1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Er kehrte wieder um. Die Pferde schnaubten leise, die Rinder hoben die Köpfe. Vielleicht trugen sie sich schon wieder mit dem Plan einer neuerlichen Umkehr. Aber als Peter zwischen den Stämmen hinaustrat und eine der Kühe mit einem beruhigenden Murmeln kraulte, da ließ sich ein Rind nach dem andern wiederkäuend zu Boden gleiten.
Bald nach Mitternacht stand Mac Lean neben ihm. „Nun verkriech du dich, ich hab’ für diese Nacht genug geschlafen!“
Die Nacht verlief ohne weitere Störung. Am nächsten Morgen brach der Treck in voller Ordnung auf. Allmählich stieg die Landschaft an. Der Wald wurde niedriger und rauhbärtiger und die eingestreuten Waldwiesen immer spärlicher. Feuchte, versumpfte Talböden strichen von Osten herauf, und die Buchten der Sümpfe forderten lange Umwege.
An diesem Tag verschleierte sich allmählich der Himmel. Die Sonne stand wie eine gelbe Lampe hinter dem dichten Dunst, und die Tiere und Menschen warfen keine Schatten mehr. Sie ritten am Rand eines langen, grauen Sumpfes entlang, der sich unendlich weit nach Westen hin dehnte und auch den Horizont im Norden überschritt.
„Vielleicht haben wir Rob Seters Ranch bereits verfehlt“, sagte Mac Lean am Nachmittag, als Peter Sattler zu ihm geritten kam und nach der Richtung des weiteren Zuges Ausschau hielt.
„Und wenn schon, wir kehren nicht mehr um!“ sagte Peter Sattler fest. „Die Algack-Berge scheinen nicht mehr höher zu werden, und irgendwo werden wir wohl den Nordrand dieser stinkenden schwarzen Sumpfwelt finden.“
Nun half den wandernden Ranchers keine Landkarte mehr weiter. Die Pferde, Rinder und Menschen wanderten in einen großen, unbekannten Raum hinein, der menschenleer und unvermessen wie am ersten Schöpfungstag vor ihnen lag. Bill, der eine kurze Strecke weit vorausritt, stieg es heiß zum Herzen, als er dachte: Unerforschtes Gebiet!
Das Sumpfland umschloß die Ranchers mit feuchten, schlammigen Armen. Selbst nach Osten hin griffen seine Arme weit in die Wälder hinein. Die Reitenden konnten sich nur sicher fühlen, solange sie sich unter hohen Bäumen aufhielten.
Die Ranchers waren einem lichten, hohen Waldstreifen gefolgt, bis es sich herausstellte, daß er wie eine Halbinsel weit in das Sumpfland hinausreichte. Kaum einen Kilometer weit entfernt sahen sie jenseits in dem dumpfen Zwielicht wieder Wald vor sich.
„Sollen wir es wagen?“ knurrte Mac Lean und starrte über das hohe Gras hinaus. Sie würden sich fast einen halben Tag ersparen, wenn sie die tiefe Bucht nicht ausreiten müßten.
„Eine Kuh nach vorne!“ rief Mac Lean über die Schulter zurück. Bärbi Sattler trieb mit freundlichen Zurufen eines der Rinder an den Pferden vorbei. „Geh, geh nur!“ drängte sie das Tier langsam auf den feuchten Wiesenboden hinaus. Die Kuh zögerte erst, dann schritt sie langsam und tappend auf dem leise glucksenden Boden dahin. Mac Lean und Bill folgten ihr in einem kleinen Abstand. Meter um Meter wagte sich der Zug der Ranchers immer weiter voran. Die Kuh rupfte bald da, bald dort ein Büschel Gras, hob lauschend die Ohren und wagte sich allmählich immer tiefer nach links hinaus.
„Wohin führt uns das Biest?“ murmelte Bill unruhig.
„Nur ruhig Blut! Kühe sind die besten Wegführer über unsicheres Land!“ beruhigte ihn Mac Lean.
Später sahen sie an der Stelle, auf die sie zureiten wollten, einen moosbedeckten Sumpf. Unter der harmlosen Oberfläche lauerte dort drüben eine tödliche Tiefe. Die Kuh aber steuerte nun unentwegt auf den gegenüberliegenden Waldrand zu.
„Ist das nicht kühn!“ lachte Bill. „Wir hätten uns todsicher in dem Sumpf verirrt, und wer einmal eingebrochen ist, wird verschlungen.“ Mit einem dankbaren Aufatmen erreichte die Karawane wieder den trockenen Waldboden. Die Männer blickten zurück. In einem Zickzack-Zug waren sie über die Wiesenfläche gezogen.
