Walther von Hollander - Das fiebernde Haus

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Manfred Urk, Dr. med. und Dr. jur., ist aus der Provinz nach Berlin zurückgekehrt. Drei Jahre hat er dort zurückgezogen gelebt und am Ende seine Frau beerdigen müssen. Drei Jahre des Stillstandes nach zuvor drei Jahren des Erfolges. Jetzt, 36-jährig, kehrt er vorsichtig nach Berlin zurück. Natürlich geht das nicht ohne eine Unterkunft. Nach einigen vergeblichen Versuchen kommt er in einem typischen Berliner Mietshaus im Westen der Stadt unter. Es ist ein eigenartiges Haus, dessen Bau eine Generation zuvor beinahe gescheitert wäre. Es scheint seinen Menschen Unglück zu bringen. Die Leben, an denen Urk hier unweigerlich teilnimmt, sind nicht von der Art, Licht und Freude in sein Leben zu bringen. Dennoch führen gerade sie ihn ins Leben zurück. «,Lasst uns das Leben erlernen', sagte Urk. Er atmete tief auf, denn der Wind hatte wieder eine Welle von Düften mitgebracht. Viel Erde war darunter, nach der Urk sich sehnte. Aber zunächst musste er hier bleiben.»-

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Walther von Hollander

Das fiebernde Haus

Saga

Das fiebernde Haus

© 1926 Walther von Hollander

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711474525

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

I

Gerade als Manfred Urk, von der Kurfürstenstrasse kommend, in die Lutherstrasse einbog, verkroch sich die Märzsonne hinter einer dunklen, tiefziehenden Wolke. Vor dem Wolkenschatten lief ein staubiger Windstoss einher, wirbelte ein paar Papierfetzen und Apfelsinenschalen auf und klappte einige lose eingehakte Fenster lärmend zu. Mit zusammengekniffenen Augen, die breiten Lippen, die meist blässlich aus dem Bartgestrüpp leuchteten, ganz nach innen gezogen, die Hände tief in die Taschen gestopft, blieb Urk stehen und drehte dem Staub langsam den Rücken zu. Eigentlich, dachte er und sperrte seine Nase gegen Staub und Gestank zu, sollte ich das als Vorbedeutung nehmen und umkehren.

Er sah sich um. Ein paar Bäume standen wohl da, eine Kastanie zeigte sogar springbereite Knospen. Sonst aber sah die Strasse recht trostlos aus. Aber würde es anderswo besser sein? Seufzend kramte er den Zettel heraus, den er auf dem Zimmernachweis bekommen hatte. An sieben Stellen war er bereits gewesen, drei waren noch zu erledigen.

Urk redete sich gut zu. Diese eine Adresse wenigstens noch. Gut, ja, dann wolle er Schluss machen. Es sei gewiss halb fünf. Vier Stunden Pflaster treten und sieben teils devoten, teils unverschämten, immer aber indiskreten Vermieterinnen davonlaufen — natürlich sei das zuviel für einen Nachmittag.

Urk gab sich einen Ruck und ging weiter. Da das rote Ziegelhaus? Himmel, wie ungewaschen! Ach nein — das war es ja gar nicht. Das gelbgraue Haus, dieses gewöhnliche Berliner Westen-Haus aus rohen Ziegeln mit einem Mörtelverputz, der wie Sandstein aussehen sollte.

Urk klingelte und musste warten. Er klingelte nochmals. Endlich sprang die Tür auf. Eine grobe Männerstimme fragte brüllend, wohin er wolle. Er konnte nicht entdecken, woher die Stimme kam, und blieb deshalb belustigt stehen. Rechts und links waren glatte Wände aus grauem Marmorersatz, dann kamen grosse Spiegel, deren Scheiben durch erstaunliche Messingwürmer unterbrochen wurden. Hinter Spiegel und Wand konnte kaum der Schreier hausen. Endlich lenkte neues Gebrüll seine Augen richtig. In einer Treppenstufe war ein winziges Spiegelfenster angebracht, und durch dieses Fenster konnte der Pförtner den Eintretenden unauffällig beobachten oder auffällig anschreien.

Diese etwas hinterlistigen Einrichtungen, stellte Urk treppensteigend fest, machen das Haus nicht sympathischer. Er war überzeugt, dass er nicht mieten würde, klingelte aber doch bei Bermanns im dritten Stock.

Natürlich kam es dann anders. Die Zimmer waren in ihren Ausmassen angenehm. Das Arbeitszimmer weit und hoch mit einem Erker der Strasse zu, das Schlafzimmer ziemlich klein und einfenstrig mit einem Blick in einen nicht ganz baumlosen Hof. Nun, man würde alles umstellen, Schlaf- und Arbeitsgelegenheit tauschen. Die Wände waren blau und bronzebraun gestrichen, zwei Farben, denen Urk zugeneigt war, und dass die Möbel mit sinnlosen Auswüchsen, Aufsätzen und Geschwülsten, mit Gesimsen und Gestellchen geschmückt waren, das war nichts Besonderes, das musste man als möblierter Herr mit in Kauf nehmen, dem konnte man ebensowenig entgehen wie den Menschen der Generation, die diese Möbel ersann, kaufte und um sich aufstellte.

