Ursula Isbel
Reiterhof Dreililien 3 ‒ Der Frühling des Lebens
Saga
Reiterhof Dreililien 3 ‒ Der Frühling des Lebens Copyright © 1994, 2019 Ursula Isbel und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726219609
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Es war Herbst ‒ der fünfzehnte meines Lebens, mein erster Herbst auf Dreililien, fern von der Großstadt. In unserem Tal zwischen den Wäldern verfärbten sich die Buchen, das Laub der Birken wurde gelb und trocken und raschelte im Wind. Noch war das Gras grün und saftig, und die Pferde weideten auf den Koppeln und genossen die milde Wärme der Oktobersonne.
Ich saß auf dem Querbalken eines Koppelzaunes. Um mich her taumelten Blätter durch die Luft, sanken lautlos ins Gras. Eins blieb auf meinem Knie liegen, ein zweites auf meiner Schulter. Die Luft roch herb nach nassem, schon faulendem Laub, nach Moos und Baumschwämmen, vor allem aber nach Pferden. Und ich dachte flüchtig, wie gut diese Gerüche doch zusammenpaßten.
Für mich war der Geruch nach Pferden auf alle Zeit untrennbar mit der Erinnerung an den vergangenen Frühling verbunden, an die Zeit, als ich zum erstenmal widerstrebend hierhergekommen war ‒ ein Großstadtmädchen, voller Vorurteile dem Landleben gegenüber. So viele Empfindungen barg dieser Geruch für mich, gute und schlimme. Auch die Erinnerung an das Gefühl von Haß und Verzweiflung, weil ich meinen Vater plötzlich nicht mehr für mich allein hatte. Im letzten Frühling hatte er, lange nach dem Tod meiner Mutter, wieder eine Frau gefunden, die er liebte. So vieles war damals geschehen. Und was mir am wichtigsten von allem erschien, war meine Begegnung mit Matty und Jörn Moberg von Dreililien gewesen.
Das Gestüt Dreililien, dieses Tal mit seinen Koppeln und Wäldern, mein ganzes neues Leben auf dem Land ‒ dies alles würde für mich immer mit dem Geruch von Pferden verbunden sein.
Ich schloß die Augen und dachte eine Weile an gar nichts. Seit ich hier lebte, hatte ich gelernt, jede freie Minute gründlich auszukosten und jede Gelegenheit zum Faulenzen zu genießen. Eigentlich gab es immer Arbeit im Stall und im Freien, und seit dem Ende des Sommers auch wieder in der Schule. Es kam selten genug vor, daß ich einmal untätig herumsaß.
Fast wäre ich eingeschlafen, wenn mich nicht plötzlich jemand so in den Rücken gepufft hätte, daß ich um ein Haar vom Zaun gefallen wäre. Ich klammerte mich gerade noch rechtzeitig am Balken fest. Da tauchte dicht neben mir ein großer brauner Kopf auf, und eine feuchte Nase beschnupperte mein Gesicht.
Es war Hazel, mein Pferd. Ich wandte mich um, schlang die Arme um ihren Hals und vergrub mein Gesicht in ihrer Mähne.
Hazel war ein wichtiger Teil dieses neuen Lebens geworden. Manchmal kam es mir vor, als wäre die Freundschaft, die uns verband, von ganz besonderer Art, anders als die übliche Beziehung zwischen einem Reiter und einem Pferd. Denn Hazel war nicht mein Reitpferd, und ich war auch nie darauf versessen gewesen, ein eigenes Pferd zu haben. Ich hatte es Herrn Moberg abgekauft, dem Besitzer des Gestüts Dreililien, weil sie sonst zum Abdekker gebracht worden wäre ‒ das war die schlichte und nicht besonders romantische Wahrheit.
Im Sommer hatte Hazel plötzlich Hufrehe bekommen, und es war wohl jedem außer mir sofort klargewesen, daß das ihr Todesurteil bedeutete; denn ein Pferd mit Hufrehe kann kein vollwertiges Reit- oder Zuchtpferd mehr werden. Als ich das endlich begriffen hatte, gab es für mich nichts mehr zu überlegen. Ich hatte Hazel um einen Spottpreis gekauft, und seitdem gehörte sie mir. Daß sie nur noch sehr vorsichtig geritten werden konnte, störte mich nicht weiter. Hauptsache, sie hatte es gut und konnte weiter auf Dreililien bleiben. Als Entgelt für ihren Stallplatz und das Futter half ich bei der Arbeit. Das war ein Abkommen zwischen mir und Herrn Moberg, das wir beide fair fanden.
