Sein Vater betrachtete ihn eine Weile schweigend, warf ihm einen vielsagenden Blick zu: „Bist auch du dieser Ansicht?“
„Ich bin der Meinung, dass uns die Vorsehung in einem königlichen Bett zur Welt kommen liess, damit wir als Prinzen geachtet werden und eine unserer Abkunft würdige Betätigung erhalten.“
Langsam erhob sich der Abbas: „Ich verstehe euch besser, als ihr denkt! Ihr könnt euer ungebärdiges Blut nicht mehr zügeln. Erzwingen und ertrotzen wollt ihr euch Rechte, die zu erteilen nur von meinem Willen abhängt. Ihr glaubt, der Baum sei morsch geworden; ihr versucht, die Axt daran zu legen und hofft, ihn mit einem Streich zu Fall zu bringen. Längst schon habe ich eure dunklen Gedanken durchschaut! Nehmt euch in Acht!“
Chodabende bebte vor Erregung. Er rief: „Soweit also konnte es kommen, dass unser guter Wille als Verrat gedeutet wird! Ich sehe wohl, wem wir diese Behandlung zu verdanken haben. Vater, hüte du dich, den Einflüsterungen eines Mannes niederer Herkunft mehr Glauben zu schenken als deinem eigenen Fleisch und Blut!“
Imanculi bekräftigte: „Mein Bruder hat recht gesehen und richtig gesprochen! Denke daran, wie du schon einmal heimtückischen Chanen dein Ohr geliehen hast, wie dein Sohn Sefi auf ungerechtfertigten Verdacht hin nach deinem Befehl ermordet wurde!“
Die Hand Abbas hatte eine Glocke ergriffen. Schrill, wie ein wütender Aufschrei, klang ihr Schall durch den Raum.
Die Tür wurde aufgerissen. Darugo Chosrow und die Leibwache standen mit gezückten Schwertern im Rahmen.
„Ergreift sie!“ rief der Schah.
„Im nächsten Augenblick waren die Brüder entwaffnet und gefesselt.
Der Herrscher sprach, und kalter Hohn klang aus seinen Worten: „Ihr beide erzähltet mir von dem, was ihr zu sehen vermeintet. Es ist nicht gut, die Dinge im falschen Licht zu schauen. Da eure Augen Unheil anrichten könnten, so ist es besser, ich befreie euch von ihnen.“ – –
Am anderen Morgen wurden die Brüder von rohen Kriegsknechten vorwärtsgestossen. Sie, die gestern noch glaubten, die Vorstufe zum Thron des mächtigen Perserreiches betreten zu haben, sanken heute in tiefstes menschliches Elend. Ketten klirrten an ihren Händen und Füssen. Endlos schien den Geblendeten die Wanderung, da sie nicht wussten, ob es Tag oder Nacht sei. Endlich, nach zehn Tagen, erreichte der traurige Zug die Bergfeste Alamuth, drei Tagereisen hinter Caswin, wo beide in ein tiefes Kerkerverliess geworfen wurden.
*
Wenige Tage nach diesen Ereignissen ging der Schah, als einfacher Mann aus dem Volke verkleidet, über den Maidan. Da hörte er, wie ein armer Tagelöhner zu einem anderen sprach: „Wohin sind die Zeiten, als unser grosser Abbas noch ein Herz für die Unterdrückten besass, und er selbst nach dem Rechten sah? Damals wagte kein Bäcker sich zu weigern, Brot zu den festgesetzten Marktpreisen abzugeben; kein Fleischer hätte sich unterstanden, falsche Gewichte zu führen.“
Der Verkleidete fragte: „Kommt so etwas vor?“ Da lachten die beiden und riefen: „Bruder, woher stammst du eigentlich, dass du nicht weisst, was jedem Kind in Ispahan bekannt ist!“
„Steht es so schlimm hierzulande mit der Gerechtigkeit? – Könntet ihr mir wohl den Stand solcher Männer zeigen, damit ich mich hüte, von ihnen übervorteilt zu werden?“
Sie gingen zu den Gewölben, wo die Bäcker ihre Waren feilboten. Ein wohlgenährter Meister erregte die Aufmerksamkeit des Schahs. Er ging mit unterwürfiger Miene an den Stand und bat bescheiden, ihm ein Brot zu verkaufen.
„Kannst du haben, aber nicht zu den Preisen, die der Unverstand festgesetzt hat; denn ich verspüre nicht die geringste Lust, einst so heruntergekommen umherzulaufen, wie ihr drei Taugenichtse.“
„Der grosse Abbas hat doch befohlen, dass Ihr für diese Münze den Laib abgeben sollt.“
„Der grosse Abbas ist kein Bäcker und versteht nichts von unserem Gewerbe; zudem muss ich mit meinen Getreidevorräten sparen, damit ich seinen Soldaten den Hals füllen kann, wenn es ihn wieder einmal gelüstet, Krieg zu führen.“
„Ihr weigert Euch also, nach seinem Befehl zu handeln?“
„Schert Euch zum Teufel, elendes Bettelgesindel!“
Nichts verriet, was in des Herrschers Seele vor sich ging. Wie ein geschlagener Hund schlich er von dannen.
