1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 „Die Pferde koppeln wir an, und die Rinder lassen wir auf der Weide frei laufen!“ beschloß Mac Lean. Peter Sattler stimmte ihm bei. Wohin sollten auch die Kühe entweichen, da sie doch rundum dichter Wald umgab. Außerdem hängte Bill zwei Tragpferden noch Schellen um den Hals, damit die Tiere auch in der Dunkelheit sich wiederfinden lassen sollten.
Peter Sattler blickte glücklich auf die Kühe, die sich an dem frischen grünen Gras gütlich taten. Er sah auch, daß sie den offenen Sumpfstellen schnaubend auswichen. Er brauchte keine Angst zu haben, daß eine der Kühe auf der Weide versank.
Zum Abendessen kochte die Frau heute Schinken und Reis. Sie hatten alle eine schmackhafte, kräftige Mahlzeit verdient. Das Teewasser brodelte bald im Kessel, und als die Jungen die Zelte wieder aufgestellt hatten, war alles für den Abend bereit.
„Uah!“ gähnte Mac Lean genußvoll. „Heute nacht kann mich kein Kanonenschuß wecken.“ Nach einem Gang zu den Pferden kroch er in sein Zelt.
Von den Bergen herab fiel ein leise ziehender Abendwind in die Wipfel. Bill und Peer horchten noch eine Weile hinaus, aber dann fielen auch ihnen die Augen zu. Im Zelt der Frauen war längst schon Ruhe eingekehrt.
Peter Sattler kroch am nächsten Morgen als erster aus dem Zelt. Irgendwo hinter den Tannen im Osten mußte schon wieder die Sonne emporgekommen sein. Sie warf lange Morgenschatten über die Weide.
Weide – Weide! Plötzlich erstarrte er.
Die angepflockten Pferde grasten ruhig neben den Bäumen. Wo aber waren die Kühe hingekommen? Im nächsten Augenblick riß er den Vorhang von Mac Leans Zelt auseinander. „Die Kühe sind weg!“
Die drei Schläfer sprangen so rasch empor, daß sie eine Zeltwand einrissen. Als sie sich aus den Hüllen befreit hatten, starrten auch sie auf die leere Weide hinaus.
„Auf und den Kühen nach! Sie sind wieder nach Anahim zurückgerannt!“ rief Mac Lean sogleich. Eine heftige Unruhe erfüllte das Lager. Daß die Kühe ausbrechen würden, daran hatte niemand gedacht. Aber sie konnten in der Dunkelheit zwischen den Bäumen noch nicht weit gekommen sein. Die Männer sattelten sofort die Pferde, aber Mac Lean hielt Peter Sattler zurück. „Bleib du bei den Frauen, wir drei holen die Rinder wieder zurück!“
Inzwischen hatte sich Frau Sattler schon am Feuer zu schaffen gemacht, und bis die Männer zum Fortritt bereit waren, konnte sie ihnen bereits einen heißen Haferbrei hinstellen. Sie verbrannten sich dabei heftig die Zunge, doch als der Napf geleert war, schwangen sie sich auf die unruhigen Pferde und stürmten zwischen den Bäumen zurück.
Peter Sattler und die Frauen hörten noch eine Weile den Hufschlag der Pferde. Allmählich verlor er sich in der Ferne, und eine tiefe Stille sank über das Lager herab. Peter Sattler wußte eine Weile nicht, was er anfangen sollte, um sich die Zeit zu vertreiben. Er trug hartes, dürres Holz zusammen und hackte es neben dem Lager kurz. Dann bündelte er es zu mehreren Packen, damit sie bei den kommenden Lagern nicht lange mit Holzsuche sich abgeben mußten.
Auch Rossy legte nicht die Hände in den Schoß. Sie blickte auf die Mutter, die wieder an dem Sweater strickte, und fragte: „Vielleicht gibt es schon Beeren im Wald?“ Obwohl Peter Sattler den Kopf schüttelte, suchte sie doch am Waldrand gegen die Wiese hinauf eine Weile entlang. Sie fand die ersten roten Erdbeeren und entfernte sich suchend immer weiter. Als sie sich einmal umblickte, konnte sie das Lager nicht mehr sehen. Sie erschrak. Aus welcher Richtung war sie gekommen? Es zeigte sich, daß die Sumpfwiese noch tief in ein Seitental hinein sich verzweigte. Das Lager mußte draußen in dem schmalen Haupttal zu finden sein.
Rasch entschlossen überquerte Rossy die schmale Wiese und lief am jenseitigen Waldrand wieder zurück. Sie lief eine Viertelstunde weit – nichts – nichts! Allmählich befiel sie Bangigkeit und Angst, sie könnte nicht mehr zurückfinden. Ich muß meine eigenen Spuren suchen! dachte sie und wandte sich, tief über den Boden gebückt, wieder zurück. Hier ein abgetretener Halm und dort eine Absatzspur im Boden, dann eine zertretene Grasstelle und – weiter nichts!
