„Ich arbeite nächste Woche wieder“, sagte Jörn. „Aber abends kannst du auf mich zählen.“
Ich versicherte: „Ist doch klar, daß ich helfe, wenn du mich brauchst.“
Matty und Maja nickten nur. „Gut“, sagte Mikesch. „Dann rufe ich jetzt gleich dort an und sage zu.“
„Wann kommen sie?“ fragte ich.
„Montag vormittag.“
Nachdenklich versorgten wir unsere Pferde. Diese Reiterferien würden nicht einfach sein, das war uns allen klar. Vier behinderten jungen Leuten das Reiten beizubringen – oder sie zumindest auf Pferde zu setzen und dafür zu sorgen, daß sie oben blieben –, war schon eine Aufgabe für sich. Doch warum sollte es eigentlich nicht gehen?
„Mit Moritz hat es jedenfalls von Anfang an prima geklappt“, sagte ich. „Er hat eine bessere Hand mit Pferden als so mancher andere Reitschüler, auch wenn er seine Bewegungen schlecht kontrollieren kann.“
„Sie müssen nicht alle so sein wie Moritz“, wandte Jörn ein. „Man kann bloß hoffen, daß die Eltern wissen, was sie tun. Sie müßten ja beurteilen können, ob die vier wirklich fähig sind, sich auf Pferden zu halten.“
„Wenn sie’s überhaupt schaffen, mit Pferden umzugehen“, fügte Maja hinzu.
Abends hatten wir noch Besuch auf Dreililien. Zuerst kam Carmen auf der Haflingers tute ihres Vaters an, einen Korb mit frischgebackenem Zwetschgenkuchen über dem Arm – Zwetschgendatschi, wie man das hierzulande nennt. Kurz darauf marschierten Pauli und Gesine durch den Torbogen. Auch Gesine hatte einen Korb dabei, in dem sich Zwetschgendatschi befand. Wir stellten einen alten Tisch und ein paar Stühle zur Bank im Innenhof, und Jörn und ich kochten Tee auf dem Dörrboden, wie Jörns kleine Wohnung noch immer hieß. Maja brachte ein paar Kerzen, und Mikesch und Helge holten Bier und Zitronenlimonade aus dem Keller. Beides wurde zu einem erfrischenden Getränk gemixt, einer sogenannten „Radlermaß“.
Ich lief zum Kavaliershäusl, um die Geschenke zu holen, die ich auf dem Wiener Flohmarkt gekauft hatte. „Ich hab für alle etwas mitgebracht, nur für Gesine nicht“, sagte ich zu Kirsty und Vater, die unter der Eiche saßen und lasen. Es kam mir dumm vor, jedem außer Gesine ein Geschenk zu überreichen. „Meint ihr, ich soll ihr das Myrtenstöckchen geben, das Birgit mir geschenkt hat?“
„Nein“, sagte mein Vater. „Geschenke soll man behalten, nicht weitergeben.“
„Ich möchte es auch lieber behalten“, gab ich zu.
„Ich hab letzte Woche ein paar Blumenübertöpfe gemacht“, sagte Kirsty. „Davon wollte ich Gesine sowieso einen schenken. Warte, ich hole den Topf, du kannst ihn mitnehmen.“
Sie ging in ihre Werkstatt und kam mit einem hellgrün glasierten Tontopf zurück, der mit einem Muster aus Blütenranken verziert war.
„Ist der aber hübsch!“ rief ich. „Sie wird natürlich sofort wissen, daß er von dir ist.“
„Das macht doch nichts. Sag ihr einen Gruß von mir, und der wäre für ihre Duftgeranie am Küchenfenster.“
Diesmal kam auch ich mit einem Korb daher, allerdings nicht voller Zwetschgendatschi. Jörn bekam einen Gürtel mit Perlstickerei – den hatte ich die ganze Woche aufgehoben, weil er sein Mitbringsel nicht früher als die anderen kriegen sollte – und Matty ein vergilbtes Volksliederbuch mit Noten für Gitarrenbegleitung. Mikesch gab ich einen schönen alten Gedichtband von Baudelaire und Carmen einen indischen Schal, der mit Goldfäden durchwirkt war, Helge ein Taschenbuch über biologischdynamischen Gartenbau und Pauli bunte Fingerhandschuhe aus Peru.
„Dir hab ich leider nichts mitgebracht“, sagte ich ehrlich zu Gesine. „Aber hier ist was von Kirsty – ein Übertopf für deine Duftgeranie am Küchenfenster.“ Und sie lachte und sagte, ich könne schließlich nicht das ganze Dorf beschenken.
Ich glaube, am meisten freute sich Pauli über seine Handschuhe. Er hatte ja keinen, der ihm etwas von einer Reise mitbringen konnte. Seine einzige Tochter lebte in Kanada und kümmerte sich nicht mehr um ihn; und bis auf uns und Gesine und einen alten Mann in Mariabrunn hatte er keine Freunde.
