„Und Sie ihn auch, kleine Astrid?“ fragte der Fürst mit einem leichten Ton. Aber der Ausdruck, mit dem er auf Astrid blickte, war forschend.
Astrid sah versonnen vor sich hin.
„Ich weiss es eigentlich nicht, Onkel Rodenhausen — aber — vielleicht doch.“
Sie hatte den Mund noch ein wenig offen, als wollte sie noch etwas hinzufügen. Aber plötzlich lief ein ganz helles Rot über Stirn und Wangen. Und sie schloss die Lippen so unvermittelt, als wäre beinahe aus ihr etwas herausgedrungen, was sie erschreckt hätte, und was sie nicht sagen wollte.
Rodenhausen schwieg. Da war offenbar irgend etwas, was besser unberührt blieb. Ueberdies war man inzwischen am Bahnhof angekommen. Die Halle war erfüllt von Menschen und Lärm. Dort, an der Schranke, stand auch schon der Hoteldiener mit abgezogener Mütze neben Rodenhausens neuen Koffern, die er für sich und Astrid an Stelle der verlorengegangenen angeschafft.
Mit kindlicher Freude musterte Astrid das Schlafwagenabteil erster Klasse, in das Rodenhausen sie führte.
„So bin ich noch nie gefahren, Onkel Rodenhausen“, meinte sie.
„Nun also, kleine Astrid, dann machen Sie es sich bequem. Schlafen Sie gut und träumen Sie etwas recht, recht Schönes. Morgen früh find wir in Berlin und nachmittags dann zu Hause.“
Rodenhausen schüttelte Astrid herzlich die Hand und wartete, bis sie die Tür des Schfwagenabteils hinder sich geschlossen. Er selbst vermochte noch nicht zu schlafen. Vergangenheit und Zukunft begegneten sich in seinen Gedanken. Er ging in den Speisewagen und sass noch lange bei einem Glase Wein. Der Gedanke, wie ales sich zu Hause gestalten würde, wie sein Schützling aufgenommen werden, und wie er sich in das Leben Rodenhausens hineinfügen würde, erfüllte ihn mit einer gewissen Bangnis. Er dachte an Dorothee, der er nun nach so vielen Jahren der Trennung gleich wieder ein fremdes Element ins Haus brachte. Würde sie gütig genug sein, um seinen Wunsch zu erfüllen? Er hatte in all den Jahren viel an Entsagung von ihr verlangt. Sie hatte es immer geleistet.
Freilich, nie durfte sie erfahren, dass er ihr in Astrid die Tochter jener Frau ins Haus brachte, der seine erste leidenschaftliche Mannesliebe gehört hatte. Karen — er sah sie wieder vor sich in ihrer zarten, beseelten Fraulichkeit. Wie hatte er sie geliebt! Er hatte geglaubt, es nicht ertragen zu können, dass sie an einen anderen gebunden gewesen, als er sie fand. Er hatte es ertragen müssen, aber die Liebe zu Karen hatte immer zwischen ihm und Dorothee gestanden. Die Liebe zu Karen war stärker gewesen als sein Wille, zu Dorothee zu finden.
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Die Reise und der ganze Aufenthalt in Berlin waren an Astrid wie im Fluge vorbeigegangen. An die Einsamkeit der russischen Heimat gewöhnt, war Berlin wie ein verwirrender Fiebertraum, der sich über sie geworfen. Und sie war glücklich, als sie mit Rodenhausen im Zuge nach Thüringen sass. Astrid konnte sich nicht satt sehen an der Landschaft, die sich vor ihren Blicken veränderte. Die Ebene, in der sich die Grossstädte mit ihren Schloten und Fabriken gedehnt, war in bewegteres Hügelland übergegangen. Diese Landschaft in ihrer Lieblichkeit, hügelig, langsam zu Bergen ansteigend, von Bächen und Flüssen durchzogen, war ihr vertraut.
„Wie schön ist Ihre Heimat, Onkel Rodenhausen“, sagte sie ein über das andere Mal. „Hier ist alles so licht und heiter. Ich glaube, hier müssen auch die Menschen froh sein.“
„Ja, schön ist es hier.“ Rodenhausen sah mit Freude Astrids Entzücken.
„Mir ist, als ob auch ich heute die Lieblichkeit des Landes doppelt genösse. Das macht, weil ich es durch Ihre Augen mitsehe, kleine Astrid. Man wird wieder jung neben einem so jungen Menschenkind.“
Astrid lächelte, und dies schelmische Lächeln veränderte das ernste Gesichtchen in rührender Weise:
„Aber Sie sind doch noch jung, Onkel Rodenhausen. Sie sind so jung wie — wie — manchmal kommen Sie mir so jung vor wie Redderson.
