Claus Bork - Land hinter den Nebeln

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Das Abenteuer geht weiter: Der Junge Jesper und sein Rabenfreund, der Schwarze Sigurd, auf neuen Abenteuern im Land der Fantasie.Der 11-jährige Jesper kommt vom Wochenende nach Hause und erfährt, dass sein Hund Cherri in der Tierklinik liegt, tödlich durch Mäusegift vergiftet, das sein Vater ausgelegt hat. Jesper verlässt verzweifelt sein Zuhause und sucht die Klinik auf, die jedoch bereits geschlossen ist. Mitten im Unglück taucht der Rabe Schwarzer Sigurd aus Abenteuerland auf und zusammen begeben sie sich auf eine sehr gefährliche Reise. Sie wollen eine verzauberte, lebensgebende Rose holen, die jenseits der Grenzen liegt, die für Erwachsene verständlich sind, in Hanwayan, dem Land hinter den Nebeln. Sie stehlen an dem kleinen See Løgsø ein Ruderboot. Schwarzer Sigurd sagt nämlich, dass man von jedem See aus nach Hanwayan reisen kann, vorausgesetzt es ist neblig und man kann nirgends das Ufer sehen. Also wählen sie eine neblige Nacht und reisen von Løgsø nach Hanwayan, um von dort die magische Rose zu holen, die Cherri retten kann…-

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Es war nichts weiter, als ein kleines, flaches Ruderboot. Obendrein ein altes Ruderboot. Die Bretter, die zusammengesammelt waren, waren nicht ganz dicht, sodaß eiskaltes Wasser auf dem ganzen Boden plätscherte, und an den Seiten war es fettig und schleimig. Selbst die Farbe klammerte sich fest, um nicht abzufallen.

"Sieh den Nebel, Fister." Der Schwarze Sigurd zeigte mit dem Flügel.

Jesper sah sich neugierig um. Sie glitten dahin, wie von einer unsichtbaren Kraft getrieben, weg vom Ufer und hinaus, mitten auf den Lögsee, wie der See eigentlich hieß.

"Warte ein wenig, dann wirst du es schon sehen," flüsterte der Schwarze Sigurd. Er lehnte sich hintenüber und schaute hinauf in den schwarzen Nachthimmel. Und da, wie eine gewaltige, weiße Kugel, kam der Mond zum Vorschein, zwischen den Sternen am Himmel, durch den Nebel, in dem gerade eine Lücke war.

"Kannst du irgendwo Land sehen?" flüsterte Sigurd.

Jesper drehte sich langsam und schaute aufmerksam über das Wasser. Aber ganz gleich, in welche Richtung er sah, war da nichts anderes als der feuchte, kalte, undurchdringliche Nebel. Zuletzt schüttelte er den Kopf und antwortete, daß er es nicht könne.

"Oooh," seufzte Sigurd tief. Er starrte wie gelähmt hinauf zum Vollmond und hielt den Atem an. Jesper machte es wie Sigurd, schaute zum Mond und hielt die Luft an.

Und obwohl er von zwei Eltern aufgezogen worden war, die nicht an Abenteuer, Trolle und Nisser glaubten, und immer sagten, daß es für alles im Leben eine natürliche Erklärung gäbe, so wußte Jesper Aksel Bergmann auf einmal, daß hier etwas geschah, was alles andere als natürlich für sie gewesen wäre. Er wußte auch nicht gerade, was es war, aber er fühlte ein starkes Beben in seinem vor Kälte zitternden Körper, und das Wasser erstarrte einen Augenblick und wurde zu Eis, bevor es wieder schmolz und alles wie vorher aussah.

"Oooh," seufzte der Schwarze Sigurd vor Erstaunen.

"Was geschieht dort, Sigurd?"

Sigurd hüpfte vor ihn hin und sagte, daß er sich zurücklehnen solle und sich ausruhen. Jesper tat wie er sagte und stützte den Rücken gegen die Reling, sodaß das Boot ziemlich schräg im Wasser lag. Die ganze Zeit trieben sie hinaus auf die Mitte des Sees und Jesper Aksel Bergmann, der ja ein vernünftiger Junge war, rechnete aus, daß sie nun bald das gegenüberliegende Ufer erreichen müßten.

Der Rabe beugte sich über ihn, starrte ihn eindringlich an, mit seinen strahlend schwarzen Augen und flüsterte: "Wir reisen,"

"Wie reisen wir?" fragte Jesper. "Ich habe kein Geld."

"Geld ist etwas für Phantasielose," belehrte Sigurd. "Sieh mich an, Fister."

Jesper sah in die funkelnden, klaren Vogelaugen. Und da, im Licht des Mondes, schien ihm plötzlich, daß er etwas sah, in den zwei schwarzen Kugeln, die ihn so intensiv anstarrten. Er sah ein ganzes Universum vor sich ausgestreckt, ein ganzes Himmelsgewölbe mit Sternennebeln und der Sonne, mit Wolken und Monden und hinter all diesem...

Er reiste durch den Nebel, der schwer über dem Lögsee ruhte, mit dem Schwarzen Sigurd auf seiner Brust sitzend, enorme Strecken zurücklegend, in der Zeit, die es braucht, sich an der Nase zu kratzen, und dann, plötzlich...

"Wach auf!" sagte Sigurd mit heiserer Stimme.

Jesper schlug die Augen auf und spekulierte, ob er geschlafen hatte. Er lag immer noch auf der Ruderbank mitten im Boot, das gefährlich zur einen Seite krängte, an der das Wasser vorbeigluckste, nur wenige Zentimeter unter der Reling.

