Ich lachte. „Ich glaube nicht, daß es funktionieren würde – jedenfalls nicht zwischen dir und deinem Vater. Du bist schließlich sein Sohn. Da gibt’s solche Schranken vielleicht nicht.“
Jörn zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht – jedenfalls ist ’s sauschwer, sich mit seinen Eltern auseinanderzusetzen; schwieriger als mit den meisten anderen Leuten. Nur glaube ich, wenn man’s nicht lernt, sich gegen sie zu behaupten, wird man sich später auch gegen keinen anderen behaupten können. Und ohne das geht’s nun mal nicht. Wenn du nicht wärst, Nell . . .“ Er stockte und fuhr dann fort: „Wenn du nicht wärst, hätte ich vielleicht schon längst das Handtuch geschmissen und wäre abgehauen. Aber das ist natürlich auch keine Lösung.“ „Nein“, sagte ich und legte den Kopf an seine Schulter. „Und der Dörrboden wird bestimmt eine schöne Wohnung. Roddy kann dir auch helfen. Er macht jetzt immerhin schon seit einem Dreivierteljahr eine Schreinerlehre. Einen Schreiner kann man immer brauchen.“
Draußen war es unversehens dunkler geworden. Wind kam auf, und in der Ferne grollte der Donner. Wir gingen ans Fenster.
„Da steht ein Gewitter über dem Gebirge“, sagte Jörn. „Hoffentlich verzieht es sich. Falls es herkommt, müssen wir die Mutterstuten und ihre Fohlen von der Koppel holen. Die Jährlinge auch, die drehen sonst durch.“
„Wenn’s bloß keinen Hagel gibt“, murmelte ich besorgt. „Heute war es den ganzen Tag so schwül.“
„Vorerst sieht es nicht danach aus. Bei Hagel ist der Himmel gelb, und da hinten ist’s rabenschwarz.“
Zwischen den Fliederbüschen tauchte Matty auf. Er sah zu uns hoch und schrie: „Das sieht nach einem mordsmäßigen Gewitter aus. Wenn’s hierherzieht, müssen wir die Pferde hereinholen!“
„Stell dir vor, das haben wir uns auch gerade überlegt!“ schrie Jörn zurück.
Matty grinste uns freundschaftlich zu. Er trug seit neuestem einen „Spezialhaarschnitt“, den Carmen ihm verpaßt hatte. Seine ehemals schulterlangen Haare, die er mit großer Geduld hatte wachsen lassen, waren jetzt sehr kurz geschnitten. Da sie immer die Neigung hatten, in die Höhe zu stehen, hatte Carmen sie so geschnitten, daß sie nun wirklich wie ein Mop von Mattys Kopf abstanden, was ausgesprochen frech und lustig aussah. Der kleine Goldring, den er seit ein paar Wochen im rechten Ohr trug – weil das angeblich gut für die Augen wäre, wie er sagte –, paßte dazu.
Matty verschwand um die Hausecke. „Aber woran soll man rechtzeitig erkennen, ob das Gewitter herkommt oder in eine andere Richtung zieht?“ fragte ich. „So lange, bis es hier ist, können wir jedenfalls nicht warten.“
„Wenn sich der Wind in der nächsten Viertelstunde nicht dreht, kann man ziemlich sicher sein, daß es bald losgeht.“
Wir setzten uns auf die Fensterbank. Wie meistens vor einem herannahenden Sommergewitter verstummten die Vögel, und alle Gerüche schienen sich zu verstärken. Es roch nach den nahen Kornfeldern, dem Bach, nach Tannennadeln und frischem Heu. Der Misthaufen machte sich kräftiger als sonst bemerkbar, und aus den Futterkammern kam der Geruch der eingeweichten Rüben. Vom Garten her duftete es nach wilden Rosen und Jasmin.
Ein Fensterflügel begann zu klappern. „Ich glaube, wir sollten runtergehen und die Fenster schließen“, sagte Jörn. „Im Gesindehaus sind die Dachluken offen, und ich weiß nicht, ob Mikesch seine Fenster zugemacht hat, ehe er weggefahren ist. Im Stall regnet es auch auf der Nordseite leicht herein.“
Wir verließen das Haus und trennten uns auf dem Innenhof. Jörn ging ins alte Gesindehaus hinüber, gefolgt von Diana, der gefleckten Jagdhündin, Ich sah in der Fuhrknechtskammer nach dem Rechten, die Mikesch sich zur Wohnung ausgebaut hatte.
Der Wind riß mir die Stalltür aus der Hand. In der Ferne rumpelte und krachte es bedrohlich. Von einem der Stallfenster aus sah ich Blitze über die Berge zucken wie auf einer Opernbühne. Matty erschien mit total zerzausten Haaren.
„Du siehst aus wie der Fliegende Holländer“, sagte ich.