Bestechend für Urk war die Tatsache, dass zu den Zimmern ein besonderes Badezimmer gehörte (natürlich mit dem in Berlin üblichen eingebauten W. C.). Vor allem aber wurde er durch die Unterhaltung mit Frau Bermann gewonnen.

Da war nicht das vermaledeite Wirtinnengetue: „Wir vermieten zum Spass.“ Da war nicht die Frage nach Beruf und Länge des Aufenthalts (Fragen, die Urk gar nicht beantworten konnte). Da war vor allem nicht das freche oder lüsterne Gespräch über „verbotenen Damenbesuch“. Kaum, dass Urk dazu kam, seine Wünsche präzis zu äussern. Sie sei zwar Provinzlerin von Geburt, sagte Frau Bermann ruhig und setzte sich etwas zaghaft auf einen Stuhl, sicherlich seien auch ihre Überzeugungen provinzlerisch, aber sie verlange nicht von ihren Mietern provinziellen Lebenszuschnitt. Selbstverständlich sei es nicht ihre Sache, wer in den Räumen des Herrn ein- und ausgehe. Auch könne sie keine bestimmten Tageszeiten als unsittlich empfinden. Lärm allerdings könne sie nicht vertragen. Auch werde Herr Urk sicherlich gerne dem Rechnung tragen, dass sie eine fünfzehnjährige Tochter habe, und alles das mit Vorsicht tun, was ein so junges Mädchen besser nicht beobachten solle. Die Tochter käme allerdings erst in vier Wochen, aber schon heute müsse man sich natürlich über diese Dinge einigen. Im übrigen sei ja im vorderen Teil der Wohnung nur noch das meist unbenutzte Berliner Zimmer. Ja gewiss, das Dienstmädchen werde ihn mitversorgen. Der Preis sei hoch — da man von der Vermietung der Zimmer die Gesamtmiete der Wohnung bestreiten wolle. Er würde auch mit den kommenden Mietserhöhungen steigen.

„Im ganzen“, und hierbei hob sich die monotone Stimme der Frau ein wenig, und sie lächelte Urk liebenswürdig an, „betrachte ich die Vermietung als ein Geschäft, bei dem Sie zufriedengestellt werden wollen, von dem ich aber so wenig wie möglich merken möchte. Unser Verkehr wird im wesentlichen durch das Dienstmädchen vermittelt werden.“

Mit diesen Worten stand Frau Bermann auf und blieb mit sanft gekreuzten Armen vor Urk stehen. Urk mietete sofort. Kaum, dass er sich zwingen konnte, vor Abschluss des Vertrages einige Forderungen zu stellen. „Manchmal singe ich, gnädige Frau“, sagte er und errötete bis tief in seinen Spitzbart hinein. „Ich singe zwar nicht sehr laut, aber auch nicht vollkommen. Über meine Gitarre brauchen Sie nicht zu erschrecken. Die wird augenblicklich nicht benutzt. Die Zimmer wünsche ich völlig umzustellen, Teppiche und Bilder zu entfernen. Beides bringe ich in ausreichender Menge mit. Ich koche für mich selbst und habe alle elektrischen Vorrichtungen dafür. Notwendige Anschlüsse richte ich ein. Hilfe gebrauche ich nur zum Geschirrspülen. Das Bett“, und er legte sich vorsichtig mit heraushängenden Beinen hinein, „ist zu klein für mich; ich werde einen Diwan kaufen.“

Frau Bermann nickte gleichmütig und ohne ihren neuen Mieter anzusehen. „Das alles ist natürlich leicht zu machen.“ Ein paar Sekunden standen sie unschlüssig voreinander. „Übrigens“, schloss Frau Bermann die Unterhandlungen, „mache ich Sie darauf aufmerksam, dass mein Mann und ich in diesem Hause sehr verhasst sind. Wir wohnen seit zehn Jahren hier (unser Geschäft ist zwei Strassen weiter) und haben uns um die anderen Mieter nicht gekümmert. Manche kennen wir kaum beim Namen, obwohl die Parteien ja nicht wechseln konnten. Nun ja ...“ Sie brach den Satz mit einer kleinen, mutlosen Bewegung der Schulter ab. „Es ist kein angenehmes Haus“, fügte sie noch leise hinzu.

Dann geleitete sie Urk zur Tür. Es sei doch nichts weiter zu besprechen, fragte Urk. Frau Bermann schluckte ein wenig, Urk wartete höflich. „Ich habe noch eine Tochter, die verrückt ist“, sagte sie ein wenig heiser und öffnete die Tür zum Flur. „Sie werden nicht viel davon merken, aber es kommt doch wohl in jedem Monat einmal vor, dass sie Krämpfe bekommt und schreit.“ Urk nahm den braunen Velourhut, den er bereits aufgesetzt hatte, noch einmal ab. „Sie werden kaum je etwas hören“, sagte Frau Bermann noch einmal, und Urk schien es, als sei eine Bitte in ihren Worten. „Ich wollte es Ihnen nur sagen, vielleicht hätten Sie es gespürt.“

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