Calistus Munbar kann zwischen fünfzig und sechzig Jahre zählen, sieht aber höchstens wie ein mittlerer Vierziger aus. Er ist über mittelgroß, ziemlich beleibt und hat starke Gliedmaßen. Gesund und kräftig, zeigt er sichere Bewegungen – kurz, er »platzt« vor Gesundheit, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist.
Dem Sébastien Zorn und seinen Kollegen sind solche Leute – deren gibt es ja in den Vereinigten Staaten nicht so wenige – schon oft in den Weg gelaufen. Der gewaltige, kugelrunde Kopf Calistus Munbars strotzt von noch blondem, üppigem Haar, das auf- und abschwankt, wie Baumlaub unter dem Winde; sein Teint ist recht frisch; der ziemlich lange, rotgelbe Bart läuft in zwei Spitzen aus; den Schnurrbart hat er wegrasiert; der an den Lippenwinkeln etwas hinaufgezogene Mund erscheint lächelnd, sogar scherzhaft; die Zähne gleichen blendendweißem Elfenbein; die an der Spitze etwas verdickte Nase, mit leicht beweglichen Flügeln und mit zwei lotrechten Falten unter der Stirn solid befestigt, trägt einen Klemmer, der von einer feinen, gleich einem Seidenfaden schmiegsamen silbernen Schnur gehalten wird. Hinter den Gläsern des Klemmers blitzt ein bewegliches Auge mit grünlicher Iris auf, deren Pupille wie von Kohlenglut erleuchtet aussieht. Dieser Kopf ist mit den Schultern durch einen wirklichen Stiernacken verbunden und der Rumpf auf fleischigen Ober-, nebst tüchtigen Unterschenkeln über etwas großen Füßen aufgebaut.
Calistus Munbar trägt ein weites, katechufarbenes Jacket von Diagonalstoff. Aus der Tasche an der Seite lugt der Zipfel des Taschentuchs hervor. Die stark ausgeschnittene Weste wird von drei goldenen Knöpfen geschlossen gehalten. Von einer Tasche derselben zur anderen hängt bogenförmig eine schwere Kette, die an dem einen Ende einen Chronometer, am anderen einen Pedometer trägt, ohne die Breloques, die in ihrer Mitte klimpern und klirren. Dieser Goldschmuck wird noch vervollständigt durch einen wahren Rosenkranz von Ringen, womit die vollen, rosenroten Finger verziert sind. Das tadellos weiße, steife und glanzgeplättete Hemd lässt drei schöne Diamanten sehen und läuft in einen breit zurückgeschlagenen Kragen aus, unter dem eine nicht recht zu bezeichnende Krawatte, mehr nur ein braunroter Galon, herabhängt. Das Beinkleid aus streifigem Stoffe mit weiten Falten verengt sich nur über den mit Aluminiumagraffen geschlossenen Schuhen.
Die Physiognomie 2dieses Yankees ist im höchsten Maße ausdrucksvoll – die Physiognomie der Leute, die an nichts zweifeln und »die noch ganz andere Dinge gesehen haben«, wie man zu sagen pflegt. Der brave Mann weiß offenbar, was er will, und ist obendrein energisch, was man an der Spannkraft seiner Muskeln und an der sichtbaren Zusammenziehung seines Kaumuskels erkennt. Endlich lacht er gern, und das recht laut, doch mehr durch die Nase als durch den Mund, also in einer Art Kichern, einem hennitus, wie es die Physiologen nennen.