Hazel blies mir zärtlich ins Haar, wie sie es immer machte. Eine Weile schmusten wir so miteinander. Plötzlich aber zuckte sie zurück, wandte den Kopf und schnaubte. Als ich mich umsah, merkte ich, daß Jörn Moberg den Weg vom Dorf her geritten kam. Er nahm die Abkürzung über eine der Wiesen im Galopp, und sein halblanges Haar flatterte im Wind.
„Sieht er nicht wie ein blonder Indianer aus, Hazel?“ flüsterte ich.
Mit gespitzten Ohren beobachtete die Stute Pferd und Reiter. Ich hob den Arm und winkte, aber Jörn sah mich nicht.
Noch während ich ihm mit den Blicken folgte, wie er durch die Hofeinfahrt ritt, sah ich plötzlich, wie Emily, die Schimmelstute, leicht scheute. Jörn zügelte sie und sah sich um. Von der Wegkreuzung her näherte sich ein schwarzer Mercedes mit Pferdeanhänger.
Der Wagen machte vor dem alten Torbogen des Dreililienhofes halt. Ein dicker Mann stieg schwerfällig aus. Da schwang sich Jörn vom Pferd, ging auf ihn zu und führte Emily am Zügel neben sich her.
Die friedliche Stimmung war zerstört. Ich wandte mich ab und biß mir auf die Lippen. Der dicke Mann mit dem Mercedes war Friedrich Horkheimer. Ich hatte ihn schon ein paarmal von weitem gesehen. Er war Herrn Mobergs bester Kunde, ein Pferdehändler, der regelmäßig kam, um Pferde aus der Zucht von Dreililien zu kaufen.
Wieder stieß Hazel ein Schnauben aus. Ich streichelte geitesabwesend ihren Hals. „Das Geschäft mit Pferden ist hart, Nell“, hatten Jörn und sein Bruder Matty oft zu mir gesagt. „Für Gefühle ist da wenig Platz. Pferde haben ihren Marktwert, genau wie jede andere Ware; sie müssen Gewinn bringen und werden an den Meistbietenden verkauft. Nur wer Geld im Überfluß hat, kann aus Liebhaberei Pferde züchten und sie auch behalten ‒ und wer hat das schon?“
Ja, ich hatte inzwischen begriffen, daß auch Dreililien kein absolutes Paradies war, in dem man seine Tage unbeeinflußt von den harten Tatsachen des Lebens verbringen konnte. Ich hatte es begriffen, aber im tiefsten Herzen hatte ich es noch lange nicht eingesehen. Immer, wenn ein Pferd verkauft wurde, wenn seine Box im Stall plötzlich leer war, tat es mir weh; und ich wußte, daß es Matty und Jörn ebenso ging.
Wenn er nur Nell nicht verkauft! dachte ich plötzlich. Sie ist doch noch so klein und hilflos ‒ ich möchte, daß sie hierbleiben kann, daß sie nicht in fremde Hände kommt . . .
Während Hazel langsam wieder zu den anderen Stuten zurückkehrte, erinnerte ich mich an die Sommernacht, als Nell zur Welt gekommen war, Marnies Fohlen. Sie war das erste Fohlen, bei dem ich Geburtshilfe geleistet hatte. Zusammen mit Jörn hatte ich geholfen, Nell zur Welt zu bringen.
Jörn hatte dem Fohlen meinen Namen gegeben; und es war seitdem kein Tag vergangen, an dem ich nicht zur Koppel gegangen wäre, um nach Nell zu sehen und zu bewundern, wie sie wuchs und stark wurde und lernte, sich gegen die anderen Fohlen zu behaupten.
Jetzt mochte ich nicht länger auf dem Koppelzaun sitzen. Ich wußte, daß ich es nicht geschafft hätte, von weitem mitanzusehen, wie eines der Pferde in den Anhänger geführt wurde, wie Herr Horkheimer es in seinem dicken Mercedes für immer wegbrachte. Ich sprang ins Gras, zog meinen Pullover über den Kopf und ging zu Tante Karens Haus zurück.
Jetzt war das kleine gelbe Haus mit dem tiefgezogenen Dach und dem Rosenspalier bereits vom Pfad aus zu sehen. Noch vor einer Woche war es hinter dem Laub der Eiche, die in unserem Garten wuchs, verborgen gewesen. Nur noch ein paar letzte Rosen blühten am Spalier, und im Vorgarten, den Kirsty so liebevoll pflegte, streckten die Dahlien ihre runden Köpfe der Sonne entgegen.
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