Franz Braumann - Der weiße Tiger - Abenteuer aus aller Welt

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In diesem Buch werden verschiedene Erzählungen kombiniert. Doch eines haben sie alle gemeinsam: sie sind fesselnd und ungewöhnlich. Unabhängig davon, ob es um aufregende Entdeckungsfahrten oder unheimliche Begegnungen mit Eingeborenen geht, der Leser lernt einiges über andere Nationalitäten und Länder kennen. Die Charaktere müssen mit großen Gefahren umgehen können und lernen wie sie in einer für sie völlig fremden Welt überleben können. Diese spannenden Geschichten lassen den Leser das Buch kaum aus der Hand legen.-

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Franz Braumann

Der weiße Tiger

Abenteuer aus aller Welt

SAGA Egmont

Der weiße Tiger - Abenteuer aus aller Welt

Copyright © 1977, 2018 Franz Braumann und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711968666

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

Pest im Hamun

Thiemo Hardegg erwachte dadurch, daß das schwarze Zelt knatternd zu flattern begann. Klatschend schlug ihm das schwere, rauhe Tuch ein paarmal ins Gesicht. Noch im Halbschlaf hörte er durch das stoßartige Wehen des Bas-e-sad-u-bist-ruz, des „Windes der hundertzwanzig Tage“, das nächtliche Heulen der Schakale.

„Sahib, verzeihe die Störung. Aber wir haben noch eine lange Reise vor uns!“ krächzte von draußen die heiser verrauchte Stimme Narrimans, des Karawanenführers.

Thiemo erhob sich verschlafen und trat hinaus. Dämmrige Nacht hing noch über der Wüste. Die Sterne zitterten wie flackernde Lichter. Drei hohe Lastwagen standen in der weiten Wanne des flachen Tales. Eben löste sich der bewaffnete Wächter von der Bordwand des ersten Wagens, an dem er stumm gelehnt hatte.

Die Lastwagen-Karawane, der sich der Arzt Dr. Thiemo Hardegg angeschlossen hatte, verkehrte planmäßig einmal in der Woche von Kirman bis zur persischen Grenze gegen Afghanistan. Diese Straße – oder richtiger Wüstenpiste – war während der Regierungszeit des Schahs Reza Pahlevi bis an die Ostgrenze des Reiches angelegt worden. Seither war Zabulistan nicht mehr nur eine sagenhafte Gegend aus Tausendundeiner Nacht. Für Personenbeförderung war die Wüstenstrecke allerdings nicht eingerichtet; die mitreisende Menschenfracht mußte eben sehen, wie sie sich zwischen hohen Warenstapeln verstaute.

Inzwischen war in einer kleinen Bodenhöhlung ein niedriges Feuer angefacht worden. Bald wanderte eine Kanne heißen schwarzen Tees reihum, und jeder der zwölf „Fahrgäste“ kaute schläfrig am Fladenbrot. Später dröhnten die schweren Dieselmotoren auf, die Scheinwerfer stießen einen scharfen Lichtkegel in die diesige, mit staubfeinem Flugsand erfüllte Dämmerung. Die Wagen rollten langsam an.

Thiemo hatte einen Vorzugsplatz im Führerhaus des ersten Wagens. Sein Ausweis als staatlich angestellter Arzt in Teheran, der unendlich fernen Hauptstadt, hatte ihm das erwirkt. Seit drei Jahren lebte er nun bereits in Persien. Noch zwei Jahre Dienst, dann lief der Kontrakt wieder ab, und er konnte heimkehren nach Europa.

Narriman, der zwischen Thiemo und dem Wagenlenker saß, blickte suchend in die Nacht. Kleine, spitze Erdhügel oder aufrecht gestellte Steinplatten markierten die „Straße“. Die Wagenspur der letzten Fahrt war längst wieder vom Wind verweht.

Jetzt schielte Narriman kurz zu Thiemo hinüber: „Was führt dich in dieses wilde Land an der Grenze, Sahib?“

Thiemo lächelte. „Ich will sogar über die Grenze!“ entgegnete er.

„Hamdullilah!“ rief der Alte erschrocken. „Du willst zu diesem afghanischen Räubervolk hinüber? Ich warne dich: Du wirst dort keinen einzigen ehrlichen Menschen finden! Schmuggel und Raub ist ihr Handwerk, und du wirst bald bis aufs Hemd ausgeplündert sein!“

Thiemo erschrak nicht allzusehr bei diesen Worten. Nachbarvölker lieben sich selten – warum sollte es zwischen Persern und Afghanen anders sein? Allerdings galt der Iran gegenüber Afghanistan noch als zivilisiertes Land. Dort drüben sollte abseits der befahrenen Hauptstraßen die Polizeigewalt bald zu Ende sein, und manche Volksstämme hatten sich dem fernen Herrscher in Kabul noch gar nicht richtig unterworfen. Ja, in den Schilfmeeren des Hamun-Sumpfes, in dessen abflußlose Senke der Hilmendfluß mündete, sollte noch ein fast unerforschter Volksstamm leben: die Sayad.

