Lily Braun - Die Liebesbriefe der Marquise

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Lily Braun

Die Liebesbriefe der Marquise

EINLEITUNG

Wenn die alte Gräfin Laval, in ihrem tiefen Lehnstuhl behaglich zurückgelehnt, ein heiter sinnendes Lächeln um die feinen Lippen, von Delphine Montjoie zu sprechen begann, so pflegte ihre strenge Tochter, mit einem vielsagendem Blick auf die Jugend im Zimmer, ein »aber Mamachen!« warnend dazwischen zu werfen. Sie unterbrach sich dann stets, eine zarte Röte überzog ihre Elfenbeinhaut, – ob aus Ärger, ob aus Verlegenheit? –, und für den Rest des Abends blieb sie schweigsam.

Kam eine ihrer Enkeltöchter allein zu ihr, so bedurfte es keiner langen Bitten und sie erzählte der gespannt Aufhorchenden von der Ahnfrau, die das Zaubermittel besessen hatte, alle Herzen an sich zu fesseln. Der lachende Geist des Rokoko – halb Liebesgott, halb Faun – hatte seine Schäferlieder an ihrer Wiege gesungen, das Heldenepos Napoleon hatte ihr Alter umbraust; um ihr duftendes Lockenköpfchen hatte der Sturm von 89 getobt, und von dem Gewitter der Julirevolution war ihr eisgraues Haupt noch berührt worden. Schleifende Menuettschritte, rauschende Kleider, klappernde Stöckelschuhe, Sturmläuten, Kanonendonner, dazwischen ein Flüstern, ein leises Lachen, ein verhaltenes Schluchzen, – das war ihre Geschichte.

Als eines Winters der tiefe weiche Schnee um ihr Schloß zu Füßen der Vogesen jeden Laut erstickte, da verklang ihr Leben.

»Kurz vor ihrem Tode«, – so erzählte die Gräfin Laval –, »hatte sie noch sorgfältig Toilette gemacht. Mir schien, als hätte sie sogar ein wenig Rot auf ihre Wangen gelegt, und ihre immer noch schönen schwarzen Augen ganz, ganz zart unterstrichen. 'Mein letzter Gast', sagte sie lächelnd, 'soll sich über einen Mangel guter Lebensart nicht zu beklagen haben.'«

Ihre Enkelkinder erbten das alte Schloß, aus dem alles Leben gewichen schien, und die langen Schnüre von Perlen, die aus Sehnsucht nach dem blendenden Nacken und den weißen Armen der Herrin all ihren Glanz verloren hatten. Die Gräfin Laval, ihre Nichte, nahm nur ein Päckchen vergilbter Briefe mit nach Haus. Sie waren mehr wert, als ihre toten Schätze, denn in ihnen klopfte das Herz der Marquise.

MÄDCHENZEIT

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Schloß Etupes, am 16. Juni 1771.

Reizende Delphine, holdseligste aller Nymphen! Seit gestern habe ich kein Auge zugetan. Wie Sie mir, dem verliebtesten aller Schäfer, durch die Laubengänge entschlüpften, hinter den Wasserfällen zu verschwinden und in den Teichen unterzutauchen schienen –, das alles sah ich immer wieder vor mir. Den Augenblick aber, wo die Schar der Genien vor den Verfolgern fliehend im Tempel der Venus Schutz suchte und ich Sie hier, – gerade hier! –, im Kampf gegen meinen Rivalen, den kleinen Baron Wurmser, mir gewann, diesen köstlichen Augenblick wagte ich kaum in der Erinnerung heraufzubeschwören. Das Klopfen meines Herzens, das Fliegen meiner Pulse, die glühende Röte meiner Wangen deuteten das Fieber zu heftig an, von dem ich befallen bin.

Mein Oheim, der Herzog, wollte nicht glauben, daß wir Kinder dies Fest ihm zu Ehren improvisiert hatten, und er begreift ganz und gar nicht, daß Delphine Laval, die graziöseste der Tänzerinnen, erst dreizehn Jahre alt ist. »Versailles würde sich glücklich schätzen ihr seine Tore zu öffnen, und der König wäre der erste ihrer Bewunderer« sagte er. Ich hörte, wie er meiner Mutter zuredete, sie möge dafür sorgen, daß »die schöne Delphine« im Gefolge meiner Schwester dem Stuttgarter Hof vorgestellt werde.

Nun: wenn man mich auch noch zu den Kindern rechnet und Herr von Altenau mich zuweilen am liebsten taub und blind machen möchte, – (übrigens ahne ich noch nicht, wie dieser Brief seinem Argusauge entrinnen wird!) –, so weiß ich Eins gewiß: meine reizende Freundin wäre am Hof von Versailles, dessen Oberhaupt ein Greis ist, besser aufgehoben, als an dem von Stuttgart.