„Da hörst du es selbst, wie sie die Vorschriften des gerechten Abbas missachten, der ein Freund des kleinen Mannes ist!“
Bei den Verkaufsständen der Metzger blieben die drei stehen.
Der Schah verlangte Rinderfleisch und fragte, ob Preis und Gewicht der Marktordnung entsprächen. Der Schlachter blickte ihn boshaft an und sagte höhnisch: „Bist du vielleicht selbst der grosse Abbas, dass du den Mut hast, solche Frage an mich zu richten?“
„Ich will mein gutes Recht!“ war die Antwort.
„Wir von der Fleischerinnung müssen wissen, welchen Nutzen wir benötigen. Wer nicht bei uns kaufen will, mag sich trollen.“
„Ist das Euer letztes Wort?“
„Hier hast du mein letztes Wort, alter Bettelsack!“ Wütend erhob der Grobian die Hand zum Schlag; da richtete sich der vermeintliche Arme plötzlich aus seiner demütigen Haltung empor. Er riss den falschen Bart herunter, schlug den Mantel zurück und mit Entsetzen gewahrte der Betrüger, wem er gegenüberstand. Wie aus dem Boden gewachsen, tauchten handfeste Schergen auf.
Zornbebend rief der beleidigte Herrscher: „Ich will dir Achtung vor den Gesetzen beibringen; du sollst anderen Wucherern ein abschreckendes Beispiel sein!“
Der Sünder wurde an einem eisernen Schlachterhaken aufgehängt.
„Drei Tage und drei Nächte soll er zur Schau gestellt bleiben! Wer ihm Nahrung oder Trinken reicht, ist des Todes!“
Schmähungen, Drohungen und Spottrufe wurden aus der Menge gegen den Metzger laut. Das arme, hintergangene Volk pries den Gerechtigkeitssinn seines Landesherrn. Dieser wandte sich indessen dem Bäcker zu. Er richtete einige Worte an die Schergen, worauf der Brotwucherer ergriffen und bei lebendigem Leibe in seinen eigenen Backofen gesteckt wurde.
Ein lähmender Schrecken hatte die Händler gepackt. Auf lange Zeit hinaus würde es niemand wagen, sich gegen die Gesetze aufzulehnen. Alle Marktaufseher wurden ihres Postens enthoben und neue Beamte, mit strengen Vorschriften ausgestattet, zwecks Ausübung einer scharfen Kontrolle eingesetzt.
Es war die letzte, weithin sichtbare Willensäusserung Abbas’, die im Volke den Glauben an seine Kraft neu erweckte; niemand ahnte, dass es das letzte Aufflackern eines starken Geistes bedeuten sollte.
*
Eine grosse Veränderung konnte man in Stadlers Wesen feststellen. Er hatte bisher Operchis Gastfreundschaft in Anspruch genommen; nun mietete er ein abseits gelegenes Gartenhäuschen und widmete sich lediglich seinem Beruf. – Er beherrschte, wie so viele Bergbewohner seiner Heimat, die Kunst des Figurenschnitzens. Hierin zeigte er eine gewisse Fertigkeit. Bei einem persischen Holzbildschnitzer suchte er sich nun weiter zu vervollkommnen, um es möglichst zur Meisterschaft zu bringen und den hier herrschenden Geschmack kennenzulernen.
Monate verstrichen, da erhielt der Uhrmacher die Aufforderung, an einem bestimmten Tag im Schloss zu erscheinen. Es lagen noch Wochen dazwischen; bei der Fülle der erbetenen Empfänge mussten sie auf weite Sicht festgelegt werden.
*
Stadler schritt über den Maidan. Er vermochte kaum seine Erregung zu meistern. Ihm schien die Stunde gekommen, in der seine kühnsten Träume in Erfüllung gingen. Er zeigte der Torwache seine Einladung und wurde in den Vorgarten eingelassen. Ein Palastdiener eilte herbei. Seltsamerweise führte er ihn nicht in den Empfangssaal, sondern durchschritt mit ihm eine Reihe parkähnlicher Anlagen. Sie gelangten schliesslich zu einem kleineren, entzückend hinter Bäumen und Buschwerk versteckten Lusthäuschen. Durch mehrere kostbar eingerichtete Räume, deren Fenster verhangen waren, gingen beide. Der Begleiter flüsterte Stadler zu, der Schah habe ein schweres Augenleiden und müsse sich daher gegen grelles Licht schützen. In einem kleinen Gemach hiess man den Schweizer Platz nehmen. Der Diener entfernte sich.
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