Offenbar war ihm nicht nach Witzen zumute. „Sollten wir die Pferde nicht besser gleich hereinholen? Was meint Jörn?“ fragte er.
„Er wollte erst noch abwarten, ob sich der Wind dreht.“
„Hm. Blöd, daß wir ausgerechnet heute allein sind. Der Sepp kommt bestimmt nicht mehr. Der wird versuchen, noch rechtzeitig einen Teil von seinem Heu einzubringen.“
„Aber Mikesch taucht sicher auf, wenn’s brenzlig wird“, sagte ich. „Er ist zum Abendessen zu Gesine geradelt.“
„Bei Liebespaaren weiß man das nie so genau“, meinte Matty düster.
„Auf Mikesch kann man sich verlassen, ob er verliebt ist oder nicht.“
Matty verzog das Gesicht. Wir kletterten über die Leiter auf den Heuboden, und er sagte: „O Verzeihung, ich wollte deine heilige Kuh nicht angreifen!“
„Mikesch ist nicht meine heilige Kuh“, versetzte ich, während wir die Dachluken schlossen. „Jetzt fängst du auch noch an! Es reicht schon, daß Jörn mich immer damit aufzieht.“
In der Futterkammer streckten wir die Köpfe wieder aus dem Fenster. „Ich glaube, es zieht zum Chiemsee“, sagte ich, während Matty behauptete, das Unwetter käme direkt zu uns herüber.
„Wetten, daß es kommt!“ sagte er.
„In Ordnung, wetten wir. Wenn’s nicht kommt, mußt du meine Gummistiefel putzen – die für den Stall und die zum Reiten. Sie starren nämlich schon vor Dreck.“
„Pfui Teufel!“ sagte Matty. „Aber gut, das Gewitter kommt sowieso. Wenn ich gewinne, machst du mir so eine indianische Tasche, wie Jörn sie von dir zu Weihnachten bekommen hat.“
Ich schüttelte den Kopf. „Das ist zuviel. Das Leder allein hat schon fast dreißig Mark gekostet.“
Dann besserst du meine Pulloverärmel aus. Bei mir wetzen sich die Ellbogen immer so schnell durch. Lederflecke gehören drauf, das könntest du machen.“
Ich kann aber nicht richtig nähen“, sagte ich.
„Klar kannst du das, es ist keine Kunst.“
„Warum machst du’s dann nicht selbst?“
„Weil ich solche Popelarbeiten hasse.“
„Wie viele Pullover sind’s denn?“ fragte ich mißtrauisch.
„Drei.“
„Also gut, ich mach’s. Aber beklage dich hinterher nicht, wenn es dir nicht schön genug ist!“
Wir gaben uns feierlich die Hand. Es donnerte – gefährlich nahe, wie ich fand.
Ein seltsam fahles Licht lag über dem alten Innenhof. Der Wind schüttelte die Krone der Linde und verstreute ihre Blüten über dem abgetretenen Pflaster. Der Wetterhahn auf dem First des Gesindehauses drehte sich wie verrückt und quietschte verzweifelt. Die Schwalben und Ringeltauben duckten sich unter den Dachvorsprüngen.
Jörn kam, und wir gingen gemeinsam in sein Zimmer, um nachzusehen, wohin die Wetterfront gezogen war. Über dem Bergmassiv der Schlafenden Jungfrau ballte sich eine schwarze Wand, die unablässig von Blitzen erhellt wurde.
„Hoffentlich kraxeln da droben nicht wieder ein paar Urlauber in Shorts und Stöckelschuhen herum“, meinte Matty. „Sonst geht’s ihnen dreckig.“
„Es hat schon fast die Hochries erreicht“, sagte Jörn. „Ich glaub, es ist am sichersten, wir holen erst mal die Mutterstuten mit ihren Fohlen herein. Wenn wir sie umsonst in den Stall gebracht haben, ist das auch kein Beinbruch.“
Die Fohlen waren kein Problem. Sie folgten ihren Müttern ohne Widerstreben, und die Stuten waren klug genug, die Zeichen des herannahenden Unwetters richtig zu deuten. Sie drängten sich schon am Gatter und schienen es an der Zeit zu finden, daß wir sie in den Stall holten.
Schwieriger war es mit den Jährlingen, das wußte ich aus bitterer Erfahrung. Man konnte sie nur mit List und Tücke einfangen. Für sie war jede Änderung im normalen Tagesablauf nichts als ein lustiges Spiel, das sich jemand zu ihrem Vergnügen ausgedacht hatte. Meist ließen sie einen dicht an sich herankommen, rasten dann aber mit Bocksprüngen davon, ehe man sie noch erwischen konnte, und freuten sich diebisch, wenn man mit hängender Zunge hinter ihnen herkeuchte.
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