Lisa Honroth Löwe - Das Gesetz in uns

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Frau Dr. med. Reyersdorff ist schön und in jeder Hinsicht beeindruckend, das ist der Eindruck, den Konsul Printheer von ihr hat, als er ihr zum ersten Mal gegenüber sitzt. Printheer, der in einem eigentümlichen Verhältnis zu ihrem gerade verstorbenen Vater stand, bietet ihr an, sie finanziell zu unterstützen, was sie ablehnt. In der flugs von seinen Untergebenen angelegten Mappe über die junge Ärztin kann der Konsul nachlesen, dass diese ihr Staatsexamen «summa cum laude» gemacht und über Krebserkrankungen promoviert hat. Daraufhin beschließt der Industriekapitän, ihr über Strohmänner eine berufliche Chance zu bieten und sie gleichzeitig mit wiederholten Einladungen an sich zu binden. Beides gelingt und die junge Frau, die nur unter großen Mühen ihr Studium zu Ende gebracht hat, erkennt nicht die Intention des alternden Frauenhelden, sie in sein Bett zu bekommen. Hochdramatisch endet diese Entwicklung mit dem Tod des Konsuls. Doch ist die junge Ärztin tatsächlich eine Mörderin im Affekt, wie sie selbst es glaubt?Lisa Honroth-Loewe (1890–1947) ist eine der deutschen Autorin, die vorwiegend leichte Liebes- und Unterhaltungsromane schrieb. Nach 1933 aus Deutschland emigriert, lebte sie in Basel, bevor sie später in die USA auswanderte. 1947 ist sie in Rockville, Maryland, gestorben. Außer unter ihrem eigenen Namen hat sich auch unter den Pseudonymen Liane Sanden und Rena Felden publiziert.-

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Lisa Honroth Löwe

Das Gesetz in uns

SAGA Egmont

Das Gesetz in uns

Copyright © 1933, 2018 Lisa Honroth-Loewe und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711593288

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

1

„Printheer“, las Agnete über dem großen Portal.

„Ich möchte Herrn Printheer sprechen.“

„Dritten Stock. Zimmer neunhundertvierundzwanzig. Anmeldung.“

Schon wandte der Pförtner sich einem anderen Besucher zu. Unschlüssig stand Agnete vor dem Paternosterwerk. Unaufhaltsam gingen die Fahrstühle nebeneinander hinauf, herunter, trugen empor, schleuderten hinaus. ‚Zellen‘ — mußte Agnete denken — ‚Zellen, in denen Menschen gefangen sind mit ihrer Arbeit, ihren Sorgen, mit all der sinnlosen Hast, aus der das Leben besteht.‘ Sie zögerte einen Augenblick, sah die Gesichter hinauf- und heruntergleiten, sorgenvolle, gespannte, ermüdete, alte und junge Gesichter — aber alle hineingerissen in das treibende Rad der Arbeit. Es lag etwas Atemberaubendes in diesem ewigen Hinauf und Hinab, das niemals Ruhe fand.

Gerade erschien eine dieser emporsausenden Holzzellen vor ihr. Sie trat hinein. Schon schwebte sie aufwärts.

„Erster Stock, Rechnungsabteilung“, las sie, „zweiter Stock, Personalabteilung.“

Hier stieg ein Herr mit einem dicken Aktenbündel und einem ebenso umfangreichen Bauch ein. Er schnaufte asthmatisch und ließ über schiefsitzende Gläser hinweg einen erfreuten Blick über Agnetes Erscheinung gleiten.

Der Paternosterfahrstuhl schwebte weiter. Dritter Stock. Sie stieg aus.

Eine breite Schranke von rötlich poliertem Holz versperrte den Weg. Ein Diener:

„Sie wünschen?“

„Zu Herrn Konsul Printheer.“

„Sind Sie angemeldet? Nein? Dann bedaure ich.“ Aus einem ihr selbst unklaren, inneren Widerstreben hatte Agnete bisher gezögert, die Karte Printheers vorzuzeigen. Aber anders kam sie jetzt nicht weiter.

Mit dem Diener ging eine sichtliche Veränderung vor, als seine Augen die Zeilen überflogen, in denen Printheer Agnete um ihren Besuch bat.

„Wollen gnädiges Fräulein mir, bitte, folgen?“ Er ging in respektvollem Abstand neben Agnete den Gang entlang zu einer Tür mit dem Schild: Privatsekretariat. Sie passierten ein sehr großes Zimmer, in dem eine Anzahl Herren warteten.

„Darf ich bitten, hier einen Augenblick Platz zu nehmen?“

Der Diener schob mit einem Schwunge Agnete einen bequemen Sessel hin. Dann ging er weiter in ein drittes Zimmer. Dort saßen einige junge Mädchen an Maschinen. Ein junger Mann ging diktierend auf und ab.

Auf eine kurze Mitteilung des Dieners hin kam dieser schnell auf Agnete zu.

„Ich bitte Sie, sich ein paar Augenblicke zu gedulden, gnädiges Fräulein. Herr Konsul ist beschäftigt. Aber ich werde Sie sofort persönlich anmelden.“

Agnete wartete. Von ihrem Platz am Fenster konnte sie die beiden Räume rechts und links beobachten. Die Herren in dem großen Zimmer schienen alle Besucher zu sein, die auf Konsul Printheer warteten. Sie war die einzige Frau hier.

