1 ...7 8 9 11 12 13 ...28 Und auf Kommando Sébastien Zorns beginnt das kakophonische Konzert von Neuem. Nach Beendigung desselben mit einem mächten »Dis«-Akkord in vier verschiedenen Tonlagen halten die Musiker ein.
Das kakophonische Konzert
Nein, mit Äpfeln wirft hier keiner aus den zwanzig oder dreißig geöffneten Fenstern, sondern laute Beifallsbezeugungen, kräftige Hurras und scharftönende Hips schallen daraus hervor. Die freschalischen Ohren haben sich jedenfalls noch niemals eines solchen musikalischen Hochgenusses erfreut, und es unterliegt keinem Zweifel, dass jetzt jedes Haus willig ist, so unvergleichliche Virtuosen gastlich aufzunehmen.
Doch während diese sich ihrer musikalischen Verzückung völlig hingaben, ist ein Zuschauer und Zuhörer, ohne dass sie seine Annäherung bemerkten, bis auf wenige Schritte herangetreten. Diese aus einer Art elektrischen Kremsers ausgestiegene Persönlichkeit wartet an einer Ecke des Platzes. Es ist ein hochgewachsener wohlbeleibter Mann, soweit das bei der Dunkelheit zu erkennen war.
Während sich dann unsere Pariser Kinder noch fragen, ob sich nach den Fenstern auch die Türen der Häuser öffnen werden, um sie aufzunehmen – was mindestens noch ungewiss ist –, nähert sich der neue Ankömmling noch weiter und spricht in liebenswürdigstem Tone und im reinsten Französisch:
»Ich bin Kunstliebhaber, meine Herren, und eben jetzt so glücklich gewesen, Ihnen Beifall zollen zu dürfen.«
»Während unseres letzten Musikstücks?« erwidert Pinchinat ironisch.
»Nein, meine Herren, während des ersten; ich habe das Quartett von Onslow selten in so vollendeter Weise spielen hören.«
Der Mann ist offenbar ein Kenner.
»Mein Herr«, antwortet ihm Pinchinat im Namen seiner Gefährten, »wir sind Ihnen für Ihre Anerkennung sehr verbunden. Hat unsere zweite Nummer Ihre Ohren zerrissen, so kommt das daher …«
»Mein Herr«, fällt ihm der Unbekannte ins Wort und schneidet damit einen Satz ab, der jedenfalls sehr lang geworden wäre, »ich habe niemals mit gleicher Vollendung so falsch spielen hören. Ich durchschaue es aber, weshalb Sie zu diesem Auswege griffen: Sie wollten die wackeren Bewohner von Freschal, die schon im tiefsten Schlafe liegen, aufwecken. Nun, meine Herren, gestatten Sie mir, Ihnen das anzubieten, was Sie mit jenem seltsamen Mittel erstrebten …«
»Gastliche Aufnahme?« fragt Frascolin.
»Gewiss, eine ultraschottische Gastfreundschaft. Irre ich mich nicht, so steht vor mir das Konzert-Quartett, das in unserem herrlichen Amerika überall berühmt ist, und gegen das letzteres mit seinem Enthusiasmus nicht gegeizt hat …«
»Verehrter Herr«, glaubt Frascolin hier einflechten zu müssen, »wir fühlen uns aufs höchste geschmeichelt. Doch … die gastliche Aufnahme … wo könnten wir die durch Ihre Güte finden?«
»Zwei Meilen von hier.«
»In einem anderen Dorfe?«
»Nein … Nein, in einer Stadt.«
»Einer bedeutenderen Stadt?…«
»Gewiss.«
»Erlauben Sie, man hat uns gesagt, dass hier und vor San Diego keine Stadt liege …«
»Ein Irrtum … wirklich ein Irrtum, den ich nicht zu erklären vermag.«
»Ein Irrtum?…« wiederholt Frascolin.