Das ist dieser Calistus Munbar. Beim Eintritt des Quartetts lüftet er den breitkrempigen Hut, dem eine Feder à la Ludwig XIII. nicht übel angestanden hätte. Er drückt den vier Künstlern die Hände und führt sie dann nach einer Tafel, worauf der Teekessel siedet und der landesübliche Braten dampft. Er spricht unausgesetzt und lässt überhaupt keine Frage aufkommen – vielleicht um einer Antwort auszuweichen – indem er die Vorzüge seiner Stadt hervorhebt, die wunderbare Gründung derselben rühmt, ohne Unterlass in seinem Monologe fortfährt und diesen nach Beendigung des Frühstücks mit den Worten schließt:
»Wollen Sie mir nun freundlichst folgen, meine Herren! Doch eine Warnung …«
»Und die wäre?« fragt Frascolin.
»Es ist hier strengstens verboten, auf den Straßen auszuspucken.«
»Das ist unsere Gewohnheit nie gewesen«, protestiert Yvernes.
»Desto besser, so werden Sie vor Geldstrafen gesichert sein.«
»In Amerika … und nicht ausspucken!« murmelt Pinchinat mit einem Tone, in dem sich Überraschung und Unglauben vermischen.
Es wäre schwierig gewesen, sich einen Führer zu verschaffen, der gleichzeitig ein Erklärer wie Calistus Munbar gewesen wäre. Er kennt diese Stadt gründlichst. Hier gibt es kein Hotel, das er nicht zu nennen, kein Haus, von dem er nicht zu sagen wüsste, wer es bewohnte, gibt es keinen Vorüberkommenden, der ihn nicht freundlich begrüßt hätte.
Die ganze Stadt ist sehr regelmäßig angelegt. Alleen und Straßen, letztere auch mit Schutzdach über den Trottoirs, schneiden sich, wie die Linien eines Schachbretts, in rechten Winkeln. Gleichmäßigkeit beherrscht den ganzen geometrischen Plan; doch auch an Abwechslung fehlt es nicht, denn die Häuser folgen, was Stil und äußeres Aussehen wie innere Einrichtung betrifft, keiner anderen Regel, als der Fantasie der Architekten. Mit Ausnahme einiger, mehr dem Handel dienenden Straßen, bilden die Häuser der übrigen mehr eine Art Paläste mit ihren von eleganten Nebengebäuden begrenzten Vorhöfen, dem architektonischen Reichtum ihrer Fassaden, mit der luxuriösen Ausstattung der Wohnräume und den Gärten oder richtiger den Parks, die zu jedem Grundstück gehören. Immerhin fällt es auf, dass die Bäume darin nirgends ihre volle Entwicklung erreicht haben. Dasselbe gilt für die an den Durchschnittsstellen der Hauptverkehrsadern ausgesparten Squares, auf denen man zwar Rasenflächen von entzückender Frische findet, während die Baumgruppen mit ihrem Gemisch von Arten aus der gemäßigten und der heißen Zone dem Erdboden noch nicht genug Nährstoffe abgesaugt zu haben scheinen. Gerade diese Eigentümlichkeit bildet einen scharfen Gegensatz zu dem Teile des westlichen Amerika, wo in der Nachbarschaft der großen kalifornischen Städte geradezu Riesenwälder die Regel sind.
Das Quartett schlenderte so für sich hin, wobei sie das betreffende Stadtviertel jeder nach seiner Neigung in Augenschein nahmen, Yvernes angezogen von dem, was Frascolin weniger interessierte, Sébastien Zorn von dem, was Pinchinat mehr gleichgültig ließ … alle jedoch höchst begierig, das Geheimnis zu durchdringen, das die ihnen unbekannte Stadt umhüllte. Die Verschiedenheit der Anschauungen musste gerade eine Menge recht bezeichnender Beobachtungen ergeben. Übrigens ist ja auch Calistus Munbar bei der Hand, der auf jede Frage eine Antwort weiß. Doch was sagen wir … eine Antwort?… Er wartet gar nicht ab, bis man ihn fragt, er spricht, plaudert, erklärt in einem fort. Seine Wörtermühle dreht sich schon beim leisesten Lufthauch. Eine Viertelstunde nach dem Weggange aus dem Exzelsior-Hotel sagt Calistus Munbar:
Читать дальше