Trotz der großstädtischen Liberalität, die München nachgesagt wurde, existierten im München der 1920er Jahre auch starke antisemitische Tendenzen. Die jüdische Lebenswelt wurde von vielen Nicht-Juden als etwas Fremdes betrachtet, der man nicht nur mit Verwunderung, sondern auch mit Argwohn bis offener Ablehnung begegnete. Dies galt auch für Schwa-bing. Thomas Mann war einer der ersten, der in Schwabings Schickeria rechtsradikale Tendenzen ausmachte. Die Satirezeitschrift »Simplicissimus«, einst ein »Sturmgeschütz« gegen wilhelminische Biederkeit und die Verlogenheit der herrschenden Moral, lavierte während der Weimarer Republik zwischen einem kritisch-liberalen und rechtskonservativen Kurs. Unter den Nazis schwenkte das Blatt auf die Regierungslinie ein. »Obwohl jüdisches Leben in der Zwischenkriegszeit weitaus stärker sichtbar und gegenwärtig war, als uns dies heute vorstellbar ist, war man von einer ›Nor-malität‹ – im Sinne von Selbstverständlichkeit – im Zusammenleben von Juden und Nichtjuden weit entfernt.« 22 Der FC Bayern dürfte diesbezüglich eher zu den Ausnahmen gehört haben.
Zwischen dem 1. und 16. März 1933 verließen 3.574 Juden die bayerische Metropole. Reichsweit flohen 37.000 Juden ins Ausland. Die überwiegende Mehrheit der Juden blieb allerdings im Lande und spekulierte wohl darauf, dass es sich beim Hitler-Regime lediglich um ein vorübergehendes Phänomen handeln würde. Zu ihnen gehörte auch Kurt Landauer. Seit dem 1.9.1930 war Landauer als Abteilungsleiter der Anzeigenverwaltung des Verlags Knorr & Hirth beschäftigt, Herausgeber der »Neuen Münchener Nachrichten« (heute »Süddeutsche Zeitung«). Im Zuge der Arisierung des Betriebs wurde Landauer hier am 30.4.1933 unter Fortzahlung der Gehaltsbezüge auf zwei Monate fristlos entlassen. Kurze Zeit später kam Landauer bei der Wäschefirma Rosa Klauber unter, die einer jüdischen Familie gehörte. Als Abteilungsleiter von Knorr & Hirth hatte Landauer noch ein monatliches Gehalt von 550 RM bezogen, nun musste er sich mit 225 RM zufrieden geben. 23
Am 1. April kam es reichsweit zu Boykottaktionen gegen Juden, denen der Erlass des Gesetzes »zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« unmittelbar folgte. Einige der Turn- und Sportverbände reagierten umgehend mit der Übernahme des »Arierparagrafen« in ihren Wirkungsbereich und dem Ausschluss ihrer jüdischen Mitglieder. So auch der Süddeutsche Fußball- und Leichtathletikverband. »Die unterzeichneten, am 9. April 1933 in Stuttgart anwesenden, an den Endspielen um die süddeutsche Fußballmeisterschaft beteiligten Vereine des Süddeutschen Fußball- und Leichtathletikverbandes stellen sich freudig und entschieden den von der nationalen Regierung auf dem Gebiet der körperlichen Ertüchtigung verfolgten Besprechungen zur Verfügung und sind bereit, mit allen Kräften daran mitzuarbeiten. Sie sind gewillt, in Fülle dieser Mitarbeit alle Folgerungen, insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen, zu ziehen.« Zu den Unterzeichnern gehörten auch die ehemaligen »Juden-Clubs« Stuttgarter Kickers, Eintracht Frankfurt und Bayern München. 24
Rote und Blaue
Dennoch war die Nazifizierung des FC Bayern eine eher zähe Angelegenheit. Zwar gab es auch beim FC Bayern schon vor 1933 überzeugte Nazis, die allerdings zunächst nur eine kleine Minderheit im Klub bildeten. Die NSDAP war insbesondere in der Skiabteilung stark vertreten; die Wintersportler stellten dann auch den nun obligatorischen so genannten »Diet-wart«, verantwortlich für die nationalsozialistische Erziehung der Vereinsmitglieder. Außerdem übernahmen sie schon bald nach der braunen Machtergreifung die Vereinszeitung.
