Franz Braumann - Die Feuer der Wildnis

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Eine Siedlerfamilie entscheidet sich, zum äußersten Norden Kanadas zu reisen. Ihr Ziel ist es, dort nach unbesiedeltem Weideland zu suchen und dort eine eigene Rinderfarm aufzubauen. Denn wenn sie dies schaffen, erlangen sie Freiheit und Unabhängigkeit. Doch bei diesem Plan handelt es sich um eine gefahrvolle Unternehmung und ein Unterfangen voller Entbehrungen und Herausforderungen in der menschenlosen Wildnis. Wird die Familie es schaffen sich mit Mut, Ausdauer und harter Arbeit durchzusetzen?-

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Franz Braumann

Die Feuer der Wildnis

Zeichnungen von Kajo Bierl Loewe

Saga

Die Feuer der Wildnis Copyright © 1983, 2019 Franz Braumann und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711968680

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Hinter den letzten Rändern der Welt

„All devils, ich hab’ ihn gefunden!“

George Mac Lean stapfte mit seinen klirrenden Sporen in die niedrige Wellblechbaracke, in der seit länger als einem Jahr die Familie Sattler hauste. Er warf seinen breitkrempigen, lederumsäumten Cowboyhut mit einem Schwung an den Wandhaken und hielt ein flatterndes Zeitungsblatt hoch.

Die Sonne war bereits hinabgesunken. In dem niedrigen Raum begann es dämmrig zu werden. Es war neun Uhr abends, aber zu dieser Zeit im Juni wollte es fast nicht mehr Nacht werden.

Die Familie Sattler saß um den Tisch beim einfachen Abendessen versammelt, denn erst um diese späte Zeit gelang es Frau Bärbi, alle ihre Lieben ins Haus zu bringen. Peter Sattler erhob sich und streckte sich in seiner gewaltigen Länge.

„Nimm Platz, Mac, und spann uns nicht lang auf die Folter! Was hast du gefunden?“

Aber Mac Lean, der ausgedörrte, stets fröhliche „Cowboychief“, trappte immer noch über die quietschenden Bodenbretter auf und ab. Er murmelte irgendeinen ausgelaugten Fluch vor sich hin und schlug immer wieder auf das verknitterte Zeitungsblatt.

„Was ich gefunden habe? Meinen neuen, meinen endgültigen Job! Und hast du nur etwas Grütze im Kopf, so muß es auch der deine werden, understanding, Peter, old Farmer?“

Peter Sattler war fast um einen Kopf größer als Mac Lean. Aber an Beweglichkeit konnte er sich mit Mac nicht messen. Auch jetzt griff er nur zögernd nach dem Zeitungsblatt, das ihm der Freund entgegenhielt. „Wie sieht dein neuer Job aus? Laß mal sehen“, brummte er gutmütig.

Er las langsam den Titel der Zeitung: „ ,Quesnel News‘, ein Provinzblatt! Quesnel – Quesnel – nie gehört von diesem Kaff. Liegt das überhaupt noch in Kanada?“

„Lies weiter, alter Bär!“ drängte Mac Lean und wies auf eine bestimmte Stelle der Zeitung.

„Langsam, langsam!“ Peter Sattler hatte erst als Erwachsener die englische Sprache erlernt und las halblaut Wort für Wort des Textes:

„. . .es fehlen die Pioniere, die bereit wären, sich einmal genauer jenseits des Jawnie-Gebirges umzusehen. Jack Bondy, unser Gewährsmann, watete tagelang mit seinem Pferd bis zum Bauch im saftigsten Berggras, um das sich niemand kümmert als die Elche und etwa im Winter die Karibuherden, die aus dem Rainbow-Gebirge und dem Coast Range herabziehen. Es ist niemand mehr bereit, hinter den letzten Rändern der Welt sein Glück zu suchen . . .“

Peter Sattler ließ das Blatt sinken und sprach die Worte noch einmal: „. . .hinter den letzten Rändern der Welt . . .“

Mac Lean stieß ihn ungeduldig an. „Begreifst du endlich, was ich meine?“

Sattler schüttelte langsam den Kopf. „Sein Glück – sein Glück! Mein Glück werde ich doch niemals mehr erreichen. Ein freier, unabhängiger Bauer, meinetwegen ein Farmer oder Rancher, wie man es eben nennen will, wieder einmal zu sein, der über den eigenen Grund geht und das eigene Vieh auf die Weide treibt!“ Über sein Gesicht legte sich ein trauriger, schwermütiger Ausdruck.

