Mac Lean hob am Feuer die Tasse mit heißem Kaffee.
„Verdammt, es müßte Whisky sein, damit wir den Eintritt ins neue Land richtig feiern könnten! Aber lassen wir es uns nicht verdrießen und wollen wir heute unsere verrückte Idee mit diesem Gebräu hochleben lassen. Niemand wird uns dreinreden, wo wir unsere Hütten aufbauen. Jeder Tag gehört uns, und unser Leben wird so frei sein wie noch nie!“
Peter Sattler nickte dem Gefährten zu. In ihm bohrte noch eine leise Ungewißheit, doch jetzt ließ er sie nicht gelten. „Nur der Schleier der Wälder liegt noch vor dem Land, das wir suchen. Eines Morgens werden sie zu Ende sein, und unser Weideland nimmt uns auf. Dann soll ein fröhliches Bauen und Ranchen beginnen!“
Mac Lean zwinkerte mit den Augen Bill und Peer zu. „Hört euch das an, ihr Greenhorns! Und wer wird unser Nachbar sein? Die Grizzlys und die schwarzen Wölfe werden verwundert den Rauch aus unsern Kaminen schnuppern; die wilden Gänse werden die Hälse verdrehen, wenn sie in den Tetachuk-See einfallen; die Ulgatchos werden um unsere Weidezäune schleichen, und wir werden die schmutzigen Boys zu Tisch laden. All devils, es wird ein feines Leben sein!“
Er wandte sich rasch um und hob seinen Revolver. Kurz und scharf peitschte der Knall zweier Schüsse in die Dämmerluft, daß die Pferde erschreckt hochstiegen. Es war der Salut zum Einzug der Ranchers in das neue Reich.
Dieser Abend jenseits des Passes hätte auch recht traurig sein können. Unter welchen Mühsalen hatten die Ranchers diese Höhe erreicht, und was hatten sie in Wirklichkeit dann gesehen? Nicht viel mehr als eine unübersehbare Wüste von Wald! Nur Mac Lean hatte die Hoffnung von neuem angefeuert. Die Sattlers waren ein ernsterer Schlag Menschen.
Als Bärbi Sattler sich an diesem Abend im Zelt in die Decken wickelte, konnte sie den Tränen nicht wehren. Sie hatte unter der Decke die Hände gefaltet. Bis jetzt hatte Gott immer seine Hand über die kleine, mutige Schar gehalten. Mit seinem Segen würden sie auch in der Zukunft finden, wessen sie bedurften.
Mit Tagesanbruch waren die Ranchers wieder auf den Beinen. Auf dieser Höhe wehte eine empfindlich kühle Morgenluft, und der heiße Tee tat den ausgefrorenen Körpern gut. Der fahle Himmel wechselte bald in ein zartes Grün. Die Morgensonne blitzte über hohe Felsgrate im Osten und versprach einen schönen Wandertag.
Solang es anging, wollten die Ranchers an der Baumgrenze entlang nach Norden weiterziehen. Vor ihnen zog sich ein Bergausläufer weit gegen Westen hinaus und hatte auch gestern einen Teil des nördlichen Horizontes verdeckt. Peter Sattler und Mac Lean hatten darum beschlossen, auch diese Höhe noch zu überqueren, ehe sie endgültig in die Tiefe der Wälder hinabtauchten.
Von neuem wuchs eine heimliche Spannung, als die Ranchers aus einer niedrigen Senke wieder zu dem Bergrücken emporstiegen. Auf dem letzten Stück zeigte sich der Grashang sogar von schmalen Felsbändern durchsetzt, und die Tiere mußten eines hinter dem andern in langen Kehren bergan steigen. Es fielen keine Worte mehr, jeder hatte scharf auf jeden Tritt zu achten.
Der Bergkamm zeigte sich vom Wind überweht und mit flachen Blättchen von Schiefergestein bedeckt. Drüben fiel eine hohe Wand jäh ab.
Diesmal saßen die Reiter eine lange Weile stumm auf ihren Pferden. Peter Sattler fuhr sich über die Augen. War es Wahrheit oder nur Gaukelei der Phantasie, was er jetzt sah?
Wald, Wald – aber in der Ferne ein dunkler, regloser See-Spiegel und an seinem Ufer, scharf abgehoben von dem Schwarzgrau der Tannen, eine weite zartgrüne Fläche.
„Das Land, das Weideland!“ sprach der Mann halblaut.
Mac Lean hatte bisher geschwiegen. Jetzt sprach er mit einer gefaßten Stimme, die keiner diesem frohen, lärmenden Cowboy zugetraut hätte: „Wir haben es gefunden, das Weideland im Norden.“
Bill und Peer wollten begeistert losbrüllen, aber Mac Lean hob die Hand: „Diesmal haltet den Mund, Boys; Frau Sattler soll das erste Wort sprechen.“
Als Bärbi Sattler alle Augen auf sich gerichtet sah, wurde sie rot bis hinter die Ohren. Was sollte sie jetzt sprechen? Sollte sie gar unter Männern eine Rede halten?