In der Vereinschronik zum 50-jährigen Bestehen des FC Bayern ist bezüglich seiner »Arisierung« zu lesen: »Die Parteipolitik und der wie Gift ausgestreute Rassenhass machte auch vor der sportlichen Kameradschaft nicht halt. Immer schon hatte man im Klub die Anschauung vertreten, dass jeder anständige Mensch, gleich welcher Rasse oder Religion, Platz beim Sport finden könne. Dieser Grundsatz verlor plötzlich durch Regierungsbefehl seine Berechtigung. (…) Es kamen die Rassengesetze und mit ihnen der Arierparagraf. Damit aber auch das Ausscheiden vieler alter und treuer Bayern, die in unseren Reihen nichts anderes kannten, als gleich allen übrigen Mitgliedern am Aufbau des Klubs mitzuarbeiten, sich an seinen sportlichen Siegen und Erfolgen zu freuen und Rückschläge und Niederlagen mit tragen zu helfen.« 25 Willy Simets-reiter über das Schicksal der zahlreichen jüdischen Funktionäre und Balltreter beim FC Bayern: »Plötzlich waren die verschwunden. Das war schade für diese Leute, das waren alles gute Leute.« Geredet worden sei darüber nie, nur über »Fußballs und Mädels. Mei, wir waren jung.« 26 Und Simetsreiters Mitspieler Herbert Moll: »Zu uns haben die nix gesagt. Das war völlig unpolitisch. Wie’s halt so gegangen ist. Wir haben Fußball gespielt, das andere war so am Rande. Wenn’s einen nicht selbst getroffen hatte… « 27
Als kommissarischen Nachfolger von Kurt Landauer wählte eine außerordentliche Mitgliederversammlung am 12. April 1933 zunächst dessen langjährigen Assistenten Siegfried Herrmann. Der gesamte interne Vereinsbetrieb geriet für einige Jahre durcheinander. Die bereits zitierte Vereinschronik: »Viele Männer zogen sich von ihren Ämtern zurück. Andere witterten Morgenluft und glaubten im Trüben fischen zu können. Auch begannen gewisse Kräfte jetzt schon mit dem Wettlauf um die Gunst der neuen Herrscher im Staate. Die Leitung versuchte, sich dem Neuen wenigstens im Sport entgegenzustellen, aber schließlich waren die Ereignisse stärker als der Wille eines einzelnen.« 28
Als Siegfried Herrmann 1934 aus beruflichen Gründen zurücktrat, wurde sein Nachfolger der Rechtsanwalt Dr. Karlheinz Oettinger, der jedoch bereits 1935 von Dr. Richard Amesmeier abgelöst wurde. Amesmeier war ein bewährtes Mitglied. Im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen drückte sich der FC Bayern noch immer davor, eine ausgewiesene Parteigröße an seine Spitze zu hieven. 1937 war auch die »Ära« Amesmeier vorbei. Neuer »Vereinsführer« war nun der Oberlehrer Franz Nußhardt. Auch Nußhardt trug kein Parteiabzeichen, und auch seine Amtszeit war nur von kurzer Dauer. 1938 wurde der Oberregierungsrat Dr. Kellner als sein Nachfolger bestellt. Erstmals stand nun ein Mann an der Spitze, der für die braunen Machthaber »tragbar« war. Nußhardt blieb dem Klub aber erhalten. Offiziell war er nur noch »zweiter Mann«, aber tatsächlich war es Nußhardt, der das Gros der Vorstandsarbeit bewältigte.
Am 9. April 1943 wurde schließlich der Bankier Sauter vom Gausportwart zum »Kommissarischen Gemeinschaftsführer« ernannt und blieb dies auch bis zum Ende der NS-Herrschaft. Sauter war der Wunschkandidat der aktiven und überzeugten Nazis im Klub gewesen. Nach seiner Amtsübernahme änderte sich das Verhältnis des FC Bayern zur Partei und Stadtverwaltung gewaltig. So marschierten nun bei Veranstaltungen der Bayern SA-Kapellen auf der Aschenbahn, und die gleichgeschaltete Presse begann nun die Erfolge des FC Bayern zu würdigen. Die NS-Herrschaft setzte auch dem internationalen Engagement des FC Bayern ein Ende. Die Zahl ausländischer Gäste wurde immer geringer, und es waren fast nur noch »deutschsprachige Ausländer«, mit denen man sich maß.
Dass der Klub in der Nazi-Zeit zunächst sportlich und finanziell abfiel, hatte zumindest auch damit zu tun, dass ihm noch eine Zeit lang Mitglieder vorstanden, die den braunen Machthabern nicht als ausreichend loyal erschienen und nicht über die nun notwendigen politischen Verbindungen verfügten. Die Lokalrivalen FC Wacker und TSV 1860 setzten deutlich früher Leute an ihre Spitzen, die das politische Vertrauen des Gausportführers besaßen. Beim TSV 1860 hieß der Vereinsvorsitzende vom 7. April 1936 bis zum Ende der NS-Herrschaft Dr. Emil Ketterer. Ketterer gehörte der NSDAP bereits seit 1923 an, war Mitbegründer des Nationalsozialistischen Ärztebundes München-Oberbayern, seit 1931 SA-Mitglied und Abgeordneter im von den Nazis gleichgeschalteten Münchener Stadtrat. Gegenüber Oberbürgermeister Fiehler betonte Ketterer im Februar 1941, »dass ein prozentual großer Teil der Mitgliedschaft sehr früh bei der Fahne Adolf Hitlers zu finden war« – im Gegensatz zu einem anderen Münchener Verein. 29
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