„Da wir keine Konkurrenten haben, ist das nicht so eilig“, warf Peter Sattler ein. „Mir ist es wichtig, einmal ein richtiges Gehege für die Rinder zu haben. Sieh doch, wie weit sie sich heute nacht zerstreut haben!“
„Nach Anahim können sie nicht mehr zurück!“ lachte Mac Lean. „Aber du hast natürlich recht. Wo soll das Ranchhaus stehen?“
Peter Sattler blickte um sich. „Hier ist es nicht übel. Doch –“
„– wie wäre es mit dem Vorschlag deiner Söhne?“ fragte Mac Lean.
„Gut, reiten wir!“
Anfangs schien es Bill und Peer, den beiden Brüdern, als könnten sie den Hügel nicht mehr finden. Sie erkannten erst jetzt, wie weit sie gestern geritten sein mußten. Hinter jede Waldbucht schauten sie, und manchmal umritten sie flache, alleinstehende Wäldchen. Doch endlich fanden sie ihn. Der Hügel stach auch den Männern sogleich in die Augen.
Und an diesem Tag wurden noch einmal die Packpferde aufgesattelt, ein letztes Mal wohl für lange Zeit.
Es wurde ein gemächliches, frohes Wandern über die endlose Weide hin. Die Bäuche der Rinder standen schon am Mittag prall, aber sie rupften immer wieder da und dort ein besonders saftiges Büschel Gras. Auch die Pferde trotteten mit ständig gesenkten Köpfen dahin, und mehr als einmal schien es, als wollte ihnen die Last über den Kopf hinabgleiten. Niemand wehrte es ihnen heute. Was machte es auch aus, ob man eine Stunde früher oder später am Hügel anlangte? Menschen und Tiere, alle hatten das Gefühl: Nun sind wir daheim, endlich daheim!
„Einen Rasttag haben wir uns alle verdient, aber morgen soll es losgehen!“ meinte Peter Sattler am nächsten Abend, als ein jeder einen ganzen Tag lang getan und gelassen hatte, was er nur wollte. Nur die Mutter hatte eine Ausnahme gemacht und auch an diesem Tag für alle gesorgt.
Ihre größte Sehnsucht ging nach einer wohnlichen Hütte. Aber sie wußte, daß der Hausbau warten mußte. Es stand noch vieles bevor, das wichtiger war.
Zuerst kam der Viehzaun. Am Morgen zogen die vier Männer mit geschulterten Äxten und der kleinen Motorsäge in den Wald hinauf. Den ganzen Tag summte der Motor der Säge, hallte der Schlag der Axt. Tanne um Tanne, lauter junge schlanke Tannen, sanken um, mit einigen Hieben flogen die Äste ab, und das scharfe Schäleisen schabte die Rinde von den Stämmen. Die Stangen wurden in Ketten gebündelt, und die Tragpferde schleppten sie auf die Wiese hinaus. Peter Sattler spitzte mit wuchtigen Hieben die Pfähle zu und steckte sie zum Ankohlen in das Feuer.
Der Zaun für acht Rinder mußte nicht allzuweit gezogen werden, aber später wollte man eine zweite Koppel anfügen, wenn die erste kahlgefressen war. Es war nicht gut, wenn man die Rinder so einfach über die endlose Weide dahinstampfen ließ.
Eine Woche lang trieben die Männer diese Arbeit, dann standen die Zäune. Dazwischen hinein hatten Mac Lean und Peter Sattler eine einfache und primitive Ranchhütte aus Pfählen und Rinden errichtet, eine Sommerhütte, damit man endlich der Zelte entraten konnte. Auf dem roh aufgestellten Steinherd ließ sich für Bärbi Sattler schon viel angenehmer kochen als auf dem großen Dreifuß über knatternden Flammen.
Rossy aber lernte zur Zeit das Melken der Kühe.
„He, morgen beginnt die Mahd!“ verbreitete Mac Lean eines Abends seinen neuen Plan.
Jetzt mußte sich das schwerste Stück bewähren, das sie auf dem langen Weg mit sich geschleppt hatten. Auf der Floßfahrt über den Fluß wäre es bald hinab in das Wasser gesunken: der kleine, hoch übersetzte Motormäher. Peter Sattler setzte ihn an, wo das Gras am fettesten stand, denn man mußte mit dem Benzin sparsam umgehen. Zwei, drei Stunden jeden Tag durfte der Motormäher rattern, dann lag ein weites Stück Weide gemäht. Alle übrige Arbeit, das Wenden und Heuen, das Zusammentragen zu hohen Schobern, mußte mit den Handwerkzeugen geschehen.
