Ursula Isbel
Reiterhof Dreililien 6 – Eine Welt für sich
Saga
Reiterhof Dreililien 6 – Eine Welt für sich Cover Bild: Shutterstock Copyright © 1995, 2019 Ursula Isbel und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726219630
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Das Zwielicht des Sommerabends erfüllte Jörns Zimmer im alten Gutshaus, breitete seinen sanften Schimmer über die gemalten Rosen der Bauerntruhe. In den Ecken aber lagerten schon die ersten Schatten. Die Sträuße aus getrockneter Minze, Kamille und Johanniskraut, die von der Decke hingen, bewegten sich sacht im Luftzug.
Jörn kramte in einer Schublade und murmelte etwas; ich aber war mit den Gedanken weit fort, auf Amsterdams Straßen, während Don McLean sang: „Stary, stary night, paint your pallet blue and gray . . .“
Wir hatten dieses Lied über Vincent van Gogh zum erstenmal in einer Amsterdamer Kneipe gehört, Jörn und ich, und es war uns tagelang nicht aus dem Sinn gegangen, während wir im Vondelpark saßen und an stillen Grachten mit träg fließendem Wasser entlanggingen. Dann, Monate später, hatte Jörn es wiederentdeckt, unter Mikeschs alten Platten, und wir hatten es auf Kassette aufgenommen. Seitdem war „Vincent“ zu einem unserer Lieblingslieder geworden. Wir spielten es oft, wenn wir beisammen waren. Für uns war es ein Lied, das trotz aller Schwermut zu Amsterdam gehörte, obwohl die Tage damals für uns glücklich gewesen waren.
„Weinst du?“ fragte Jörn. Er setzte sich neben mich und nahm meine Hand.
„ You took your life, as lovers often do“, sang Don McLean. „But I could have told you, Vincent – this life was never meant for one as beautiful as you . . . “
Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Nase. „Es ist so traurig“, sagte ich, denn ich hatte an van Gogh gedacht, der sich das Leben nahm, aus Liebeskummer und weil keiner ihn und seine leidenschaftlichen, flammenden Bilder verstand.
Schweigend hörten wir das Lied bis zum Ende. Dann schaltete Jörn den Recorder aus. Durch das geöffnete Fenster drang das Wiehern einer Mutterstute, die nach ihrem Fohlen rief, und das sehnsüchtige, lustvolle Schreien der Lerchen, die sich in den Abendhimmel schwangen.
Ich schnüffelte ein bißchen, und es ging mir durch den Sinn, wie dicht beieinander doch Glück und Traurigkeit liegen. Vielleicht gehörte beides auch zusammen, wer weiß. In zehn Tagen waren Ferien, und irgendwo draußen im verwilderten Garten von Dreililien übte Matty auf seiner Mundharmonika.
„Meinst du, daß sie dir den Urlaub bewilligen?“ fragte ich.
„Die ganzen sechs Wochen bestimmt nicht, weil jetzt zu viele Schwestern und Pfleger ihren Sommerurlaub nehmen wollen. Aber zwei Wochen müßten schon drin sein. Die Oberschwester will mir morgen Bescheid sagen.“
Zwei Wochen; das war nicht viel, aber besser als gar nichts. Endlich konnten wir tagsüber wieder Zusammensein, gemeinsam im Waldweiher baden, ausreiten, im Obstgarten liegen und den Sommer genießen. Während der knapp zehn Monate, die Jörn nun seinen Zivildienst in einem Rosenheimer Krankenhaus leistete, hatten wir viel zu wenig Zeit füreinander gehabt. Ich wartete sehnsüchtig auf diese gemeinsamen Ferien.
„Ich glaube, ich muß die beiden Wochen dazu benutzen, endlich den Dörrboden auszubauen“, sagte Jörn mit düsterer Stimme in meine Gedanken hinein. „Es geht jetzt nicht mehr lang so weiter. Ich kriege ständig Streit mit Vater. Manchmal würd ich am liebsten alles hinschmeißen und abhauen. Du kennst ja meinen Vater, Nell.“
Das schöne Bild von gemeinsamen Ausritten und sonnigen Waldweiherstunden verschwand. Trotz meiner Enttäuschung konnte ich Jörn verstehen. Ich wußte längst, wie schwierig das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater war. Der alte Moberg war immer starrköpfig und herrschsüchtig gewesen. Jetzt, wo Jörn erwachsen war und seine eigene Meinung vertrat, gerieten die beiden fast täglich aneinander.
