Hans Emil Hansen ehelichte 1930 die Haushaltslehrerin Martha Jungshoved. Gemeinsam bauten sie sich ein selten glückliches Heim auf, zuerst in einer Wohnung auf dem Godthåbsvej, später in der kleinen Villa, die sie sich auf dem Næssevej errichteten. Der Garten, Konrektor Hansens große Liebe, wurde mit vielen seltenen Pflanzen angefüllt und entwickelte sich zu einem wahren Vogeleldorado. Nicht selten unternahmen Fachgruppen Exkursionen durch diesen Garten, den Konrektor Hansen stolz und gern vorzeigte. Hansen war ein Christ vom alten Typ, heiß im Glauben, fest und treu in seinem Wirken, sanft und nachsichtig gegenüber den Übertretungen anderer. Seine Schüler liebten ihn wegen der Freundlichkeit und Heiterkeit, die seine Arbeit an der Schule prägten. Den neuen Gedanken begegnete er mit Wohlwollen. »Warum nicht«, sagte er stets, wenn manche Bedenken äußerten. Hansen war ein bescheidener Mann, doch er stellte sich seiner Verantwortung, wenn er sah, daß es von ihm verlangt wurde. Vom ersten Jahr an nahm er an der illegalen Arbeit in der Stadt teil, nach dem Krieg ließ er sich bei mehreren Stadtratswahlen für die Sozialdemokratie aufstellen, wurde aber nie gewählt. Außer seiner Witwe hinterläßt Hansen drei erwachsene Kinder: Physiotherapeutin Ellen Gall, verheiratet mit Anwalt Gall, Gentofte, Diplomingenieur Peter G. Hansen, Frederikshavn, Redakteur Mogens Prehn, Tageszeitung »Aktuelt«, Kopenhagen.
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