Er strahlte über sein ganzes runzliges Gesicht und fuhr mit den Fingerspitzen immer wieder ehrfürchtig über die bunten Muster, als wären die Handschuhe etwas besonders Kostbares, ein kleines Kunstwerk. Und das waren sie ja eigentlich auch, obwohl sie so wenig Geld gekostet hatten. Peruanische Frauen hatten sie in den alten Mustern ihres Landes gestrickt, die Wolle vielleicht sogar von Hand versponnen und mit Pflanzenfarbe gefärbt.
Alle prosteten mir mit Tee und Radlermaß zu und nannten mich „Gärtnerstift“. Und Carmen war sofort Feuer und Flamme, als ich ihr von Majas Idee erzählte.
„Du könntest den Rübenacker und das Weizenfeld hinter den Ställen haben“, sagte sie. „Das ist ein schönes Stück Land, und ich kann später sowieso nicht alles allein bewirtschaften. Auch Gewächshäuser könnten wir anbauen, da, wo jetzt der alte Holzschuppen steht. Der ist längst baufällig.“
„Sachte mit den jungen Pferden!“ sagte Mikesch lachend, und Helge meinte, ich müßte schon vorher eine Bank ausrauben, ehe ich eine Gärtnerei aufmachen könnte. Und plötzlich war meine Hochstimmung verflogen, denn ich wußte, daß er recht hatte. Selbst wenn ich die Ausbildung schaffte – und warum sollte ich das nicht? –, fehlte mir doch das erforderliche Startkapital, das man für eine Gärtnerei braucht, auch wenn sie noch so klein ist.
„Die wenigsten können sich sofort selbständig machen, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben“, meinte Gesine. „Und es schadet ja auch nichts, mal einige Zeit für andere Leute zu arbeiten. Dabei lernt man noch eine ganze Menge, und die Fehler, die man als Anfänger immer macht, kommen einen nicht so teuer zu stehen.“
„Aber nicht mal in fünf Jahren könnte ich so viel Geld zusammensparen, daß ich das nötige Startkapital hätte“, sagte ich und fühlte mich wie ein angestochener Ballon, aus dem die Luft entweicht.
„Ich glaube, es gibt für Jungunternehmer billige Kredite vom Staat“, warf Mikesch ein. „Wenn du ein bißchen Eigenkapital hättest, könnte es vielleicht gehen.“
Jungunternehmer, Eigenkapital – wie das klang! Pauli meinte, ein Gewächshaus könne man auch selber bauen, das käme auf alle Fälle billiger. „Ich rede mal mit Roddy“, sagte Carmen. „Er müßte wissen, was das Material für so ein Glashaus ungefähr kosten würde.“
Ich dachte plötzlich, daß das alles Zukunftsmusik war. Bis gestern hatte ich nur mit dem Gedanken gespielt, Gärtnerin zu werden. Jetzt hatte sich die Idee unversehens auf geheimnisvolle Weise selbständig gemacht und war zu einer Tatsache geworden, die mich zu überrollen drohte.
„Zum Glück mußt du jetzt noch gar nichts entscheiden“, sagte Jörn, der wieder einmal meine Gedanken gelesen hatte, und drückte meine Hand. „Brüte ruhig noch einige Zeit darauf herum. Eines Tages wirst du das Ei dann ganz von allein legen, ohne viel Gegackere und Gedruckse.“
Alle lachten über den komischen Vergleich. Dann redeten wir über die behinderten Ferienreiter, die uns ins Haus standen, und mir war der Themawechsel nur recht. Helge erklärte auf seine übliche knallharte Art, er wäre froh, daß er jetzt Urlaub machen könne und sich nicht mit Leuten herumplagen müßte, die schon Probleme damit hätten, auf ihren eigenen Beinen zu stehen.
„Na, dann ist’s ja nur gut, daß du nicht hier bist“, sagte Mikesch kühl. „Im übrigen kann’s jedem mal passieren, daß er auf die Hilfe von anderen angewiesen ist. Dir auch.“
Ich wußte inzwischen, warum Helge so mürrisch und gereizt war. Matty hatte uns am Nachmittag erzählt, daß Helge zu seinem Vater gekommen war und eine Gehaltserhöhung gefordert hatte, und daß Herr Moberg abgelehnt hatte. Natürlich war Helges Monatsverdienst nicht gerade üppig; er sparte für ein Motorrad. Andererseits warfen das Gestüt und die Reitschule wirklich sehr wenig Geld ab; es reichte gerade immer mit knapper Not für die Ausgaben. Was Mikesch anging, so hätte er Helge sicher mehr Geld gegeben, wenn es irgendwie möglich gewesen wäre.
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