Interessierter schweifte aber ihr Blick in das andere Zimmer. Zum ersten Male sah sie solch einen modernen Bürobetrieb. Es schwirrte hier geradezu von Arbeit. Ununterbrochen ging das Telephon. Boten, Angestellte kamen herein, gingen hinaus. Eine Dame war ausschließlich damit beschäftigt, Briefe und Telegramme zu öffnen und in verschiedene Mappen zu ordnen. Ein Diener stand schon bereit, um diese Mappen in Empfang zu nehmen und mit ihnen durch eine andere Tür zu verschwinden.

Nun kam der junge Mann, der Agnete hatte anmelden wollen, zurück und öffnete im Vorbeigehen die Tür zu dem großen Raum, in dem die Herren warteten.

„Herr Konsul bedauert, er hat noch eine unerwartete Konferenz. Vielleicht bemühen sich die Herren morgen nochmals.“

Dann auf einen Zettel sehend:

„Herr Doktor Bernhard, wenn Sie, bitte, zu einer Vorbesprechung zu Herrn Direktor Sarter herübergehen wollen? — Herr Böhnisch, bitte, Zimmer zweihundertzweiundsechzig. Herr Prokurist Werner hat Anweisung bekommen, mit Ihnen zu verhandeln.“ Die namentlich aufgerufenen Herren ergriffen eilig ihre Mappen und gingen hinaus. Die anderen Wartenden standen enttäuscht auf.

Nun wandte der Herr sich zu Agnete:

„Darf ich Sie bitten, gnädiges Fräulein? Herr Konsul erwartet Sie.“

*

Agnete stand Printheer gegenüber. Der erste Eindruck war der ungewöhnlicher Kraft. Lag es in seiner sehr großen, breitschultrigen Gestalt, lag es in seinen Augen, die dunkel unter den schweren Lidern hervorblitzten? Das Mädchen sah in ein mächtiges Gesicht, das trotz seiner Gepflegtheit irgendwie unmodern wirkte. Irgendwo mußte sie eine solche Physiognomie schon einmal gesehen haben. Und das Wesentliche waren wohl die Augen, schien ihr.

Täuschte sie sich, oder lag eine gewisse Spannung in der Art, wie Printheer sie betrachtete? Galt diese Spannung ihrer Erscheinung? Von neuem überkam sie die starke Befangenheit. Was sollte sie Printheer eigentlich sagen? Aber schließlich war es ja an ihm, zu sprechen. Er selbst hatte sie hergebeten, ohne daß sie den Grund ahnte.

Jetzt reichte Printheer Agnete Reyersdorff die Hand. Es war eine große, fleischige Hand, die fest zufaßte. Nun hörte sie auch seine Stimme: tief, klangvoll.

„Fräulein Reyersdorff, zunächst mein aufrichtigstes Beileid zum Tode Ihres Vaters.“

Printheer machte eine kleine Pause und betrachtete Agnete unverwandt.

„Sie werden sich über meine Karte gewundert haben. Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Bitte!“

Er wies auf einen Sessel und nahm ihr gegenüber Platz.

Agnete sah Printheer aufmerksam an. Ihre Befangenheit war geschwunden.

„Ich gehe wohl nicht fehl, Fräulein Reyersdorff, wenn ich annehme, daß Ihr Vater mit Ihnen über meine Beziehungen zu ihm gesprochen hat.“

Agnete schüttelte den Kopf.

„Nicht? — Dann haben Sie wohl aus den hinterlassenen Papieren des Verstorbenen Näheres ersehen?“

Wieder schüttelte Agnete den Kopf.

„Nichts, gar nichts, Fräulein Reyersdorff?“

„Gar nichts.“

Ton und Blick waren so aufrichtig und ob seiner eindringlichen Fragen so verwundert, daß Printheer, der Erfahrene, nicht zweifeln konnte, daß Agnete die Wahrheit sprach.

„Nun denn, Fräulein Reyersdorff, dann muß ich Ihnen wohl eine Erklärung geben. Ihr Vater und ich haben vor Jahren zusammen angefangen. Er hat mir einmal einen großen Dienst erwiesen — ich möchte nicht darüber reden, denn ich sehe, er hat es auch nicht gewollt. Eine Sache zwischen Männern war es. Ich habe es ihm nicht vergessen. Ich habe mich aus meiner Dankbarkeit heraus auch später weiter um ihn kümmern wollen. Aber er hat mich zurückgewiesen. Er wollte ja alles immer nur durch sich selbst erreichen. So — —“, er zögerte einen Augenblick, „kamen wir auseinander. Doch habe ich ihn auch, ohne daß er es wußte, immer im Auge behalten, bereit, einzugreifen, wenn es nötig wäre. Ich wußte, daß seine Verhältnisse eng waren, aber nicht eigentlich sorgenvoll. Das hat sich wohl in der letzten Zeit geändert? Würden Sie mir Näheres darüber sagen können? Ich frage nicht aus müßiger Neugier, sondern aus meiner Dankbarkeit für Ihren Vater heraus. War seine Lage schon lange bedrängt?“

„Nein, erst ganz zuletzt, Herr Konsul. Vater war ja in bezug auf seine pekuniären Verhältnisse sehr verschlossen. Und sehr stolz, stolz und aufrecht.“

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