Von diesem Grenzvolk hatte der junge Arzt in Teheran gelesen. Die Sayad hatten sich im 13. Jahrhundert vor den Einfällen der Mongolen in das unzugängliche Sumpfland geflüchtet, und seither lebten sie dort fast ganz abgeschlossen von den umwohnenden Afghanen. Sie sollten noch in Pfahlbauten hausen, da alljährlich zur Schneeschmelze der Spiegel der Hamun-Seen um einen bis zwei Meter anstieg. Sie lebten von Fischfang, Jagd und Flechtarbeiten. Vielleicht brachte auch der Schmuggel einiges ein: Stoffe und Seide und das verbotene Opium waren ja begehrte Schmuggelgüter.

In Thiemo war damals ein Entschluß herangereift. Wo lebte noch das Abenteuer in dieser fast restlos erschlossenen Welt? Bald würde er wieder daheim im alten Europa sitzen, und was blieb dann noch als Erinnerung an seine fünf Jahre im Orient? Der Aufenthalt in Teheran mit Schnellverkehr und Flugplatz, mit Rundfunk und Autorennen, sonst nichts weiter!

Da wußte er, was er in seinem nächsten Urlaub unternehmen würde: Er wollte die geheimnisvollen Sayad im Hamun-Sumpf besuchen.

Langsam wurde es Tag; das wüste Land gewann wieder Kontur und Farbe. Das hohe Wüstenplateau senkte sich allmählich. Bis die Sonne heraufkam, war Schahr Zabul, die letzte persische Stadt vor der Grenze, erreicht.

Als Thiemo vor der Karawanserei aus dem Lastwagen stieg, riß ihn der Sturm fast um. Staubverkrustet kletterten auch die anderen Fahrgäste von den Wagen. Hier war die Straße zu Ende, kleine Mietpferde standen mit ihren Führern zum Ritt an die Grenze bereit. Thiemo nahm kurzen, herzlichen Abschied von der Karawane.

Nach einer Weile scharfen Rittes stand er allein an der Grenze. Die Pferdeverleiher ritten zurück. Die persischen Zöllner waren freundlich und großzügig bei ihrer Kontrolle. Dann wanderte Thiemo fast eine Stunde lang durch menschenleeres Niemandsland. Das große Abenteuer begann!

Drüben nahmen wildblickende afghanische Grenzsoldaten Thiemo in ihre Mitte. Er hatte einige Worte des Putschu-Dialektes gelernt. So verstand er auch, daß bei der sorgfältigen Untersuchung immer wieder das Wort „Spion“ auftauchte. Aber Thiemo war ohne Sorge. Er trug das Empfehlungsschreiben der afghanischen Gesandtschaft bei sich, das ihm auch die Einreiseerlaubnis in diese sonst verschlossene Landschaft verschafft hatte.

In Kal’äh Kang, der ersten Siedlung, umringte ihn vor dem Zollhaus bald eine Schar finsterer, stolzer Gestalten. Schon ihre weißen Turbane, die hellen Hosen und die flatternden Hemden wirkten malerisch; dazu die langen Flinten, die sie bei sich trugen. Alle blickten abweisend feindlich auf den Besucher.

Endlich kam der Grenzoffizier mit seinem Paß wieder aus dem Wachthaus. Er verneigte sich höflich und sagte im klaren Afghanisch des Regierungsbeamten: „Es ist alles in Ordnung! Wann reisen Sie weiter?“

Thiemo hätte wohl kaum eine Erlaubnis zum Besuch der Sayad im Hamun-Sumpf erhalten. Wer hätte dort den Schutz des Fremden übernehmen und für seine Sicherheit garantieren können! So hatte er sich längst eine Ausrede zurechtgelegt: „Ich möchte hier einen Freund aus Herat im Norden erwarten. Wir haben uns verabredet. Wie lange kann ich in Kal’äh bleiben?“

„Solange Sie wollen. Nur die Abreise müssen Sie melden!“

Die Haltung der Zuschauer hatte sich inzwischen gewandelt. Jetzt rief sie auch der abendliche Gebetsruf des Muezzin fort, und wer noch blieb, legte dem Fremden nichts mehr in den Weg. Ein Wachtposten begleitete Thiemo zu einer kahlen, aber sauberen Herberge – dann war er endlich allein in dem fremden Land…

In den nächsten Tagen versuchte Thiemo unauffällig, die Zugänge zu dem Schilfdschungel der Hamun-Senke zu erkunden. Mit diesem Hintergedanken hatte er sich die Erlaubnis zu kleinen Jagdausflügen in die Umgebung verschafft. Er hatte Glück. Auf dem dürftigen Markt von Kal’äh Kang boten nämlich eines Tages einige Fischer ihren Fang feil, und diese Männer waren Sayad aus dem Schilfland! Seinen Fragen begegneten sie zunächst mit Mißtrauen. Erst als er einige Münzen zum Vorschein brachte, wurden sie allmählich gesprächiger.

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