„O, das ist ja ein grosses Kompliment.“
Rodenhausen machte eine kleine, lächelnde Verbeugung.
Aber Astrid fuhr schon harmlos fort, ohne zu wissen, wie sie sich selbst mit diesen Worten verraten hatte:
„Und es ist ja kein Wunder, dass Sie jung sind, denn Sie haben ja Viky, von der Sie mir so sehr viel erzählt haben. Aber von Ihrer Frau haben Sie mir noch so wenig erzählt, Onkel Rodenhausen, und sie ist doch neben Ihnen die Hauptperson im Hause. Wie ist sie eigentlich? Wird sie mich gern haben können?“
Astrids klare, graue Augen sahen vertrauensvoll und erwartend auf Rodenhausen. Der fühlte eine leichte Beschämung.
Wie fein und richtig fülte dieses junge Ding! Wenn sie sagte, dass die Frau die Hauptperson im Hause sein sollte neben dem Mann, zeigte sie ihm unbemusst, auf welchen Platz er Dorothee hätte stellen müssen. Im Hause hatte er das wohl getan. Aber in seinem Herzen hatte er ihr niemals den Platz gegeben, der ihr gebührte. Heute, nach vielen Jahren, schien es ihm, als wäre es doch falsch gewesen, hierhin und dorthin zu streben, solange das seelische Fundament der Ehegemeinschaft nicht unverrückbar begründet war. Wie sollte er Dorothee diesem kleinen Mädchen schildern? Vielleicht würde sie mit ihrer Hellhörigkeit und dem vollkommen Unverbogenen ihres Charakters das heraushören, was er sich selbst bis jetzt nicht voll eingestanden hatte.
„Nun“, sagte er in das Schweigen hinein, „Sie werden ja selbst sehen, kleine Astrid. Sie haben ein so unmittelbares Empfinden, dass ich Ihnen gar nichts sagen möchte. Sie sollen selbst sehen, selbst fühlen. Dann werden Sie auch wissen, dass zwischen Ihnen und meiner Frau der Kontakt sich leicht finden wird.“
Astrid schwieg. Dann sagte sie sehr leise und wie demütig:
„Das ist ein grosses Vertrauen, Onkel Rodenhausen, das Sie in mich setzen. Wenn ich es nur erfüllen kann.“
Rodenhausen wollte etwas erwidern, als er sich plötzlich angerufen fühlte. Eine Dame stand hinter ihm.
„Ah, Fürst, welch freudige Ueberraschung. Bin ich die erste, die das Glück hat, Ihnen in der Heimat zu begegnen?“
Ein rascher Blick züngelte zu Astrid hin.
„Ah, wie ich sehe, sind Sie in Gesellschaft, Fürst. Da störe ich wohl?“
Aber es war etwas in dem Ton, was den Fürsten peinlich berührte. Das war immer noch die alte Melitta von Stenglin. Eigentlich hätte er sagen wollen, dass sie wirklich störte. Denn es passte ihm durchaus nicht, dass sich für Astrid die Heimat zuerst in der Person Melittas präsentierte. Er sah sehr wohl, dass Astrid wie ein Pferdchen, das scheut, bei Melittas Ton etwas zurückzuckte. Aber es half nichts. Und so sagte er denn mit weltmännischer höflichkeit:
„Durchaus nicht, Baronin. Wie geht es Ihnen?“
Er küsste ihr die Hand. „Darf ich Ihnen meinen kleinen Schützling vorstellen, Fräulein Sjörberg, Frau Baronin von Stenglin.“
Astrid legte zögernd ihre schmale Hand in die ringblitzende, rosige, betont gepflegte der rassigen, überlegenen Frau, deren Sicherheit sie einschüchterte. Auf dem ein wenig zu stark gepuderten Gesicht mit den lebensgierigen, irrlichternden Augen lag eine unverblümte Neugier.
Unwillkürlich strich Astrid an ihren Sachen herunter und schlug den Reisemantel enger zusammen. Sie hatte ein unangenehmes Gefühl dieser Frau gegenüber, so, als ob diese glänzenden, zudringlichen Vlicke sie gleichsam entkleideten.
„Ah, vermutlich eine Reisebakanntschaft. Was führt Sie hierher in unseren verlorenen Winkel, Fräulein Sjörberg? Dem Namen nach sind Sie doch Nordländerin?“
Rodenhausen mischte sich schnell ein.
„Wir kennen uns schon lange, Baronin. Ausserdem werden wir ja das Vergnügen haben, Sie recht bald bei uns zu sehen. Denn Fräulein Sjörberg wird für längere Zeit unser Gast sein.“
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