Indessen hatte die ganze Familie Sattler sich vom Tisch erhoben und war zu den beiden Männern getreten. Bärbi Sattler, die Frau, blickte besorgt auf ihren Mann. Wenn sein Gesicht sich umdüsterte, dann war er oft tagelang nicht aus seiner Schwermut zu rütteln. Die drei Kinder der Sattlers aber trieb die Neugierde herbei: Bill und Peer, die Brüder mit ihren sechzehn und fünfzehn Jahren, trugen selber schon Cowboykleidung; Rossy, die zwölfjährige Schwester, war diesmal vorzeitig in die Ferien heimgekommen. Die beiden Lehrerinnen der Schule in Nelson Creek hatten überraschend nach dem Osten, irgendwo nach Alberta hinüber, geheiratet, und die Schule war plötzlich ohne Lehrer gewesen. Na, die Mädels waren darüber nicht traurig und hatten jubelnd die weit verstreut auf den Farmen und Viehranches lebenden Eltern verständigt. Auch Rossy war heute schon am Morgen in ihre Reithosen geschlüpft.

Nun blickten alle drei Kinder gespannt auf den Besucher und Freund des Vaters.

Auch Mac Lean fühlte, was er bei Peter Sattler wieder angerichtet hatte. Er zog ihm das Zeitungsblatt aus der Hand. „Setzt euch um den Tisch, dann will ich alles so haarklein erklären, daß es auch in Peters alten Grips hineingeht!“

Frau Sattler trug die Reste der Abendmahlzeit fort und schaltete das Licht an. Doch die Lampe an der Decke gab nur einen matten, roten Schein. Mac Lean schlug mit der Faust auf den Tisch. „Verdammt, der Mann am Generator ist wieder eingeschlafen! Habt Ihr keine andere Lichtquelle, Lady Sattler?“

Lächelnd steckte die Frau eine Petrolgaslampe an. Mit einem leisen Knall entflammte sie und waberte dann weiß und zischend um den Brenner.

„Das ist wenigstens ein Licht, werden es bald wieder ständig brauchen!“

Die Sattlers verstanden nicht, was er damit meinte, aber sie folgten gespannt jeder Bewegung Mac Leans, der nun eine Landkarte aus seiner weiten Lederjacke zog und diese auf dem Tisch ausbreitete. Auf ihr war das ganze Land Britisch-Kolumbien, von den Rocky Mountains im Osten bis zum blauen Pazifik im Westen, von Vancouver im Süden bis zum Yukon Territory im Norden, ziemlich genau eingezeichnet.

„Wo sitzen wir jetzt? Na, zeig es schon uns alten Knaben, Rossy!“ forderte er die Jüngste der Familie auf.

Das Mädchen fand sich sogleich zurecht. Sie wies auf ein lang hingezogenes, schmales Gewässer und las halblaut: „Lower Arrow Lake.“ Dann blieb ihr Finger auf dem Namen „Broadwater“ liegen.

„Es stimmt: Broadwater am Unteren Arrowsee! Eine gottverlassene Gegend, unsere Rinderfabrik Perkins and Sons! Aber irgendwo muß eben der Mensch hausen, solang er nichts Besseres weiß.“

Peter versuchte, seine bitteren Erinnerungen, die ihm wieder einmal gekommen waren, zurückzudrängen.

„Na, schieß schon los! Wo liegt dieses Eldorado, dieses Goldland, von dem du plötzlich so entflammt bist?“

„Goldland!“ Mac Lean schüttelte geringschätzig den Kopf. „Das ist vorbei! Mir erscheint Weideland sicherer.“

Sattler schaute immer noch ungläubig auf Mac.

„Möchtest du mich als Cowboy etwa noch weiter nach Westen locken, hinter die letzten Ränder der Welt?“

Diesmal achtete Mac Lean gar nicht auf den neuen Einwurf. Er glättete die Karte und schob sie näher ans Licht.

„Nun, Rossy, unsere junge Wissenschaftlerin, zeig uns mal Quesnel, die Stadt, die so interessante Nachrichten druckt!“

Alle fünf Augenpaare der Sattlers suchten über die Karte hin. Vancouver, Kamloops, Kitimat im fernen Norden fanden sie leicht, auch noch Chilliwack, Prince George und Dawson Creek. Aber wo steckte überhaupt Quesnel?

Mac Lean erlöste die Suchenden. Er fuhr mit seinem harten Finger nach Needles nördlich der Arrow Lakes und ließ ihn nordwestlich weitergleiten nach Vernon, Kamloops, Clinton, Williams Lake am Fraser River und schob ihn langsam nordwärts weiter, bis er auf dem klein gedruckten Namen Quesnel liegenblieb.

Die Freunde blickten sich schweigend an. „Dort hinauf willst du gehen?“ fragte Peter Sattler endlich ungläubig.

Der Cowboy-chief verzog das Gesicht und hob die Brauen. „Was soll ich in Quesnel? Hinter die letzten Ränder der Welt will ich sehen!“

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