Claus Bork
Saga
DEERÜbersetzt von Susanne Richter Originaltitel DEER Copyright © 2015, 2019 Claus Bork and und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711800089
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Es gibt ein Zusammenspiel, das sich nicht unmittelbar zeigt, das sich auch nicht messen oder wiegen oder schätzen läßt, so wie die Menschen zu messen, wiegen oder schätzen lieben. Daß man etwas mit bloßem Auge nicht sehen kann, bedeutet nicht, daß es nicht existiert. Denn die Quelle der geistigen Stärke, kann nur mit dem, was man in seinem Inneren fühlt, empfunden werden.
Daß alles auf der Welt nach den Regeln der physischen Existenz gemessen wird, bedeutet nicht, daß es nie anders gewesen ist.
Aber es zeigt, daß etwas unterwegs verlorengegangen ist. Das Paradoxe ist, daß nur beim Wiederfinden des Verständnisses für -, oder der Anerkennung von - der Balance zwischen dem, was man die äußere - und die innere Welt nennen könnte - es vermieden werden kann, daß jene unsere äußere Welt sich selbst vernichtet.
"Wenn die Erde krank ist,
werden die Tiere anfangen zu verschwinden.
Dann werden die Regenbogenkrieger ausziehen,
um sie zu retten."
"Es ist Zeit," flüsterte eine Stimme.
Es war still. So still, als wenn nur der Wind in den Baumkronen, das Donnern der schwerfälligen Fluten am Strand, der Sand, der über die Wüsten fegte, die Gletscher, die über die Felsen scharrten - und die Vulkane, die tief unter der schlackigen Kruste der Krater brodelten, existierten.
"Es ist Zeit..." Eine leichte Änderung im Tonfall ließ erkennen, daß es eine zweite Stimme war, die sprach. Sie kam von einer Stelle, ein Stückchen weiter weg, zwischen den dahintreibenden Wolken. Es war ein Flüstern, aber es war doch so mächtig und intensiv, wie das gewaltigste Donnern, denn nichts konnte es aufhalten oder daran hindern, gehört zu werden. Es breitete sich von der Erde zu den Wolken aus, wurde mit dem Wind zur Sonne, in die Berge und die Ebenen und zu den Meeren tief unten getragen.
Es war eine andere Welt - denn sie war beides zugleich - lebendig und tot. Es gab das Leben, das man in den Wellenbewegungen des Meeres gegen die Kontinente finden konnte, und im Flug der Wolken unter dem blauen Himmel - über der grünen Erde.
Und auch das war das Leben, dessen Gesang das Rascheln der Blätter im Wind war, das Wispern des Strandhafers über den Dünen und das gedämpfte Beben des ungehemmten Wachstums des Urwalds.
Das mächtige Flüstern breitete sich mit dem Wind über der Welt aus, wo es die gewaltigen Kräfte zum Leben erweckte.
Der Geist der Wolken stieg aus seiner überirdischen Welt herab. Der Geist der Luft schloß sich ihm an. Aber es war er, der Geist der Wolken, der das erstemal gesprochen hatte. Der Versammlungsplatz glich keinem Ort in ihrer Welt. Ein Felsplateau, das sich wie eine Landzunge ins Meer schob, auf drei Seiten vom Meer umspült, war der Platz, auf dem die ersten warteten. Sie nahmen ihre Geistergestalt an und warteten ab, bis sich die übrigen ihnen anschließen würden. Das Getöse der Wellen, die sich an den Felsen brachen, vermochte sie nicht abzulenken. Sie wußten, daß diese Versammlung von entscheidender Bedeutung war. Jeder hatte sich für sich selbst abwartend verhalten, aber sie hatten nie daran gezweifelt, daß es passieren würde - denn es mußte geschehen.
Nun hatten sie sich dergestalt gekleidet, wie es notwendig war, damit Menschen sie begreifen, über sie schreiben und versuchen konnten, sie zu verstehen. Es war alles eine Gemeinschaft für sie, und doch gab es Unterschiede. Für sie selbst hatte es keine Bedeutung, auf welche Weise diese auftraten.
Der Geist der Berge hatte sich ein wenig abseits von den anderen gestellt. Vom Felsrand schaute er hinab auf die Schaumkronen der Wellen am Fuß des Felsens. Seine Bewegungen waren langsamer und schwerfälliger, als die der meisten anderen, obgleich er nicht zu den Ältesten der Versammlung gehörte.