„Gott sei Dank!“ sprach sie schlicht. Und das war auch alles, was sie in diesem Augenblick sagte.
„Na, seht ihr!“ lachte Mac Lean. „Keiner von uns darf behaupten, daß wir besonders schlau wären. Aber wir haben dennoch hergefunden. Man braucht nur etwas zu tun. Und folgt man einem bestimmten Ziel, dann stellt es sich doch einmal einem vor die Nase!“
Noch immer ließ keiner die Augen von dem offenen Weideland am See. In einer majestätischen Weite lag es meilenweit nördlich des Waldgürtels, den die Ranchers noch durchqueren mußten. Und jetzt erst begriffen sie es ganz, in welch unsicheres Unternehmen sie sich hinausgewagt hatten. Alle Angaben waren ungewiß gewesen, aber sie hatten dennoch das Risiko auf sich genommen.
„Los, vorwärts!“ rief Mac Lean. „Was sollen wir noch länger hier auf diesem armseligen Bergrücken?“
Mac Lean ging sparsam mit seinen wenigen Zigaretten um. In dieser Stunde aber paffte er eine nach der anderen und hüllte sich in ganze Wolken von Rauch. Er bot auch Peer und Bill davon an, aber ein Blick des Vaters verbot den Söhnen, die Zigaretten anzunehmen. Wozu hatten sie den Kaugummi in ganzen Bündeln mitgenommen?
Die Ranchers mußten weit nach Westen hinüber ausweichen, bis sie den steilen Felsabhang umgangen hatten. Unten empfing sie wieder dichtes Gefilz von Kiefern und niedrigen Erlen. Die Rinder verschwanden bis zum Rücken in dem raschelnden Gebüsch, und sie wüsteten in dem jungen Geäst, daß die Zweige flogen. Nun ritten die zwei Männer voran, die Boys mußten sich um die Kühe kümmern. Halfter an Halfter gespannt, folgten hinter Bärbi Sattler und Rossy die ruhigen Tragpferde.
„Werden wir die Richtung auch einhalten können?“ fragte Peter Sattler einmal.
„Wozu haben wir die Sonne! Übrigens habe ich auf dem Hang oben meinen Kompaß eingestellt, wenn sich die gute Mutter am Himmel vor uns verbergen sollte.“
Mac Lean pfiff wohlgemut vor sich hin. Was sollte ihm auch jetzt noch Sorge machen, da die Weide unmittelbar auf sie wartete? Immer näher ließ sich das Rauschen eines Gewässers hören. Doch die Föhren standen so dicht, daß die Ranchers den Flußlauf erst sahen, als sie schon knapp an seinem Ufer standen. Steil fiel der Uferrand ab, und drüben stieg er ebenso jäh wieder an.
„Der Bach quert unsere Wanderrichtung. Aber hier können wir nicht über das Wasser“, stellte Peter Sattler fest.
„Mal flußabwärts zotteln, vielleicht wartet irgendwo eine Brücke auf uns!“
Aber Mac Lean dachte dabei nicht an einen Übergang, den Menschenhand geschaffen hatte; vielleicht breitete sich das Gewässer einmal aus, und die Reisenden konnten den Bach durchwaten. Sie mußten sich länger als eine Stunde durch wildes Strauchgewirr einen Pfad bahnen, bis sich endlich beide Flußufer allmählich senkten.
Mac Lean sprang vom Pferd und lockerte den Sattelgurt, damit das Pferd richtig atmen konnte, wenn es ins Wasser geriet. „Vielleicht müssen wir drüberschwimmen. Ich will es einmal für mich versuchen.“
Er zog die Stiefel von den Beinen und hängte sie über den Sattel, dann stieg er barfuß in den Steigbügel und schwang sich wieder auf das Pferd. Die Sattlers beobachteten seine Vorbereitungen mit ziemlicher Sorge.
Der Bach war hier etwa dreißig Meter breit, und da das Wasser ruhig floß, konnte man vom Ufer aus auch auf den Grund des Baches sehen. Man erblickte Steine, Geröll, aber keinen der gefährlichen, unter Wasser abgesunkenen Bäume.
Mac Lean trieb seinen Braunen behutsam in das langsam fließende Wasser hinab, Anfangs reichte es bis an die Brust des Pferdes, wurde aber rasch tiefer, und auf einmal sank das Pferd bis zum Rücken in die Flut. Schnaubend begann es zu schwimmen. Mac Lean hatte die Füße aus dem Steigbügel gezogen und hielt sich mit den Händen an der Mähne fest. In der Tiefe mußte eine stärkere Strömung des Wassers ziehen, denn der Braune wurde schnell abwärts getragen.
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