Peter Sattler fühlte sich wie in das ferne, ferne Europa zurückversetzt. Er war wieder Bauer geworden, schritt über eigenen Grund und mähte das Gras, wie er es als Bub in den glücklichen Jahren der Jugend geübt hatte. Zwischen damals und heute lagen viele Jahre voll Trauer und Bitterkeit, aber heute begann sich die letzte Bedrückung zu lösen. Und wenn er den Duft des knisternden Heues einsog, dann schien es ihm, als wäre er endlich wieder heimgekehrt.
Mac Lean war aus anderem Holz geschnitzt. Ihm sagte bald die zahme Arbeit im Heu nicht mehr zu, und eines Morgens entschloß er sich, zum erstenmal auf die Jagd zu gehen.
Bill und Peer schauten ihm sehnsüchtig nach, als er zwischen den Bäumen untertauchte. Den Rechen schieben, mit der Gabel Heu hochheben, ach, wie langweilig erschien ihnen solche Arbeit. Viel lieber hätten sie eine lange Flinte geschultert und wären den Wald hinan und durch Schluchten gepirscht, bis sie das Lager eines Grizzlybären gefunden hätten. Dann käme der Kampf und die Gelegenheit, sich zu bewähren.
Leise zischte der Rechen, blinkte die Gabel, rauschte das Heu; und drinnen im Gehege die friedlich weidenden Rinder und Tragetiere. Waren sie um dieser zahmen Lebensweise willen so weit nach dem wilden Nordwesten gezogen? Ach, einmal würde auch dieses langweilige Leben wieder zu Ende gehen. Vielleicht, wenn der Winter kam?
Der Entiako-See und sein Weideland befanden sich etwa fünfzig Kilometer vom Tweedsmuir-Provinz-Park entfernt, dem ungeheuren, viele Hunderte Quadratkilometer großen Naturpark des Nordwestens von Brifisch-Kolumbien. Von diesem durfte kein Land an die Ranchers verkauft werden, nur die Ulgatchos, die wenigen streifenden Sippen, hatten dort noch Gelegenheit, frei auf ihre Art ihr Leben zu gestalten.
Die Ranchers lebten nun schon zwei Wochen lang auf der Weide am Entiako-See, aber noch kein Indianer war ihnen begegnet. Offiziell herrschte längst Frieden zwischen Weißen und Indianern, aber es hatte in Anahim geheißen, daß in den äußersten Gebieten doch manche Zusammenstöße mit den Ulgatchos vorgekommen seien. Es gab Streit, auch manche Diebstähle geschahen. Bis aber die Mounted Police herbeigerufen werden konnte, waren die Ulgatchos längst wieder in der Weite der Wälder untergetaucht.
Seit einigen Jahren ging die Regierung daran, auch für die Indianer einen Ausweiszwang einzuführen. Bei den Vergehen gegen die Weißen handelte es sich immer nur um einzelne böse Elemente, im übrigen ließen sich den Sommer über immer mehr Ulgatchos als Viehhirten auf den Ranches anwerben. Erst im Winter zogen sie wieder zu ihren Familien in ihre versteckten, schmutzigen Dörfer zurück.
Eine ganze Woche über hatte das schönste Heuwetter geherrscht. Heute brauten sich schon am frühen Nachmittag um die Algack-Berge dunkle schwarze Wolken zusammen. Die Moskitos stachen, und die gepeinigten Tiere suchten Schutz in den rauschenden Büschen am Waldrand.
Alle fünf Sattlers schafften auf der Heuwiese. Peter Sattler und Bill schleppten hohe Heubündel zu den Schobern, wo um lange in den Boden getriebene Stangen das Heu festgetreten wurde. „Einen Wagen müßte man hereinschaffen“, brummte der Mann. Aber er dachte an die steilen Berghänge, an das dichte Gefilz des Urwalds, an die brückenlosen Flüsse, durch die sie geschwommen waren, und es schien ihm, daß niemals ein Wagen bis zum Entiako Lake gelangen könnte.
Die Sonne hatte sich inzwischen verdüstert, und dumpfes Gewitterrollen war zu hören. Rossy stand mit heißem Gesicht hoch auf dem Schober und trat Heu zusammen, das Peer heraufwarf.
Auf einmal stand sie erstarrt. Fern vor der Rindenhütte auf dem Hügel tauchten zwei Männer auf. Zwei Männer, Mac Lean und –?
Jetzt kamen sie mit Rechen und Gabeln auf den Schultern auf die Heuwiese heraus. Der Vater sah sie noch gar nicht. Sollte Rossy rufen?
Ach, es gab doch keine Gefahr, wenn Mac Lean dabei war!
Der Mann, der mit Mac Lean herauskam, hatte einen seltsam wiegenden Gang. Er schwang bei jedem Schritt mit den Beinen nach rechts und links aus, als trüge er lange Steigeisen an den Füßen. Die losen Ärmel seiner Lederjacke schlenkerten, der ganze Körper schien aus lauter wackelnden Gelenken zu bestehen.
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