"Was ist passiert?" fragte er erstaunt.

"Wir reisten durch den Nebel," sagte der Schwarze Sigurd. "Zum 'Land hinter den Nebeln‘ - Hanwayan."

Jesper schaute hinaus über die Reling, aber er konnte nichts anderes als Nebel sehen, auf der ganzen Strecke.

"Ich kann kein Land sehen, Sigurd."

Sigurd erhob sich auf seine dünnen Beine und schaute verwundert über das Wasser. Er starrte in den Nebel und gestand sich selber ein, daß er auch kein Stückchen sehen konnte.

"Bist du sicher, Sigurd?"

"Vollkommen sicher!" antwortet Sigurd und nickte energisch.

"Hmmm..." murmelte Jesper Aksel Bergmann zweifelnd.

"Aber da ist noch eine Sache," flüsterte Sigurd. "Nun erinnere ich mich plötzlich." Er räusperte sich, während er nachdachte. "Das war doch das ,wovor Archimedes gewarnt hatte."

"Archimedes - Merlins kluge Eule?"

Sigurd nickte wieder. "Es ist ein gefährliches Land, Fister. Ein gefährliches Land."

"Warum mußten wir dann hierher?" flüsterte Jesper.

"Weil wir eine Rose für Cherri holen müssen." Sigurd sah ihn an, als ob das so einleuchtend wäre, daß selbst er es die ganze Zeit hätte wissen müssen.

"Drinnen, mitten in Hanwayan ist eine Stelle, wo die allerwundervollsten Rosen wachsen," setzte Sigurd fort. "Rosen mit magischen Kräften..."

Jesper lauschte schweigend.

"Der, der eine Rose aus dem Rosengarten holen kann, kann alles!" Sigurd sprach hinaus über das Wasser zu Jesper, der auf dem Boden des Bootes lag.

"Glaubst du, wir können es?" fragte Jesper.

"Ja!" sagte Sigurd bestimmt. "Vergiß nicht, du hast mich, Fister!"

"Hmmm..." seufzte Jesper Aksel Bergmann und dachte, daß es jetzt zu spät war, sich aus dieser Sache zurückzuziehen. Seine Gedanken streiften Cherri und auf einmal wußte er, daß er es versuchen mußte.

"Jetzt kommt es," flüsterte Sigurd und hüpfte hinunter in den Schutz der Reling.

"Was kommt, Sigurd?"

"Hanwayan..."

Das Land hinter den Nebeln

Sie lagen seitwärts nebeneinander, mit den Augen nur wenig über der Kante und starrten durch den Nebel.

Das Wasser gluckste unter dem kleinen, schmächtigen Boot, während es mit dem Strom schwamm, hinein in das Schilf, dahin wo, wie Jesper meinte, die andere Seite des Lögsees war.

Aber sie war es nicht.

Er kniff die Augen zusammen und fühlte außen an der Tasche, ob das Messer immer noch da war. Plötzlich war er froh, daß er es mitgenommen hatte, obwohl es nur ein kleines, blödes Messer war.

Das Boot arbeitete sich in das Schilf hinein, zwang es zur Seite und schwamm mit dem Strom weiter zum Ufer. Es duftete nach Wald, Tieren und Farnkraut über das dunkle Wasser. Dann gab ein schnarrendes Geräusch zu erkennen, daß das Boot nun auf dem Grund schabte, und sie nun nicht länger treiben konnten.

"Vorsichtig," warnte Sigurd. "Tausend Gefahren lauern auf den, der kommt, um eine Rose aus dem Rosengarten zu holen."

Jesper ließ sich über die Reling gleiten und bekam eine nasse Socke, bevor er es schaffte, sich an Land zu retten. Sigurd flog dorthin, so wurde er damit fertig.

"Du machst Lärm," flüsterte Sigurd.

Jesper krabbelte an Land und schaute ärgerlich auf seinen einen völlig nassen Schuh.

"Wir müssen uns verstecken," sagte Sigurd. "Hier ist es gefährlich für uns."

"Hier sieht es doch sehr friedlich aus," flüsterte Jesper und ärgerte sich über seine zittrige Stimme.

Der Mond warf ein bleiches Licht über den Waldrand von seinem erhöhten Platz am Nachthimmel. Sie schlichen über das Ufer zwischen die Bäume, als Jesper plötzlich bemerkte, was für Bäume es eigentlich waren, zwischen denen sie versuchten, sich zu verstecken. Er blieb auf einmal stehen und starrte hinauf in die gewaltigen, schwarzen Kronen der Bäume, mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen.

Sie waren riesig, diese Bäume. Größer als alle, die er jemals gesehen hatte. Die Stämme waren dick und knorrig mit einer furchigen, gespaltenen Rinde. Innen am Stamm waren die Äste so dick wie Jesper hoch war.

"Sieh, Sigurd, sieh die Bäume."

"Bäume sind Bäume," flüsterte Sigurd, flog in die Dunkelheit zwischen den Stämmen und verschwand. Jesper lief das letzte Stück zu dem nächsten Stamm und streckte eine Hand aus. Er ließ die Finger über die felsartige, spaltendurchfurchte Rinde gleiten. Sie war ein bißchen feucht vom Nebel und kalt wie die Nacht. Als er die Rinde berührte, entfuhr dem Baum ein langgezogenes Seufzen. Jesper zog erschreckt die Hand zurück, ging vorsichtig außen um den Baum herum und verschwand in der Dunkelheit wie Sigurd.

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