Amrei Laforet
Die Religionen der Kornelia Braun
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Inhaltsverzeichnis
Titel Amrei Laforet Die Religionen der Kornelia Braun Dieses ebook wurde erstellt bei
Anfang Anfang „Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt“ Albert Einstein
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„Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt“ Albert Einstein
Wir sind auf dem Spielplatz. Meine Eltern sitzen auf der Bank und essen ein Eis. Ich sitze auf dem Schoß meines Vaters und esse mein Eis. „Jetzt bist Du schon fünf“, nuschelt meine Mutter mit vollem Mund. Ich konzentriere mich, nehme mein Eishörnchen in eine Hand- es ist verdammt schwer- und zeige ihr meine andere Hand. Sie wird sich freuen, dass ich verstanden habe, dass ich so viele Jahre alt bin, wie die Anzahl der Finger meiner Hand. Ich lächle sie an und zeige ihr meine Hand. „Oh, die sind ja wirklich verschmiert“, flötet sie. Ich schüttele den Kopf. Aber da kramt sie schon in ihrer Handtasche, auf der Suche nach einem Taschentuch. „Sie wollte Give- me- five machen. Das haben wir neulich geübt“, sagt mein Vater. Mein Eis fällt herunter. Auch das noch. Ich rutsche vom Schoß meines Vaters, kicke mit dem Fuß das Eis in Richtung Mülleimer und stapfe zur Schaukel, die -Gott sei Dank- gerade frei ist. „Du bleibst hier!“, höre ich meine Mutter schnauzen. Aber es sind so viele Menschen auf dem Spielplatz, da wird sie es nicht wagen, mich von der Schaukel zu zerren.
Heute ist Samstag. Aus der Küche duftet es nach Kaffee. Der Geruch schlängelt sich durch den offenen Spalt meiner Kinderzimmertür. Meine Mutter hat nicht das Radio eingeschaltet. Ich höre klassische Musik, während ich fasziniert den glitzernden Sonnenstrahl betrachte, der zwischen den beiden Gardinenhälften in mein Zimmer scheint. Er endet auf dem Teppich, vor der Tür. Er müsste genau auf den schlängelnden Kaffeeduft treffen. Die klassische Musik hört auf. „Es ist neun Uhr und hier sind die Nachrichten“, sagt ein Sprecher äußerst höflich. Sie hatte doch das Radio eingeschaltet. Es ist ein Sender, der klassische Musik spielt. Ich gähne. „Cornelia- Schatz!“, tönt es da spitz aus der Küche. „Möchtest Du auch mit uns Frühstücken?“ Ich schüttele mich. Das ist eine rein rhetorische Frage gewesen. Ich bin zwar erst sieben Jahre alt, aber eins habe ich ja wohl schon begriffen: jeden Samstag wird um neun Uhr gefrühstückt. Weil mein Vater um zehn zum Schachverein muss und meine Mutter garantiert eine Aufführung mit ihrer Balletttruppe hat. Ich strecke meinen Körper so extrem, wie ich kann und kugele mich aus dem Bett. Ich liege auf dem Teppich. Der Sonnenstrahl scheint direkt in mein Gesicht. Es ist ein schönes Gefühl. Der Kaffeeduft schlängelt um meinen Kopf. Plötzlich steht meine Mutter in ihm. Sie schreit. „Kornelia, Konny- Kind, was ist los?! Bist Du aus dem Bett gefallen?!“ „Ja“, murmele ich, „eben gerade.“ Ich höre, wie die Wohnungstür sich öffnet und mein Vater den Flur entlang latscht. Jetzt hört das Geräusch, dass seine großen Füße machen, auf. Er muss nun direkt hinter meiner Mutter stehen. „Was ist los?“, fragt er und man kann an seinem Tonfall hören, dass ihm die Grundsituation nicht behagt. „Was ist passiert?!“, schreit er schon fast. Wenn ich jetzt aufstehe, werde ich Ärger bekommen, da er denkt, ich hätte Mama irgendetwas vorgespielt. Wenn ich liegen bleibe, wird das Gleiche passieren. Also setze ich mich langsam hin. „Nein, es war ja nichts“, sagt meine Mutter, „ich dachte nur, sie…“. „Lass Dich von dem Kind nicht immer verarschen“, brummt mein Vater. Ich drehe mich um und sehe die Tüte mit den frischen Brötchen in seiner Hand. „Lecker, Brötchen“, sage ich, „dann lasst uns mal Frühstücken.