„Rossy! Rossy!“
Aus weiter Ferne hörte sie diesen Ruf. Himmel, das war die Stimme des Vaters! „Jaaa, Vater, hierher!“ schrie Rossy, so laut sie konnte.
Die Stimme kam näher und näher. Als sich Vater und Tochter gegenüberstanden, waren sie beide sehr blaß.
„Das darfst du nicht mehr tun, Kind!“ sagte der Vater nur und nahm das Mädchen an der Hand.
Es stellte sich jetzt heraus, daß Rossy einmal einen schmalen Waldstreifen überquert und eine neue Waldwiese für die frühere angesehen hatte. „Vielleicht hätte ich nie mehr zurückgefunden ohne deinen Ruf, Vater!“ meinte Rossy nachdenklich. „Wir sind doch nicht mehr am Lower Arrow Lake.“
Auch die Mutter hatte große Angst ausgestanden. Ihr war es gewesen, als hätte Rossy das Lager in entgegengesetzter Richtung verlassen. „Zwischen Wäldern geht die Orientierung am schnellsten verloren“, stellte der Vater fest.
Am Mittag waren Mac Lean und die Jungen noch immer nicht zurückgekehrt. Den ganzen Nachmittag lauschten die drei Menschen auf einen Laut der sich nähernden Pferde. Sie glaubten manchmal, in der Ferne Hufschlag zu hören, aber sie täuschten sich immer wieder. Je größer die Sehnsucht und das Verlangen nach einem bestimmten Laut ist, um so eher bildet man sich diesen ein.
Die Sonne sank bereits wieder bis an den Waldrand hinab. Wenn die Jungen jetzt nicht bald kamen, mußten sie irgendwo draußen im Wald übernachten.
Keiner der drei Wartenden besaß Appetit zum Abendessen, das Bärbi Sattler wieder mit viel Liebe bereitet hatte. Der Speck in der Pfanne verbrutzelte, und die Zwiebelscheiben trockneten langsam aus.
Über der sumpfigen Wiese stieg schon leichter Abenddunst empor. Hoch über dem Wald zog mit klagendem Ruf eine Schar Wildgänse gegen Norden. Einige Sumpfvögel schnappten in dem schmalen Sumpfstreifen nach Insekten.
Als die Sonne vollends hinabgesunken war, warf Peter Sattler neue Holzstücke in das Feuer. Die Funken sprühten hoch auf, und dann stand eine still flackernde Flamme zwischen den Stämmen.
Die Wartenden blickten sich plötzlich fragend an. Hatte nicht jetzt der Boden dumpf gedröhnt? Nun hörten sie es wieder. Es war das Trappeln und Stampfen von Rindern. Zwischen den Stämmen tauchten die erschöpften Tiere auf, hinter ihnen die Reiter mit den schwingenden Lassos. Bill und Peer ritten noch auf der Weide rund um die Rinder, bis sie sich endlich zu einer Gruppe geschlossen hatten.
„Da sind wir wieder!“ Mac Lean sprang lachend von seinem Pferd. „Wir mußten die Strecke nach Anahim zweimal zurücklegen – man merkt sie sich dann besser! Habt ihr einen Eimer Tee ans Feuer gestellt? Einen Durst haben wir!“
Mit glücklichen Augen holte Bärbi Sattler das Versäumte nach. Als alle vereint um das Lagerfeuer saßen, beratschlagten sie, wie sie das Ausbrechen der Rinder ein zweites Mal verhindern könnten. „Einer muß immer wachen, solange wir so nahe an Anahim sind. Wir lösen uns in der Wache ab. Wir dürfen die Rinder nicht aus den Augen lassen!“ sagte Peter Sattler.
Er nahm die erste Wache. Die anderen drei krochen müde in das Zelt, und auch Bärbi und Rossy durften sich zurückziehen. Die Rinder weideten friedlich auf der Waldwiese. Peter Sattler hatte sich vorgenommen, bis gegen den frühen Morgen zu auf Wache zu bleiben. Er hielt sein Pferd gesattelt und schritt langsam zwischen den Stämmen dahin. Seltsame Laute der Nacht wurden wach. Je weiter er sich von den Rindern entfernte, desto hilfloser kam er sich plötzlich vor. Über der großen Stille schien ein ferner Klang zu schweben, der sternenhoch hereinsank. Bald war er wie das Brausen einer unendlich fernen Brandung, dann wieder eine Glocke, weit hinter den Wäldern versunken. Zuletzt erschien er ihm wie das Steigen und Fallen des Blutes in seiner eigenen Brust.
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