1 ...8 9 10 12 13 14 ...28 Der Kremser rollt nun durch über Land führende Alleen weiter und dringt in eine Parkanlage ein, über die hoch oben angebrachte elektrische Lampen helles Licht ausgießen.
Am Gitter dieses Parks öffnet sich ein Tor, der Zugang zu einer breiten und langen, mit tönenden Platten belegten Straße. Fünf Minuten später steigen unsere Künstler am Vorbau eines eleganten Hotels aus, wo sie auf ein Wort des Amerikaners hin mit vielversprechender Zuvorkommenheit empfangen werden. Man geleitet sie sofort nach einer luxuriös ausgestatteten Tafel, und sie nehmen – wie sich wohl voraussetzen lässt, mit bestem Appetit – ein reichliches Abendessen ein.
Nach Beendigung desselben führt sie der Oberkellner nach einem sehr geräumigen Zimmer mit mehreren Glühlampen, die durch niederzulassende Schirme in mild leuchtende Nachtlampen verwandelt werden können. Die Erklärung aller dieser Wunder von dem kommenden Morgen erwartend, schlummern sie endlich in den die vier Zimmerecken einnehmenden bequemen Betten ein und schnarchen mit der außergewöhnlichen Übereinstimmung, der das Konzert-Quartett seinen künstlerischen Ruhm verdankt.
1 Figur in der griechischen Mythologie, der schöne und ewig jugendliche Liebhaber der Mondgöttin Selene <<<
2 Gestalt aus Schillers „Räubern“ <<<
3 Sohlengänger, Landwirbeltiere, die bei der Fortbewegung die gesamte Fußsohle aufsetzen, Bsp: Bären oder Menschenaffen <<<
4 Das Motto des Dartmouth College ist „Vox Clamantis in Deserto" („Eine Stimme ruft in der Wüste") Sinngemäß: Ein (einsamer) Rufer in der Wüste. <<<
Drittes Kapitel – Ein redseliger Cicerone
Am frühen Morgen, gegen sieben Uhr, erschallen nach täuschender Nachahmung des Tones einer Trompete – gleich dem ersten Signal bei der Reveille eines Regiments – im gemeinschaftlichen Zimmer folgende Worte oder richtiger Rufe:
»Allons! … Hopp! … Auf die Füße … und in zwei Tempos!« … womit Pinchinat den jungen Tag einleitet.
Yvernes, das bequemste Mitglied des Quartetts, hätte gewiss drei, oder noch lieber vier, Tempos vorgezogen, um sich aus den molligen Hüllen des Bettes zu schälen. Doch auch er muss dem Beispiele seiner Kameraden folgen und die horizontale Lage gegen die vertikale Haltung vertauschen.
»Wir haben keine einzige Minute zu verlieren!« bemerkt Seine Hoheit.
»Freilich«, schließt Sébastien Zorn sich ihm an, »denn morgen müssen wir unbedingt in San Diego sein.«
»Schon recht«, erwidert Yvernes, »ein halber Tag wird ja ausreichen, die Stadt unseres liebenswürdigen Amerikaners zu besuchen.«
»Was mich verwundert«, lässt sich Frascolin vernehmen, »ist, dass überhaupt eine so bedeutende Stadt in der Nähe von Freschal liegt! … Wie mochte es nur kommen, dass unser Kutscher davon kein Sterbenswörtchen gesagt hat?«
»Die Hauptsache bleibt doch, dass wir hier sind, alter G-Schlüssel«, bemerkt Pinchinat.
Durch zwei große Fenster dringt reichliches Licht ins Zimmer, das auf etwa eine Meile Länge Aussicht nach einer schönen, mit doppelter Baumreihe geschmückten Straße bietet.
Die vier Freunde beginnen nun in einem behaglichen Nebenraume ihre Toilette, übrigens eine kurze und leichte Arbeit, denn alles ist hier nach den neuesten Verbesserungen eingerichtet: Drehhähne für warmes und kaltes Wasser zur beliebigen Mischung, Waschgeschirre, die sich durch Achsendrehung selbsttätig entleeren, Fuß- und Handwärmer, Zerstäuber mit wohlriechenden Flüssigkeiten, die nach Belieben in Funktion treten, durch den elektrischen Strom bewegte Ventilatoren, mechanisch bewegte Bürsten, sodass man an die einen nur den Kopf, an die anderen die Kleidung oder die Stiefel zu halten braucht, um erstere gereinigt, letztere blankgewischt zu bekommen.
Des weiteren, ohne die elektrische Uhr und die elektrischen Ölfläschchen, die sich durch einen Fingerdruck nach Bedarf ergießen, zu rechnen, setzen Klingeltasten oder Telefone die verschiedenen Teile der ganzen Anlage mit dem Zimmer in sofortige Verbindung.
Und Sébastien Zorn nebst seinen Kameraden kann von hier aus nicht allein mit dem Hotel sprechen, sondern auch mit den verschiedenen Teilen der Stadt, ja vielleicht gar – das ist wenigstens Pinchinats Ansicht – mit jeder beliebigen Stadt der Vereinigten Staaten.
»Wenn nicht der beiden Welten«, setzt Yvernes hinzu.
In der Erwartung, sich hiervon noch später zu überzeugen, lässt sich zwei Minuten nach drei Viertel acht Uhr in englischer Sprache folgende telefonische Mitteilung vernehmen:
»Calistus Munbar entbietet seinen Guten Morgen allen verehrlichen Mitgliedern des Konzert-Quartetts und ersucht sie, sobald sie dazu fertig sind, herunter zu kommen, um im Dining-room des Exzelsior-Hotels das erste Frühstück einzunehmen.«
»Exzelsior-Hotel!« rief Yvernes. »Der Name dieser Karawanserei 1klingt vielversprechend!«
»Calistus Munbar, das ist unser so ungemein zuvorkommender Amerikaner«, bemerkt Pinchinat, »und der Name ist großartig!«
»Liebe Freunde«, ruft der Violoncellist, dessen Magen ebenso selbstwillig ist wie sein Eigentümer, »da der Morgenimbiss aufgetragen ist, wollen wir frühstücken, und nachher …«
»Nachher … spazieren wir durch die Stadt«, fällt Frascolin ein. »Doch welche Stdt in aller Welt kann das sein?«
Nachdem unsere Pariser ihre Morgentoilette so ziemlich vollendet haben, antwortet Pinchinat telefonisch, dass sie sich binnen fünf Minuten die Ehre geben werden, Herrn Calistus Munbars Einladung nachzukommen.
Bald darauf begeben sie sich nach dem Personenaufzug, der sich sofort in Bewegung setzt und sie in die monumentale Vorhalle des Hotels hinunterbefördert. An der Rückseite des Flurs liegt die Tür nach dem Diningroom, einem großen, in reichem Goldschmuck erglänzenden Saale.
»Ganz zu Ihren Diensten, meine Herren, ganz zu Ihrem Befehl!«
Der Herr vom vorigen Abend ist es, der diesen Satz von zehn Wörtern ausspricht. Er gehört dem Typus von Persönlichkeiten an, von denen man sagen kann, dass sie sich gleich selbst vorstellen. Erscheint es nicht, als ob man mit ihnen schon lange oder richtiger, schon »von jeher« bekannt wäre?
»Ganz zu Ihren Diensten, meine Herren!«
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