Ich würde Sie zwar mit dem Degen in der Hand gegen alle zudringlichen Bewunderer, und wären es die höchsten, zu verteidigen wissen, aber das Recht dafür habe ich erst von Ihnen zu empfangen. Ich fühle es: seit gestern sind wir keine Kinder mehr. Die harmlosen Spielereien vergangener Jahre lösen süßere Spiele ab.

Ich habe mir Franz, meinen jüngsten Reitknecht, verpflichtet. Er hat mir geschworen, diesen Brief nur Ihnen persönlich abzugeben und von Ihnen allein eine Antwort entgegen zu nehmen. Lassen Sie mich nicht vergebens hoffen! Ihre Augen leuchteten mir schon einmal Gewährung, als ich, der arme Schäfer, der Göttin zu Füßen sank. Lassen Sie mich nicht glauben, daß es nur der Abglanz der Feuergarben war, die rings um den Tempel gen Himmel stiegen.

Sie werden am Sonntag von meiner Schwester erwartet. Habe ich erst ein paar Worte von Ihnen, in denen ein Echo, wenn auch ein noch so leises, der meinen wieder klingt, so werde ich es möglich machen, daß wir uns allein begegnen.

Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine
Schloß Montbéliard, am 12. Dezember 1771.

Teure Delphine, Sie haben ein Herz voll Liebe auf das tiefste verwundet. Alles Unglück der Welt hätte ich mir eher träumen lassen, als daß der Himmel meines Glücks sich so verfinstern könnte. Haben Sie so rasch vergessen, was Sie mir versprachen, als ich Ihnen in der Poseidongrotte das rosenrote Band mit eigenen Händen vom Halse lösen durfte –, einem Halse um deswillen die Schwäne sich jedesmal, wenn unser Boot den Teich durchstrich, flügelschlagend, neiderfüllt gegen Sie erhoben. Es war am zwanzigsten Juni. O, ich vergesse den Tag und die Stunde nicht und werde Sie stets daran zu erinnern wissen!

Seitdem wir nach Montbéliard zurückgekehrt waren, und die schöne Freiheit wieder dem höfischen Zwang weichen mußte, veränderte sich Ihr Benehmen gegen mich.

Aber ich war blind dafür; ich sah in Ihrer Gemessenheit nur die Folge des Zeremoniells, in Ihrer Scheu, mir allein zu begegnen, nur die Angst vor den Augen meines Hofmeisters und Ihrer Gouvernante, in Ihrem Bemühen, stets in Gesellschaft meiner Schwester zu sein, nur ein listiges Mittel, unser Zusammentreffen harmlos erscheinen zu lassen.

Und nun, wo das Glück, oder sagen wir besser: der entzückende Leichtsinn meines Oheims uns die Gelegenheit zum Alleinsein fast aufzwang, waren Sie es, die ihr aus dem Wege ging, um – mit meinem Hofmeister, mit Herrn von Altenau zusammen zu sein. Er las Ihnen vor dem Kamin Gedichte, noch dazu deutsche Gedichte vor!

Als ich von meiner Fahrt zurückkam, die ich auf dem Schlitten meines Oheims bis in die sinkende Nacht ausgedehnt hatte –, Gott, wie wundervoll wäre es gewesen unter der weißen Fuchsdecke, zwischen den schneeigen Flügeln des Riesenschwans meine reizende Freundin zu entführen! –, hoffte ich wenigstens, einen Ausdruck der Angst um mich in Ihren Zügen zu finden. Statt dessen ein erstauntes: »Schon zurück?«, ein Händedruck für Herrn von Altenau von einem tränenschimmernden Blick begleitet!

Ich bin töricht genug gewesen, Herrn von Altenau für meinen Freund zu halten, und mein Vertrauen, meine kindliche Begeisterung für den Reichtum seines Wissens waren so unbegrenzt, daß ich keinen größeren Wunsch kannte, als meine reizende Delphine ihm zuzuführen, damit sie genießen könne, was ich genoß.

Und nun diese Enttäuschung: der Freund, der sich als Verräter entpuppt, die Geliebte, die mich um seinetwillen verläßt!

Aber hoffen Sie nicht, daß ich Ihr flatterhaftes Herz so leicht freigebe. Eifersucht und Haß sollen mich lehren, meinen Rivalen empfindlich zu treffen.

Johann von Altenau an Delphine
Schloß Etupes, am 16. Januar 1772.

Gnädigste Gräfin, Frau von Laroche teilte mir soeben mit, daß Sie leidend seien und wir Sie in den nächsten Wochen in Montbéliard nicht erwarten dürften. Das betrübt mich auf das tiefste. Die Stunden mit Ihnen, in denen es mir vergönnt war, die unbekannten Schätze der deutschen Dichtkunst vor Ihrer empfänglichen Seele auszubreiten, bildeten den Lichtpunkt in meinem verdüsterten Dasein.

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