Die Geistfrau des Dschungels wartete ungeduldig auf das, was geschehen würde. Sie hatte in sich solch einen hektischen und eifrigen Willen und so eine Energie zu leben und zu wachsen, daß es ihr schwerfiel, sich ruhig zu verhalten.
Der Geist der Wüsten stand in ihrer Nähe. Er fühlte sich gleichzeitig angezogen und abgestoßen von ihrer Lebenslust, aber er hatte wie sie die Notwendigkeit eingesehen, daß man im Umgang miteinander Respekt vor der Existens des Anderen hatte. Sie hatten eine Art Balance gefunden, obwohl es am Anfang niemandem sehr leicht gefallen war. Im Gegensatz zu ihr, betrachtete er seine Umgebung mit einer stoischen Ruhe und Selbstbeherrschung, was in starkem Kontrast zu dem stand, was die Geistfrau des Dschungels ausstrahlte.
" Sie schaffte es nicht ..." flüsterte die Stimme. Die Stimme des Alten. Die Worte waren nur ein Gedanke im Wind, ein Gedanke, der fähig machte zu begreifen.
" Sie ist immer noch nicht bei uns."
Sie sahen einander an; ließen ihre Blicke im Kreis herumwandern, als würden sie miteinander sprechen. Aber in Wirklichkeit war es überflüssig, weil es ihnen völlig klar war, worüber er berichtete.
" Ich verstehe das nicht." sagte der Geist des Windes. " Vielleicht wollte sie die Welt nicht verlassen, wo er ..."
Es herrschte ein bedrücktes Schweigen. " Er..." hatte eine unsichtbare Wirkung, und der Geist des Windes schwieg.
" Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir Kontakt mit ihnen, oder besser: sie hatte Kontakt mit ihnen. Und vielleicht glaubten wir, das würde eine Veränderung bedeuten. " Der Geist der Wolken erhob die Hände. " Das, was falsch war, könnte gewesen sein, daß der, an den wir uns gewendet haben, der Verkehrte war."
" Wie war er verkehrt?" fragte der Geist der Flüße.
" Sie war beseelt von dem Gedanken in Harmonie mit den innersten Idealen und in Harmonie mit den Geistern der Welt zu leben. Aber sie war nicht die Stärkste. Darum zeigte es sich, das unser Einsatz keinen Wert hatte."
" Sie nannten sie Manitou , lachte der Geist der Wüsten heiser.
" Es hat keine Bedeutung, wie sie sie nannten", bemerkte der Geist der Meere. Er war der Größte von allen. Der Geist der Wüsten sah weg und ignorierte ihn.
" Aus dem einen oder anderen Grund, der mir nicht bekannt ist, reiste sie nicht mit uns anderen zusammen," sagte der Geist der Wolken erklärend. " Es kann viele Ursachen dafür geben." Sie nickten, um ihn nicht zu unterbrechen. " Ich glaube," setzte der Geist der Wolken fort, " daß man den Grund ihres Verschwindens darin suchen muß, was wir alle mehr oder weniger in unserer eigenen Erinnerung haben, und wie wir es gemacht haben, als wir wählten, wie wir es tun sollten. Darum müssen wir ihr helfen, denn sie schafft es nicht länger allein. Sie hat sich in ihrer eigenen Welt versteckt - mitten in unserer Gemeinschaft. Ein Platz, wo nicht einmal er sie finden kann." Als er wieder das Wort "er" sagte, starrten sie vor sich hin und standen unruhig da, abwartend, wie seine Rede enden würde.
" Sie lebte in Furcht vor ihm und aus Furcht vor ihm, beschloß sie, sich ein Versteck zu suchen - anstatt Trost und Unterstützung in unserem Kreis, der Gemeinschaft der Geister, zu suchen."
" Sie hat es so gewollt, kann man sagen," murmelte der Geist der Wüsten.
Man könnte vielleicht sagen, daß sie verschieden waren, die Geister der Welt - genau, wie die Menschen verschieden sind. Aber trotz ihrer Unterschiedlichkeit waren sie sich einig über den Ursprung und das Vorhandensein der seelischen Kraft, die alles in der Welt bewegte - und bewegen mußte.
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