»Ja, meine Herren, und wenn Sie mir nur folgen wollen, verspreche ich Ihnen einen Empfang, wie er sich für solch hervorragende Künstler gebührt.«
»Ich denke, das erschiene annehmbar«, ließ sich Yvernes vernehmen.
»Ganz meine Ansicht«, bestätigt Pinchinat.
»Halt, halt … noch einen Augenblick«, ruft Pinchinat; »niemals schneller als der Leiter des Orchesters.«
»Das bedeutet?«… fragt der Amerikaner.
»Dass wir in San Diego erwartet werden«, antwortet Frascolin.
»In San Diego«, fügt der Violoncellist hinzu, »wo die Stadt uns zu einer Reihe von musikalischen Matinées engagiert hat, deren erste bereits übermorgen Sonntag stattfinden soll.«
»Ah so!« versetzt der Fremde mit dem Ausdruck der Enttäuschung.
Gleich darauf ergreift er jedoch wieder das Wort:
»Nun, das tut nichts, meine Herren«, setzt er hinzu. »Binnen eines Tages werden Sie Zeit genug haben, eine Stadt zu sehen, die des Besuches wert ist, und ich verpflichte mich, Sie bis zur nächsten Station zurückzubefördern, sodass Sie am Sonntag in San Diego sein können.«
In der Tat, das Anerbieten ist ebenso verführerisch, wie unter den gegebenen Umständen willkommen. Das Quartett kann sicher sein, in einem guten Hotel ein treffliches Zimmer zu finden, ohne von den weiteren Vorteilen zu reden, die sie von und durch diesen zuvorkommenden Herrn erwarten dürfen.
»Nehmen Sie meinen Vorschlag an, meine Herren?«
»Mit Vergnügen«, versichert jetzt Sébastien Zorn, den der Hunger und die Ermüdung bestimmen, eine derartige Einladung nicht abzuweisen.
»Also abgemacht!« erwidert der Amerikaner. »Wir brechen sofort auf, sind binnen zwanzig Minuten am Ziele, und ich weiß, dass Sie mir dafür Dank wissen werden.«
Selbstverständlich hatten sich nach den Hurras, die der exekutierten Katzenmusik folgten, die Fenster der Häuser sogleich wieder geschlossen. Die Lichter erloschen und Freschal verfiel aufs neue in tiefen Schlaf.
Von dem Amerikaner geführt, begeben sich die Musiker nach dem Kremser, bringen darauf ihre Instrumente unter und nehmen im hinteren Teile des Gefährtes Platz, während sich ihr freundliche Führer ganz vornhin neben den Mechaniker setzt. Dann wird ein Hebel umgelegt, die elektrischen Akkumulatoren treten in Wirkung, der Wagen rückt von der Stelle und kommt sehr bald in rasche Bewegung nach Westen hinaus.
Nach einer Viertelstunde leuchtet ein ausgebreiteter weißlicher Schein auf, ein die Augen blendendes Durcheinander von leuchtenden Strahlen. Da liegt also eine Stadt, von deren Vorhandensein unsere Pariser gar keine Ahnung hatten.
Der Kremser hält an und Frascolin sagt:
»Aha, da wären wir ja an der Küste.«
»An der Küste … nein«, entgegnet der Amerikaner. »Das ist ein Strom, den wir zu überschreiten haben.«
»Doch auf welche Weise?« fragt Pinchinat.
»Mittels der Fähre hier, die gleich unseren Wagen aufnimmt.«
In der Tat liegt vor ihnen eines der in den Vereinigten Staaten so häufigen Ferry-boats, auf das der Wagen samt Insassen hinüberrollt. Ohne Zweifel wird dieses Ferry-boat durch Elektrizität angetrieben, denn es stößt keinen Dampf aus, und schon zwei Minuten später legt es nach Überschreitung des Wassers an der Kaimauer eines Bassins im Hintergrunde eines Hafens an.
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