„Ein guter Lagerplatz für diese Nacht!“ stellte Peter Sattler fest. Nur das Wasser fehlte. Aber Mac Lean wußte sich zu helfen. Er zog einen Spaten aus dem Gepäck und stach eine kleine Grube auf der feuchten Wiese draußen aus. Sogleich stieg darin das Wasser hoch. Als sich die Trübung nach einer Weile gelegt hatte, besaßen sie genug, um Tiere und Menschen damit zu laben.
Nun machten die Rinder keine Anstalten mehr, wieder umzukehren. Sie weideten vorsichtig am festen Waldrand entlang, und die schnaubenden Pferde wagten sich noch weniger weit in die grüngraue Unendlichkeit hinaus.
In aller Frühe brachen die Ranchers wieder auf. Nun schlossen sie auch von Norden her die Berge ein, und es schien, als müßten sie nun endlich einen Durchbruch über die Höhe suchen.
Der Wald rückte dicht und dunkel heran, und die Wieseneinschnitte blieben zuletzt ganz zurück. Am Vormittag bereits begann es zu regnen. Es war zuerst nur ein zartes Rieseln und Nebelziehen, bald aber gerieten Menschen und Tiere mitten in eine schwere graue Wolke hinein, und ehe sie sich versahen, rann das Wasser in dichten Schnüren vom Himmel. Zum Mittag fühlten sich alle bis auf die Haut durchnäßt. Niedriges Gestrüpp auf dem Boden machte das Vorwärtskommen schwer. Mac Lean und Bill mußten ihre Bowie-Messer aus dem Gürtel nehmen und das gröbste Gesträuch abhauen.
„All devils!“ versuchte Mac Lean noch immer zu spaßen. Über hohe Wurzeln und umgesunkene, halb vermoderte Tannen hinweg schleppten sich die schwer beladenen Tiere weiter. Nur der Kompaß zeigte ihnen jetzt den Weg nach Norden. Die Rinder brüllten hungrig, glitten aus und erhoben sich keuchend.
Unerwartet sank eine frühe Dunkelheit herab. Es ließ sich keine Spur eines offenen Lagerplatzes finden, auf dem die Ranchers ihre Zelte aufschlagen und die Tiere sich niederlassen konnten. Bis ein kleiner Fleck Boden halbwegs gesäubert und die Zelte aufgestellt waren, umgab sie schon tiefe Nacht. Die Rinder standen eng zusammengedrängt und erwärmten sich gegenseitig mit ihren Leibern. Die Pferde ließen die Köpfe hängen und knabberten mißmutig am Gebüsch. Nach vieler Mühe erst konnten die Erschöpften ein rauchiges Feuer entfachen, und es dauerte noch eine lange Weile, bis jeder einen heißen Schluck Tee in den Magen bekam. Naß bis auf die Haut krochen die sechs Ranchers in ihre Zelte. Allmählich fühlten sie sich zwischen den feuchten Decken warm werden und dachten mit Sorge an die armen, ungeschützten vierbeinigen Gefährten, die die ganze Nacht dem Regen preisgegeben standen.
„Ade, elendes Regenloch“, fluchte Mac Lean, als am nächsten Morgen die Tiere wieder gesattelt standen und Schritt um Schritt aufwärts weiterstiegen. Die Mutter blickte besorgt auf Rossy, doch es stellte sich heraus, daß das Mädchen den besten Mut besaß. Es zeigte fröhlich trotzend seine weißen Zähne, und heute war es sogar bereit, von Bill einen Streifen Kaugummi entgegenzunehmen.
Langsam schlichen die Stunden dahin. Auf einer freien Blöße voll vermoderter Stämme, die vor vielen Jahren ein Wirbelsturm niedergerissen hatte, wurden die Ranchers auf einmal von ganzen Schwärmen Moskitos überfallen. Jeder schlug um sich, soviel er konnte, aber bald quollen Wangen und Hände von den Stichen auf. Die Rinder stellten die Schweife steil empor und versuchten brüllend auszubrechen. Bill und Mac Lean aber waren auf der Hut. Sie trieben ihre Pferde durch das dichteste Gebüsch und ließen die Lassos sausen, bis auch das letzte Rind wieder trottend hinter den andern einherging.
„He, der Regen hat aufgehört!“ stellte Mac Lean fest. Hinter schleierigen Nebeln war die Sonne zu ahnen, und wäre nicht die Moskitoplage gewesen, so hätten die Ranchers schon wieder Hoffnung gefaßt.
Diesmal lagerten die Ranchers schon früher am Nachmittag. Sie entfachten ein gewaltiges Rauchfeuer, in dessen Dunst Tiere und Menschen von den Moskitos verschont blieben. Sowie sich aber der Rauch wieder ein wenig emporhob, versetzte das eintönige Summen der Moskitos die Welt in eine schwüle, seltsame Unwirklichkeit. Feuer, Rauch, Stille.
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