“ „Ja“, trällert meine Mutter, „das ist eine gute Idee.“ Nachdem wir alle etwas gegessen haben, lesen wir die Zeitung. Mein Vater hat den politischen Teil, meine Mutter den Kulturteil und ich die Kinderseite. Ich höre, wie meine Eltern hinter ihren Zeitungsblättern miteinander tuscheln. Sie: „Vielleicht sollten wir sie auf Hyperaktivität testen lassen. Das äußert sich doch auch oft in Träumerei und seltsamen Verhaltensweisen.“ Er: „Ich wäre eher für einen Intelligenztest.“ Ich weiß es. ich weiß ganz genau, dass sie nur spielen, ein ernsthaftes Gespräch zu führen. ich weiß genau, dass sie mich zu keinem Arzt bringen würden. Ich musste schon ein paar mal zum Arzt und sie haben mich trotzdem nicht hingebracht. Ich sage ganz laut: „Was sind Helikopter- Eltern?“ „Warum willst Du das denn wissen?“, entrüstet sich Mama. Ich versuche Irgendetwas auf der Kinderseite zu finden, was mit Helikoptern zu tun hat. Ich finde nur eine Hummel. Der Blick meines Vaters ist herausfordernd. „Ja“, beginne ich langsam, „weil…weil, also hier ist eine Hummel und …und wenn es zwei wären, dann wären sie doch….“ Weiter traue ich mich nicht. Aber ich kann mich deutlich daran erinnern, dass meine Klassenlehrerin zu einer anderen Lehrerin gesagt hat, „Ja, ja, Helikoptereltern“, nachdem sie sich von meinen Eltern und mir verabschiedet hatte. Und ich weiß genau, dass sie meine Eltern meinte und dass sie nicht wollte, dass sie es mitkriegen. Aber ich habe gute Ohren. „Also Hummeln“, sagt mein Vater laut und deutlich, „haben nur eine Königin. So, und jetzt muss ich zu meinem guten alten Schachverein.“ Er steht auf und gibt meiner Mutter einen flüchtigen Kuss. „Ich habe nachher wieder eine Aufführung mit meiner Ballettgruppe. Es wäre schön, wenn Du mitkommst“, sagt Mama. Ich habe keine Lust dazu. Es ist dort wie in der Schule. Sitzen und schauen, was die da vorne tun. „Kann ich nicht allein zu Hause bleiben?“ Ich würde fernsehen und essen und Hörspielkassetten hören und malen. „Wir könnten auch Frau Kuhlmann fragen, ob sie auf Dich aufpasst.“ Es kommt nur ganz selten vor, dass ich andere treffen darf. Es muß eine Belohnung sein. heute ist mein Glückstag! „Ja!“, schreie ich begeistert. Ich werde mit der alten Frau Kuhlmann und ihrem dicken Dackel Benny im Park spazieren gehen!
Mein neunter Geburtstag. Von meiner Tante kam gestern ein Päckchen an. Mein Vater nahm es gegen Mittag von dem Postboten in Empfang und krakelte stolz seine unleserliche und seiner Handschrift eins zu eins gleichende Unterschrift auf das elektronische Plastikgerät. Das Päckchen konnte nur von meiner Tante sein. Die Päckchen, mit denen die Dinge ankommen, die mein Vater immer im Internet bestellt, sind braun. Dieses Päckchen ist aus hellblauem Karton mit weißen Wolken und dunkelblauen Flugzeugen. Ich wusste sofort, dass dies mein schönstes Geburtstagsgeschenk würde. Ich muss noch eine Menge Hausaufgaben machen. Mein Kopf brummt. Ich höre meine Eltern im Wohnzimmer miteinander sprechen. „Acetor“, sagt mein Vater.2 Er fragt, ob wir Drogen brauchen, um unsere Tochter zu händeln.“ „Acetor wer?“, fragt meine Mutter. „Susanne, es hat funktioniert. Unser Konzept hat sich verbreitet. Acetor ist der Name eines oberen Mitglieds.“ „Und warum ruft er hier an? Wir sind keine Mitglieder mehr, schon vergessen? Herrje, das kann doch nicht wahr sein. Wie dumm wir waren, Rudolf.“ „Es schien uns die einzige Möglichkeit, unser Kind zu behalten.“ Er sagt die Worte und sinkt auf das Sofa, als gäben seine Knie nach.
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