„Ich mag mich schon gar nicht mehr zum Abendessen an den Tisch setzen, weil er ständig etwas an mir herumzumeckern hat. Der Appetit vergeht mir, wenn ich bloß sein saures Gesicht sehe.“ Jörn starrte vor sich hin. „Vielleicht wär’s besser, wenn ich mir in Rosenheim ein Zimmer nehmen würde, aber . . .“
Ich erschrak, doch er sprach schon weiter, „ . . . aber andererseits mag ich auch nicht weg von zu Hause. Du bist doch hier, und ich hänge an Dreililien und den Pferden. Ich kann’s mir nicht vorstellen, in einem möblierten Zimmer herumzuhängen. Da würde ich eingehen wie eine Primel.“
Rasch sagte ich: „Es wird bestimmt alles besser, wenn du für dich allein wohnen kannst. Der Dörrboden ist ja neben Mikeschs Zimmer, und er hat jetzt Wasseranschluß und elektrische Leitungen nach oben legen lassen. Da könnte man die Anschlüsse bestimmt leicht nach nebenan führen. Wenn du vielleicht sogar eine eigene Küche und eine Dusche hättest . . .“
„So perfekt wird’s nicht werden“, sagte Jörn. „Dazu hab ich einfach nicht das Geld. Ich bin schon froh, wenn’s für ein Waschbecken, einen kleinen Heißwasserboiler und eine Kochplatte reicht. Ein ehemaliger Schulfreund, mit dem ich hier zur Grundschule gegangen bin, ist inzwischen Elektriker. Er würde mir vielleicht helfen.“
„Ja“, sagte ich erleichtert. „Und der alte Dörrofen ist doch auch noch da oben. Dann brauchst du wenigstens keinen Ofen mehr.“
„Zum Heizen kann man das Ding nicht benutzen. Aber es ist schon prima, daß ein Kaminanschluß da ist. Sonst müßte man eigens einen Kamin hochziehen lassen, und das wäre einfach nicht drin.“
„Mikesch wird dir helfen“, sagte ich.
Jörn grinste. „Das ist immer der erste, der dir einfällt, wenn’s Probleme gibt. Natürlich bin ich um jeden froh, der mit anpackt, aber Mikesch wird jetzt bald genug mit den Ferienreitern zu tun haben.“
„Ich helfe dir auch“, sagte ich. „Ich kann Balken saubermachen und den Boden schrubben oder mit Stahlwolle abziehen, die Fenster verkitten und streichen, all so was.“
„Ich werde dich beim Wort nehmen“, erwiderte er.
„Und was meint dein Vater dazu? Ist er einverstanden, daß du auf den Dörrboden ziehst?“
„Er hat nicht viel dazu gesagt. Aber ich glaube, er wird auch froh sein, wenn wir uns nicht mehr dauernd in den Haaren liegen. Außerdem weiß er, daß ich sonst ganz von hier verschwinden würde, und das möchte er wohl doch wieder nicht.“ Jörn schwieg eine Weile. „Manchmal glaube ich, er haßt sich selbst.“
„Matty wird’s schwer haben ohne dich“, sagte ich.
„Ach, der kann besser mit Vater umgehen als ich. Er streitet sich nicht lange mit ihm herum, sondern hält einfach den Mund und tut am Ende doch das, was er für richtig hält.“
Ich dachte an den kleinen, drahtigen Herrn Moberg mit den Krücken und dem verbissenen, abweisenden Gesicht, das von Schmerzen gezeichnet war. Nein, ich stellte es mir nicht einfach vor, ihn zum Vater zu haben. Und obwohl er sich mir gegenüber nie unfair verhalten hatte, war ich ihm in den drei Jahren, die ich nun im Tal von Dreililien lebte, stets ausgewichen, soweit es ging.
„Mich wundert’s, daß Mikesch mit ihm auskommt“, murmelte ich.
„Weil Vater Respekt vor Mikesch hat. Er behandelt ihn höflicher als jeden anderen, weil er weiß, daß der Laden hier ohne Mikesch nicht laufen würde – und weil Mikesch sich nicht einschüchtern läßt. Ich glaube manchmal, da ist so eine Art unsichtbare „Bis-hierher-und-nicht-weiter“-Schranke, die Mikesch um sich herum aufbaut, und die mein Vater genau spürt.“ Jörn seufzte in komischer Verzweiflung. „Wenn ich den Trick bloß auch raushätte!“
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